23.02.2019FDPEuropäische Union

BEER-Interview: Europa braucht effektive Strukturen

Die FDP-Generalsekretärin und Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl, Nicola Beer, gab „Focus Online“ (aktuell) das folgende Interview. Die Fragen stellte Margarete van Ackeren.

Frage:Frau Beer, bei der Ordensverleihung "Wider den tierischen Ernst" haben Sie dem staunenden Publikum als Trümmerfrau auf der Bühne erklärt, dass in Wahrheit die Frauen bei der FDP das Sagen haben. Wann wird das auch jenseits des Karnevals fürs Publikum sichtbar sein? Werden Sie Ihrer Partei ein frauenpolitisches Erbe hinterlassen, wenn Sie nach Straßburg gehen? 

Beer: Ich bleibe den Freien Demokraten und dem Führungsgremium ja erhalten.

Frage: Naja, aber als Parteimanagerin, Generalsekretärin, werden Sie ja bald nicht mehr an Bord sein...

Beer: Jeder kann klar erkennen, dass wir mehr Sichtbarkeit unserer kompetenten Frauen erreicht haben. Katja Suding, Lencke Steiner, Marie-Agnes Strack-Zimmermann sind tolle Frauen im Präsidium. Auch in der Bundestagsfraktion gibt es starke Frauen wie Linda Teuteberg, Nicole Bauer, Gyde Jensen … da machen Sie sich mal keine Sorgen!

Frage: Wie wird das mit Ihrer neuen Aufgabe? Es gab vor dem Europa-Parteitag Ende Januar Zweifel, wie nah Sie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán stehen, und diese Zweifel wurden auch aus Ihrer eigenen Partei geschürt. Wie gehen Sie damit um?

Beer: Der Parteitag hat mit einem überzeugenden Wahlergebnis für mich ja gezeigt, was er von diesen Meldungen hält. Ich habe große Sympathien für die Ungarinnen und Ungarn, aber keinerlei Sympathien für die „illiberale Demokratie“ Viktor Orbáns. Wir tun in Europa aber gut daran, mit allen Ländern im Gespräch zu sein. Gerade mit denen, wo Regierungen an der Macht sind, die einen Kurs einschlagen, der für die europäische Idee nicht gerade förderlich ist.

Frage: Jetzt gibt es wieder Wirbel um Orbán. Seine nationalkonservative Regierung hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und US-Milliardär George Soros in einer Medienkampagne die Förderung illegaler Einwanderung vorgeworfen …

Beer: Herr Orbán täte gut daran, seine Kraft verstärkt konstruktiv für das Voranbringen einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik einzusetzen und sich an der Sicherung der gemeinsamen Außengrenzen zu beteiligen. Denn es ist gerade dringend geboten, dass wir Migration fair und human gestalten, aber zugleich steuern und ordnen. Immer nur kritisieren und ablehnen reicht nicht aus.

Frage: Wie soll Europa mit denen umgehen, die zwar für ihre Länder Milliarden von der EU kassieren, wenn es aber um gemeinsame Werte geht, nicht viel mit Europa am Hut haben?

Beer: Es gibt rechtsstaatliche Verfahren, um Fehlentwicklungen zu korrigieren. Da droht auch der Entzug von Geldern oder Stimmrechten. Wir sehen allerdings gerade, dass dieses Artikel-7-Verfahren nicht so greift, wie wir es gerne hätten, weil die nationalen Regierungen es regelmäßig im Rat blockieren. Wir wollen das durch ein permanentes, unabhängiges Evaluierungsverfahren ersetzen, das auch rechtlich belastbare Aussagen und Erkenntnisse liefert.

Frage: Die Debatte über Ungarn und Orbán könnte ja einen Vorgeschmack auf den Wahlkampf geben: Wird das eine Schlacht „Die Gegner der EU gegen die Kämpfer für die europäische Idee“?

Beer: Wir wollen einen solchen Wahlkampf nicht. Wir wollen die Reform der Europäischen Union. Die ist nämlich in keinem guten Zustand. Wir glauben, dass wir so Populisten am rechten und linken Rand Paroli bieten können. Die können nämlich auf der Empörungswelle über die Missstände der EU bisher ziemlich ungestört surfen. Die EU ist nicht schnell genug, oft nicht handlungsfähig, und sie bringt das große Gewicht, das Europa eigentlich hat, international nicht auf die Waagschale.

Frage: Klingt finster.

Beer: Es ist doch für jeden erkennbar, dass wir in den großen Fragen nicht vorankommen: Gemeinsame Außenpolitik, Sicherheit, Migration, Ausbau des Binnenmarkts, Digitalisierung – all das läuft nicht. Bürger haben zu Recht den Anspruch, dass Europa endlich liefert. Es braucht Strukturreformen und eine andere Arbeitsweise der EU. Bei der Einmischung in den Alltag könnte sich die EU hingegen dann mal etwas zurückhalten.

Frage: Damit Europa schneller wird, wollen Sie in allen Bereichen künftig Mehrheitsentscheide ...

Beer: Ja. Das gelingt vielleicht nicht in einem Zug, aber Schritt für Schritt. Fast drei Jahrzehnte lang gab es in Europa eine große Koalition von Sozialisten und Konservativen – da ist einiges an Verkrustungen entstanden. Wir wollen in einigen Bereichen das Demokratie-Defizit abbauen …

Frage: Unterstützen Sie also das Konzept mit Spitzenkandidaten, der – oder die – dann Präsident(in) der Kommission wird?

