19.08.2014FDPFDP

LINDNER-Interview: Wir arbeiten an einer geistigen Neugründung der FDP

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ und der „Leipziger Volkszeitung“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte FRANK LINDSCHEID:

Frage: Bei Umfragen landet die FDP regelmäßig im Abseits, für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sieht es nicht gut aus. Wie fühlt man sich als Chef einer Partei, die kaum noch wahrgenommen wird?

LINDNER: Mir macht meine Arbeit Freude. Noch bevor ich Parteivorsitzender wurde, habe ich gesagt, für Vertrauen werden wir bis 2017 brauchen. Wir arbeiten an einer geistigen Neugründung der FDP. Weder als aggressive Dagegenpartei, noch als umverteilerische Zeitgeistpartei. Die FDP soll das Angebot für die positiv denkenden Selbermacher werden, die von der Politik nicht ständig demotiviert werden wollen.

Frage: Schöne Formeln, geht es etwas griffiger?

LINDNER: Keine Partei außer den Liberalen will einen flexiblen Renteneintritt ermöglichen statt einer starren Altersgrenze. Wir wollen eine Energiepolitik, die auf mehr Markt setzt, um die steigenden Preise in den Griff zu bekommen. Wir brauchen neue Konzepte für die Bekämpfung von Einbruchskriminalität und für ein leistungsförderndes Bildungssystem. Und keine Partei im Bundestag spricht mehr über Leistungsgerechtigkeit. Von Gehaltserhöhungen geht mehr Geld an die Finanzminister als in die eigene Brieftasche - das wollen wir unverändert beenden.

Frage: Reicht das als Rezept für Sachsen, Thüringen und Brandenburg?

LINDNER: In Sachsen hat die FDP bei den Kommunalwahlen über fünf Prozent geholt und der Trend in Umfragen zeigt nach oben. Da bin ich optimistisch. Auch in Thüringen und Brandenburg geht es nicht um die Zukunft der FDP, sondern des Landes. Wir brauchen eine Politik, die nicht mehr Schulden macht als nötig, die nicht das Konjunkturklima gefährdet, wie es im Augenblick in Deutschland unter Schwarz-Rot geschieht.

Frage: Sammelt die Alternative für Deutschland bürgerliche Stammwähler der FDP ein?

LINDNER: Nein, die AfD sind Neo-Republikaner. Alle Wahlforscher sagen, dass sich dort stark Proteststimmen und ehemalige NPD- und Linke-Wähler sammeln. Wenn es dort einige ehemalige FDP-Wähler geben sollte, dann will ich die durch mehr marktwirtschaftliche Kompetenz und die klare Abgrenzung vom intoleranten Gesellschaftsbild der AfD zu uns zurückholen.

Frage: Könnten Sie sich vorstellen, mit SPD-Chef Sigmar Gabriel zusammenzuarbeiten, falls er bei der nächsten Wahl Kanzlerkandidat werden sollte?

LINDNER: Deutschland muss in die Zukunft investieren, statt nur zu verteilen. Die Politik sollte den Bürgern wieder etwas zutrauen statt nur zu bevormunden. Ich sehe nicht, dass Sigmar Gabriel auch nur mit Spurenelementen dafür steht. Im Gegenteil will er mit seinen sozialistischen Kollegen in Europa den Euro-Stabilitätspakt wieder weich machen, damit Frankreich weiter Politik auf Pump machen kann. Herr Gabriel gibt gerne den Enkel von Erhard, in Wahrheit ist er der deutsche Hollande.

Frage: Angela Merkel macht Wohlfühl-Politik. Den Deutschen gefällt das offenbar. Wo wird die FDP noch gebraucht?

LINDNER: Es fehlt die Vernunft der FDP, die dafür sorgt, dass auch kühl gerechnet wird. Viele Rechnungen für die Projekte der Großen Koalition werden erst noch zugestellt, überwiegend – wie bei der Rente mit 63 – erst weit nach 2017. Aber schon jetzt sind negative Auswirkungen zu sehen. Die wirtschaftsfeindliche Politik führt schon jetzt zu einer Abkühlung der Konjunktur. Beispiel Energiepolitik: Die deutsche Industrie investieren mehr im Aus- als im Inland. Die Binnennachfrage lässt nach, weil die Regierung sich darum drückt, die Menschen zu entlasten und endlich die kalte Progression bei den Steuern abzuschaffen. Schwarz-Rot schafft ein leistungsfeindliches Klima.

Frage: Fehlt der Kanzlerin ein Partner, der sie treibt?

LINDNER: Die Politik von Frau Merkel grenzt an Wahlbetrug. Die Union hat in zwei Wahlkämpfen den Verzicht auf automatische Steuererhöhungen über die kalte Progression versprochen. In der vergangenen Amtsperiode hat die SPD das im Bundesrat blockiert. Aus taktischen Gründen signalisiert SPD-Chef Gabriel jetzt seine Bereitschaft, aber die Kanzlerin greift nicht zu. Das passiert nicht. Nur Beruhigungspillen. Die Infrastruktur verfällt, in der Rentenpolitik orientieren wir uns stärker an Frankreichs Präsident Hollande als an Gerd Schröder. Die digitale Agenda der Regierung ist eine einzige Enttäuschung. Überall nur Defensive, keine Investitionen, keine Innovation, kein Vertrauen in die Kraft der Bürgergesellschaft. Die Regierung verspielt Zukunftschancen.

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