16.02.2014FDPFDP

LINDNER-Interview für die „Leipziger Volkszeitung Online“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Leipziger Volkszeitung Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte DIETER WONKA:

Frage: Lassen Sie uns ein Klartext-Interview führen. Jeder vierte Wähler vermisst, laut Forsa, die FDP. Das bedeutet: 75 Prozent der Wähler sind froh, dass sie weg ist. Wann machen Sie den Laden zu?

LINDNER: Im Gegenteil. Wir werden uns um alle kümmern, die die liberale Stimme im Parlament vermissen. Klar ist, dass einige wenige Wochen nach einer so verheerenden Wahlniederlage die Partei noch nicht vollständig wieder aufgerichtet sein kann. Für mich ist das aber ein Zeichen, dass es in Deutschland genug Menschen gibt, die nicht vor allem auf den Staat setzen, sondern die eine FDP wollen, die ihre Eigenverantwortung, ihr Eigentum, ihre Leistungsbereitschaft, ihre Privatsphäre respektiert.

Frage: Welchen Rat holen Sie sich von der alten Garde, beispielsweise bei Hans-Dietrich Genscher und bei Philipp Rösler, für den Neuaufbau der Liberalen?

LINDNER: Hans-Dietrich Genscher ist ein Ratgeber. Aber jede Führung muss ihren eigenen Weg finden. Und dass diejenigen, die als Kabinettsmitglieder wesentlich die FDP zwischen 2009 bis 2013 geprägt haben, in der aktuellen Führung nicht mehr mitarbeiten, war notwendig für den Neuanfang.

Frage: Philipp Rösler ist nach Genf ausgewandert. Die Schweiz hat vor einer Woche Nein zur ungeregelten Zuwanderung aus der EU gesagt. Dürfte Rösler, wenn er bei den Eidgenossen rausfliegt, bei Ihnen als Asylbewerber unterschlüpfen?

LINDNER: Er hat mit der aktiven Politik abgeschlossen. Ich wünsche ihm für sein Leben nach der Politik alles Gute.

Frage: Muss die Schweiz bestraft werden, etwa dadurch, dass alle FDP-Mitglieder ihre Steuerschlupf-Gelder auf einen Schlag abziehen?

LINDNER: Aus aktuellem Anlass sollten Sie die Frage an die SPD richten. In Berlin gab es ja bei der SPD den Kulturstaatssekretär André Schmitz, der Steuer hinterzogen und von der eigenen Parteiführung und dem Regierenden Bürgermeister gedeckt worden ist. Bei der FDP gibt es keinen Rabatt für Steuersünder. Man kann Steuergesetze zu hoch finden, zahlen muss man doch. Das gilt für große Vermögen und die Schwarzarbeit im heimischen Garten. Ich bin aber genauso gegen Pranger-Justiz, die das Steuergeheimnis zur Glückssache macht. Die Leute im Übrigen, die FDP wählen, haben nicht mehr oder weniger Geld als andere. Die unterscheiden sich aber vom linksgrünen Zeitgeist, weil sie sich gegen den Staat als Vormund wehren und sich von der Politik nicht zu Taschengeldempfängern degradieren lassen.

Frage: Manches ist legal, aber seltsam genug. Was ist von einem Politiker zu halten, der sich mit Fotos und Filmen unterhält, auf denen nackte junge Knaben zu sehen sind?

LINDNER: Das mag legal sein, aber ich finde das ekelhaft. Umso bestürzter bin ich über das, was gegenwärtig in Berlin passiert. Das erinnert an Szenen aus amerikanischen Politthrillern. Ein Bundesminister verrät Dienstgeheimnisse an den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Der leitet die Information gleich weiter. Der Parlamantarische Geschäftsführer Thomas Oppermann telefoniert dann mit dem BKA-Chef, als sei das Bundeskriminalamt eine nachgeordnete Behörde der SPD-Bundestagsfraktion. Inzwischen zeigt sich, dass Informationen sehr frühzeitig bei Herrn Edathy angekommen sein müssen. Das ist ein Ausmaß an Abgehobenheit von unserer Rechtsordnung in dieser Großen Koalition, das ich in Deutschland nicht für möglich gehalten hätte.

