22.10.2014FDPEuropa

LAMBSDORFF-Interview: FDP kann nicht zustimmen

Berlin. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „Deutschlandfunk“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte JASPER BARENBERG:

Frage: Wir haben gerade gehört, die Grünen werden gegen die Kommission stimmen, Rebecca Harms jedenfalls. Werden Sie denn heute aus vollem Herzen Ihr Vertrauen aussprechen der neuen Mannschaft?

LAMBSDORFF: Herr Barenberg, ich wünschte, wir könnten das tun. Die FDP hat den Prozess unterstützt, mit dem zum ersten Mal eine Europawahl durchgeführt wurde, bei der es Spitzenkandidaten gab. Wir haben auch Jean-Claude Juncker, den Gewinner dieser Wahl, gewählt vor dem Sommer. Dann ist ihm sein Team zusammengestellt worden von den Mitgliedsstaaten und er hatte die Aufgabe, diesen, von den Mitgliedsstaaten entsandten Kandidaten Portfolios zuzuweisen, also Zuständigkeiten. Und das ist der Punkt, an dem es anfängt, wirklich schwierig zu werden, denn wenn man mit Pierre Moscovici, einem ehemaligen französischen Finanzminister, der es kein einziges Mal geschafft hat, einen französischen Haushalt so aufzustellen, dass er mit den Verträgen übereinstimmt, wenn man ausgerechnet einen solchen Mann zum Kommissar für die Euro-Stabilisierung macht, dann haben wir hier ein riesiges Problem, und ich sehe nicht, dass die FDP heute zustimmen kann.

Frage: Sehen Sie es also ähnlich wie die AfD, die Alternative für Deutschland, die von einem trojanischen Pferd spricht mit Blick auf Pierre Moscovici?

LAMBSDORFF: Nun, ich sehe das so, dass wir den Ausbruch der Krise 2008 in allererster Linie zwei Faktoren zu verdanken haben. Das eine waren unsolide öffentliche Finanzen, also hohe Staatsdefizite. Das Beispiel Griechenland ist hier offensichtlich das schlimmste gewesen. Und das zweite waren schwierige private Finanzen insbesondere im Bankensektor, wo Risiken eingegangen worden sind von diesem Sektor, die dazu geführt haben, dass ganze Staaten ins Trudeln geraten sind, denken wir beispielsweise an Irland oder Spanien. Und jetzt hat Juncker Moscovici für die öffentlichen Finanzen benannt, dessen Reformbereitschaft ich nicht erkennen kann, und für die privaten Finanzen, also für den Bankensektor, hat er einen Briten beauftragt, worüber jetzt hier übrigens die Kollegen von den Tories sich ausdrücklich freuen, aber das kann für uns auf dem Kontinent wirklich keine gute Nachricht sein. Und von daher: Ob Herr Henkel das genauso sieht oder nicht, muss er beurteilen. Ich glaube, es gibt wirklich schwerwiegende inhaltliche Gründe, die dagegen sprechen, dieser Kommission zuzustimmen.

Frage: Dahinter scheint ja so ein wenig die Strategie zu stehen, jedenfalls wird Jean-Claude Juncker das nachgesagt, die kritisierten Kandidaten bewusst auf diese Posten zu setzen, um sie einzubinden, einzuhegen, möglicherweise auch unter das, was er an Vorgaben machen wird. Dieser Strategie geben Sie keine Chance?

LAMBSDORFF: Ich höre die Worte, allein mir fehlt der Glaube. Wir wollen ja auch nicht eingehegte und gebundene, gefesselte Kommissare; wir wollen ja eine Europäische Kommission, die handlungsfähig ist, in der jeder Kommissar gemäß seinen Fähigkeiten und Überzeugungen das Beste aus seiner Zuständigkeit macht, und wir wollen nicht eine Kommission, in der wir die Kommissare geradezu dazu zwingen, gegen ihre eigenen Überzeugungen zu handeln. Und wenn wir uns die Situation in Frankreich anschauen mit dem Haushalt, ein Haushalt, der eindeutig nicht kompatibel ist mit der Euro-Stabilisierung, dann müsste der abgelehnt werden. Aber ich glaube nicht, dass Pierre Moscovici einen französischen Haushalt ablehnen wird. Ich glaube nicht, dass er seine Aufgabe hier in der Europäischen Kommission bereits als den Endpunkt seiner politischen Laufbahn begreift, als den Höhepunkt, sondern er sieht eine politische Zukunft in der Zeit danach in Frankreich für sich und wird deswegen nichts tun, was diese Zukunft gefährden kann. Ich will im Übrigen daran erinnern, dass wir 2004 bereits einmal einen persönlich sicher qualifizierten Kommissar genau deswegen abgelehnt haben. Rocco Buttiglione war damals der italienische Kandidat. Er war sehr katholisch, sehr konservativ, hielt Homosexualität für eine Sünde, sollte beauftragt werden, aber gleiche Rechte in Europa für alle durchzusetzen. Wir haben gesagt, das kann nicht sein, man kann nicht von jemandem erwarten, dass er ständig gegen seine eigenen Überzeugungen handelt. Dementsprechend ist er damals auch abgelehnt worden.

Frage: Lassen Sie uns über den Chef sprechen, Jean-Claude Juncker. Sie haben gesagt, dass sie ihn als Besetzung von Anfang an für richtig gehalten haben, befürwortet haben. Nun hat ihn die „Financial Times London“ beispielsweise als Yesterday's Man, als Mann von gestern bezeichnet, eben weil man von ihm sagen kann, dass er zwar viel Erfahrung hat, dass er aber nicht gerade als großer Reformer hervorgetreten ist, als Erneuerer.