Beer: Wir sind eigentlich Unterstützer dieses Modells. Es macht aber nur Sinn, wenn es paneuropäische Listen gibt. Die gibt es bisher nicht. Deshalb haben wir uns diesmal bewusst für ein Spitzenteam entschieden.

Frage: Was wollen Sie denn konkret ändern, um Europa demokratischer zu machen?

Beer: Wir wollen die Kommission verkleinern auf maximal 18 Kommissare, das Parlament soll endlich Gesetzes-Initiativen starten dürfen. Und wir wollen einen neuen Versuch für eine europäische Verfassung starten …

Frage: Mutig, mutig. In den Niederlanden und Frankreich hat ja vor Jahren eine Mehrheit bei einem Referendum den Plan abgelehnt …   

Beer: Uns ist das wichtig. Wir wollen keine nationalen Referenden, sondern eine breite Bürgerbeteiligung bei der Erarbeitung der Verfassung und dann eine europäische Abstimmung. In der Bevölkerung gibt es viel Bewegung. Noch vor einigen Jahren schien vielen die Idee einer europäischen Armee undenkbar. Jetzt gibt es Rückenwind, weil die Bürger sehen, dass dies ein Weg ist, das eigene Wertemodell über Prävention und friedenserhaltende Maßnahmen abzusichern.

Frage: Soll diese europäische Armee die nationalen Streitkräfte, also auch die Bundeswehr, komplett ersetzen?

Beer: Mittel- bis langfristig ja.

Frage: Für die SPD zum Beispiel sollen weit reichende Sozialversprechen das Lasso sein, um die Menschen für Europa einzufangen. Was ist das Lasso der FDP?

Beer: Wir wollen andere Strukturen, damit Europa schneller entscheidungs- und handlungsfähig ist. Und wir wollen Europa wieder zu einem Kontinent der Chancen machen – der Innovation, der Forschung und Entwicklung. Gerade Digitalisierung und Bildung wollen wir voranbringen. Das bringt nämlich die eigentliche Chancengerechtigkeit für die Menschen, nicht Transfertöpfe, die zu Abhängigkeiten und letztlich zu Entmündigung führen. Es braucht das Signal, dass „Weiter so“ keine Antwort für Europa sein kann.

Frage: Europa kann sich in Zeiten eines Donald Trump weniger denn je auf den Schutz der USA verlassen. Wie gehen Sie damit um?

Beer: Wir müssen als Europäerinnen und Europäer selbst stark, mündig und handlungsfähig werden. Da geht es um Freihandel auch jenseits der erhofften Fortsetzung der Gespräche mit den USA, aber auch um eine starke Rolle in der NATO. Es braucht jetzt eine starke Gegenstimme, eine europäische Stimme.

Frage: Eine Gegenstimme gegen Trump?

Beer: Ja. Wir brauchen eine starke Gegenstimme gegen Trump, wenn es um Bürger- und Menschenrechte geht. Da hat Europa ja andere Vorstellungen zum Beispiel von einer Migrations- und Flüchtlingspolitik, wie sie human zu organisieren ist.

Frage: Trump fordert zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Anteil an den Militärausgaben. Die FDP will „langfristig“ drei Prozent.

Beer: Wir sind der festen Überzeugung, dass man den Verteidigungsetat nicht unabhängig von Fragen der Diplomatie und der Entwicklungszusammenarbeit sehen darf. Hier braucht es eine gemeinsame Strategie in Europa. Es geht um drei Prozent für diese Bereiche gemeinsam.

Frage: Die Bundesregierung hat eine Erhöhung auf 1,5 Prozent bis 2024 zugesagt – für Investitionen in die Bundeswehr und deren Ausrüstung. Sind am Ende Ihre drei Prozent sogar weniger, weil Sie so viel reinrechnen?

Beer: Naja, wenn man mit Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit erfolgreich ist, wird man immer weniger für klassische Verteidigung brauchen. Aber noch haben wir bei der Ausrüstung der Bundeswehr sicherlich kräftigen Nachholbedarf. Denn die Bundesregierung wird wohl auch die 1,5 Prozent nicht erreichen, zu Lasten der Ausrüstung der Bundeswehr, vor allem der Soldatinnen und Soldaten.

Frage: Sie fordern im Wahlprogramm, „in allen Ämtern in Europa Englisch als zusätzliche Verwaltungssprache einführen“. Das könnte schon in Deutschland schwierig werden …

Beer: Das ist eine Herausforderung, klar. Doch das Deutsche und das Englische haben ja eine gemeinsame Sprachwurzel.

Frage: In Deutschland brauchte es dann aber ein riesiges Fortbildungsprogramm oder? Denken Sie an die kläglichen Anfangsversuche der Deutschen Bahn vor einigen Jahren mit Englisch …

Beer: Ja. Aber es muss ja nicht jeder perfekt Englisch beherrschen, sondern es geht darum, dass es in Summe ausreichend Personal braucht, das Englisch kann. Überhaupt sind wir der Meinung, dass man Mehrsprachigkeit in Europa stärker fördern sollte. Wir wollen, dass Menschen in Europa mobiler werden, dass es für sie leichter wird, sich niederzulassen, eine Firma zu gründen oder im anderen Land zu arbeiten. Wir wollen eine neue Grundfreiheit, die Bildungsfreizügigkeit einführen, weil das der Bereich ist, der von der bisherigen Freizügigkeit noch nicht erfasst ist. Hier muss Europa den Menschen den konkreten Mehrwert bringen. Für den machen wir ja Politik, nicht zur Beschäftigung der Politik mit sich selbst.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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