Frage: Ist es mit der Variante „Friedrich weg“ als personeller Konsequenz aus der Edathy-Politik-Regierungs-Affäre getan? Sind nicht auch Sozialdemokraten fällig?

LINDNER: Der Rücktritt von Hans-Peter Friedrich war unausweichlich. Wer Dienstgeheimnisse verrät und das als Bagatelle betrachtet, kann kein Regierungsmitglied sein.  Im Rechtsstaat darf es keine Privilegierung für Politiker, keine Spezi-Wirtschaft geben. Deshalb muss man genau nach der Rolle von Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann fragen. Seit Monaten wissen die Genossen von Ermittlungen. Trotzdem wurden dieser Tage Betroffenheitsrituale abgefeiert. Die SPD ist beim Lügen erwischt worden. Was für ein Theater! Was für eine Kulisse, die da aufgebaut worden ist. Man will jetzt wissen, was ist hinter der Kulisse. Es muss aufgeklärt werden, ob es Tipps aus der SPD an Herrn Edathy gegeben hat, die die Strafverfolgung behindert haben. Die SPD steht im dringenden Verdacht, einen Genossen gedeckt zu haben.

Frage: Sind Sie froh, wenn die Ära Angela Merkel vorbei ist?

LINDNER: Persönlich habe ich mit ihr kein Problem. Aber unser Land ist bedauerlicherweise seit dem 22.9. mit einem fundamentalen politischen Wechsel konfrontiert. Den hat Frau Merkel zu verantworten. Es wird leichtfertig unsere deutsche Stärke verspielt. Das Geld wird verschossen. 160 Milliarden Euro allein für das Rentenpaket. In wirtschaftliche Freiheiten wird eingegriffen. Zum gleichen Zeitpunkt macht Frankreich jetzt eine liberale Wirtschaftspolitik – und wir werden französischer. Das ist ein fatales Signal nach Europa.

Frage: Wo sitzen die größeren Sozialisten: Bei Angela Merkel oder bei Sigmar Gabriel?

LINDNER: Ich kann nicht mal sagen, wo die CDU aufhört und die SPD anfängt.

Frage: Würden sie gern mit Sigmar Gabriel einmal vertraulich die Vision einer neuen sozialliberalen Koalition besprechen?

LINDNER: Ich spreche mit allen Parteivorsitzenden vertraulich über die politische Lage. Ich sehe aber, dass gerade der Bundeswirtschaftsminister für einen grundlegenden Wandel verantwortlich ist. Sigmar Gabriel diffamiert unsere Exportstärke, von der Arbeitsplätze und Wohlstand abhängen. Er lobt seine ganz andere Wirtschaftspolitik, die vor allen Dingen auf staatliche Investitionen, auf mehr Sozialabgaben und auf mehr Bürokratie setzt. Das ist mit den Ideen der Gründerväter der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar. Es ist kein Wunder, dass die IG Metall dieser Tage gesagt hat, Gabriels Politik sei eine Zäsur nach jahrzehntelanger neoliberaler Politik. Allerdings haben diese Jahrzehnte uns beispiellosen Wohlstand und einen Beschäftigungsrekord gebracht. Wer sich davon aktiv verabschieden will, der muss mit dem Klammerbeutel gepudert sein.

Frage: Mit Gabriel ist also keine Neuauflage der sozial-liberalen Koalition denkbar?

LINDNER: Wir machen uns nie wieder abhängig von anderen Parteien, sondern wir definieren uns selbst. Außerdem führe ich jetzt keine Koalitionsverhandlungen. Die zwei großen Fehler im Auftreten der FDP in den vergangenen Jahren waren: Der Verlust der Unabhängigkeit gegenüber einzelnen Interessengruppen und die einseitige Abhängigkeit von der Union. Im Ergebnis schien es so zu sein, als ob die FDP nur für bestimmte Branchen arbeite und als ob wir selbst gar nicht mehr wichtig wären. Das ist vorbei. Ein für alle Mal.

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