LAMBSDORFF: Da irrt die „Financial Times“. Jean-Claude Juncker ist nicht der Mann von gestern. Jean-Claude Juncker hat diese Wahl gewonnen. Deswegen hat er auch das Recht, dieses Amt zu bekleiden. Das habe ich ja eben gesagt, wir haben das auch unterstützt. Und er hat einen wichtigen Schritt gemacht, der bei mir in der Gesamtabwägung sehr positiv ist. Zum ersten Mal wird es in dieser Europäischen Kommission, die ja viel zu groß ist mit ihren 28 Mitgliedern – jeder Mitgliedsstaat will ja unbedingt jemanden entsenden, also ist diese Kommission viel zu groß. Juncker macht jetzt den Versuch, durch die Einführung von Vizepräsidenten mit echter Zuständigkeit, mit echten Aufgaben in der Koordinierung anderer Kommissare eine schlankere Struktur hier umzusetzen. Das ist in meinen Augen ein erster Schritt in die richtige Richtung, die Kommission dazu anzuhalten, sich nicht zu sehr im Klein-Klein zu verlieren, sondern sich auf die großen Linien zu konzentrieren. Ich finde, das ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Da ist Juncker in jeder Hinsicht für zu loben.

Frage: Er setzt also auf die richtige Struktur in Ihren Augen. Setzt er auch auf die richtige Agenda? Was wir bisher gehört haben, läuft ja zum Beispiel darauf hinaus, dass er ein 300 Milliarden schweres Konjunkturpaket schnüren will.

LAMBSDORFF: Ja, und er konnte allerdings bis heute nicht erklären, wo diese 300 Milliarden Euro eigentlich genau herkommen sollen. Es ist so, dass er mit der Europäischen Investitionsbank im Gespräch ist, aber die EIB, die ja inzwischen sozusagen für jede Art von Programm als eine Art Allheilmittel herhalten soll, hat ganz klar gesagt, sie finanziert nur solide Projekte. Sie wird sich nicht dafür hergeben, ich sage mal, Milliarden auf den Markt zu schmeißen, die anschließend nicht refinanziert werden können an den Märkten, womit das Triple-A-Rating der EIB gefährdet werden könnte. Heute werden wir von Jean-Claude Juncker in seiner Rede hier im Plenum in Straßburg zu hören haben, wie stellt er sich das genau vor, wie soll die Finanzierung aussehen, wie will er das so machen, dass es solide ist, sind das 300 Milliarden, die ohnehin schon vorgesehen sind, soll es zusätzliches Geld sein. Das sind alles noch sehr offene Fragen, die heute beantwortet werden müssen.

Frage: Was werden die größten Herausforderungen sein? Welches sind die größten Aufgaben? Ist es das Ziel, der Versuch, Europa endgültig aus der Wirtschaftskrise zu führen?

LAMBSDORFF: Ja. Ganz eindeutig ja. Ich glaube, dass das wirklich das Ziel sein muss. Das heißt, wir sollten in der Regulierung, in der europäischen Gesetzgebung darauf achten, dass wir die Entstehung von Arbeitsplätzen in Europa erleichtern und nicht erschweren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir sollten also nicht bürokratische Vorgaben fortschreiben oder neu einführen, die es den Betrieben immer komplizierter machen, Leute einzustellen. Wir sollten neue Märkte erschließen für europäische Produkte. Deswegen bin ich der Meinung, dass das Freihandelsabkommen mit den USA eines der großen und wichtigen Projekte dieser Kommission werden wird. Und dann ist nach wie vor ungelöst natürlich die Umsetzung der verschärften Regeln des Stabilitätspaktes gegenüber Ländern wie Frankreich und Italien, wo der Reformbedarf nach wie vor riesig ist. Diese Länder müssen auch diese Reformen durchführen, wie sie Spanien, Irland, Portugal durchgeführt haben. Das sind drei sehr große Herausforderungen, die aber alle einem Ziel dienen. Das ist, den Europäerinnen und Europäern wieder Perspektiven zu geben durch Wachstum in der Wirtschaft, durch neue Arbeitsplätze, durch neue Chancen.

Frage: Zum Schluss noch ganz kurz, weil wir nicht mehr arg viel Zeit haben, Graf Lambsdorff. Wie groß ist die Herausforderung, wenn man sieht, dass bei den Europawahlen auch populistische Strömungen an Gewicht zugenommen haben? Man kann den Schluss daraus ziehen, dass das Band zwischen den Menschen in Europa und dem Projekt Europa ja einigermaßen zerrissen ist.

LAMBSDORFF: Das würde zu weit gehen. Natürlich haben Populisten vergleichsweise gut abgeschlossen. Aber die Mehrheit in diesem Europäischen Parlament, die Mehrheit der Parteien, die hier hergewählt worden sind, stehen zur europäischen Einigung. Insofern glaube ich nicht, dass man das überbewerten sollte. Dennoch: Europa darf sich nicht weiter im Klein-Klein verlieren, darf den Leuten nicht weiter durch bürokratische Detailregelungen auf die Nerven gehen, sondern soll sich auf die großen Linien konzentrieren. Wenn Jean-Claude Juncker das schafft, dann hätte er viel erreicht.

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