FDPGastbeitrag

Das Grundgesetz als gemeinsamer Nenner

Christian LindnerChristian Lindner
06.10.2015

Nach der Versorgung wird die Integration der Flüchtlinge das nächste gesellschaftliche und politische Großprojekt. FDP-Chef Christian Lindner sieht die Werte des Grundgesetzes als beste Basis hierfür. In einem Gastbeitrag für die "Welt" führt er aus: "Die Grundlage unseres Zusammenlebens ist die objektive Wertordnung des Grundgesetzes - sie ist die beste 'Willkommenskultur'."

Das Gesicht der Bundesrepublik werde sich durch die Zuwanderung verändern, konstatiert Lindner. Eine Gesellschaft könne allerdings nur zur Integration einladen, "wenn sie sich ihrer eigenen Identität klar ist". Für Lindner macht die gelebte Liberalität Deutschland aus: "Würde und Freiheit des Einzelnen sind geschützt, jeder darf seine Meinung äußern, die Geschlechter haben die gleichen Rechte, homosexuelle Paare können öffentlich Händchen halten." Auf eine liberale Gesellschaftsordnung gebe es keine Rabatte, stellte der Freidemokrat klar. "Sie entwertet und zerstört, wer unwidersprochen Ressentiments bedienen kann, braune Parolen skandiert oder Flüchtlingsheime in Brand steckt. Hier endet jeder Toleranz."

Verfassungskultur von Beginn an vermitteln

Integration bedeute mehr als nur das Erlernen der deutschen Sprache, unterstrich Lindner. "Sie fordert Respekt und Achtung vor unseren Verfassungswerten. Deshalb sollten bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Grundsätze unserer Verfassungskultur vermittelt werden."

Darüber hinaus plädierte der FDP-Chef für ein "Bündnis für Integration in Arbeit", das die Bundesregierung gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften auf die Beine stellen müsse. "Viele Entscheidungen der großen Koalition haben die Hürden für Einsteiger erhöht. Jetzt ist der Anlass für einen Richtungswechsel."

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Tausende Menschen auf der Flucht oder auf der Suche nach einem besseren Leben wollen dieser Tage nach Deutschland. So beeindruckend die Humanität aus der Mitte der Gesellschaft ist, so bedrückend sind die Symptome der Überforderung unseres bürokratisch hochgerüsteten Staates und die Uneinigkeit der Europäischen Union. Aus der Chance, die in Zuwanderung für einen alternden Kontinent liegen, droht durch Staatsversagen eine Belastung zu werden.

Ein Teil der Kriegsflüchtlinge wird uns verlassen, wenn in ihren Herkunftsländern wieder Stabilität erreicht ist – wie nach dem Balkankrieg. Aber viele werden hier ihr Zuhause finden. Nicht jeder, der eine wirtschaftliche Zukunft sucht, wird bleiben dürfen. Aber Fachkräfte werden wir angesichts der demografischen Entwicklung dazu einladen müssen. Jenseits des Krisenmanagements benötigen wir daher ein europäisches Asylrecht und nicht erst nach 2017 ein intelligentes Einwanderungsgesetz.

Unser Land wird durch Zuwanderung sein Gesicht ändern. Manche sagen sogar, Deutschland müsse sich ändern. Zweifellos werden die traditionellen Prägekräfte nachlassen, neue werden Einfluss gewinnen. Diese Vielfalt kann ein Gewinn sein, wenn die Integration gelingt. Deshalb stellt Zuwanderung auch an uns die Frage nach dem, was uns zusammenhält.

Denn eine Gesellschaft kann nur zur Integration einladen, wenn sie sich ihrer eigenen Identität klar ist. Muss also Deutschland seine Identität ändern? Die gelebte Liberalität macht unser Land aus. Würde und Freiheit des Einzelnen sind geschützt, jeder darf seine Meinung äußern, die Geschlechter haben die gleichen Rechte, homosexuelle Paare können öffentlich Händchenhalten. Die Grundlage unseres Zusammenlebens ist die objektive Wertordnung des Grundgesetzes – sie ist die beste „Willkommenskultur“.

Wir erwarten nicht die Anerkennung einer angeblichen „Leitkultur“ zwischen Opernhaus und Oktoberfest. Sie ist selbst für viele Deutsche eine Fiktion. Der Staat des Grundgesetzes ist auch kein christlicher Klub. Denn unsere Verfassung ist offen für alle Religionen, solange sie nicht mit seiner Rechtsordnung kollidieren. Aber in unserer liberalen Gesellschaftsordnung darf es für niemanden Rabatt geben – egal, ob Deutscher oder Zuwanderer. Sie entwertet und zerstört, wer unwidersprochen Ressentiments bedienen kann, braune Parolen skandiert oder Flüchtlingsheime in Brand steckt. Hier endet jede Toleranz.

Unsere Liberalität erlaubt Satire über den Religionsstifter Mohammed. Und die junge Muslima kann selbst entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen will oder nicht. Integration bedeutet mehr als nur das Erlernen der deutschen Sprache. Sie fordert Respekt und Achtung vor unseren Verfassungswerten. Nicht das liberale Deutschland muss sich verändern, sondern manche Zuwanderer werden sich ändern müssen. Deshalb sollten bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Grundsätze unserer Verfassungskultur vermittelt werden.

Viele Flüchtlinge verfügen zudem nicht über ein Qualifikationsniveau, das den Anforderungen unseres Arbeitsmarkts entspricht – dabei ist der Arbeitsmarkt der beste Integrationsmotor. Die Bundesregierung muss also mit einem „Bündnis für Integration in Arbeit“ gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften handeln. Viele Entscheidungen der großen Koalition haben die Hürden für Einsteiger erhöht. Jetzt ist der Anlass für einen Richtungswechsel.

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