06.04.2019FDP

BEER-Interview: Europa ist zu lahm

Die FDP-Generalsekretärin und Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl, Nicola Beer, gab "echo-online.de" das folgende Interview. Die Fragen stellte Tim Maurer.

Frage: Frau Beer, wie viel Europa steckt in der Bergstraße?

Beer: Jede Menge, denn die Bergstraße ist ja eine hochaktive Region – also auch eine, die eingebettet ist in dieses Europa. Hier wird der Freiraum zum Austausch genutzt und Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, auch gute Köpfe anzuziehen, die nicht das Privileg hatten, an der Bergstraße geboren worden zu sein.

Frage: Wie schätzen Sie die regionalen Folgen des Brexits ein?

Beer: Ich habe ja die Hoffnung, dass sich der Brexit doch noch irgendwie verhindern lässt. Wir erleben aktuell hochemotionale Debatten im britischen Parlament. Klar ist allerdings: Wenn es zum Brexit kommt, erst recht zu einem ungeordneten, dann sind auch negative Auswirkungen auf beiden Seiten zu erwarten. Aktuell müssen wir darauf achten, nicht nur über die Scheidungsurkunde zu sprechen, sondern vor allem über die Zukunft nach der Scheidung.

Frage: Man könnte meinen, Sie müssten in der Wiege des Liberalismus nicht auf Stimmenfang gehen. Warum tun Sie es doch?

Beer: Wir werben dafür, sich an der Europawahl aktiv zu beteiligen, weil diese Abstimmung besonders wichtig ist. Europa, das aktuell in keiner guten Verfassung ist, muss dringend neu aufgestellt werden. Wir müssen schneller entscheidungs- und handlungsfähig sein und uns auf die wichtigen Fragestellungen konzentrieren. Europa muss wieder ein Innovationskontinent werden – ein Kontinent der Chancen. In der „Weiter so“-Philosophie der faktischen GroKo in Brüssel sehen wir viel Stillstand. Die Populisten möchten Europa am liebsten abschaffen. Wir möchten allerdings nicht, dass die Gemeinschaft zerbröselt.

Frage: Was möchten Sie für Ihre Heimatregion Rhein-Main im Europäischen Parlament erreichen?

Beer: Ich glaube, es würde ganz Deutschland guttun, wenn wir bei Fragen zur Migrationspolitik, einer gemeinsamen Umwelt- und Klimapolitik, Aspekten der inneren und äußeren Sicherheit sowie in Handelsfragen stärker gemeinsam auftreten. Ich werbe sehr darum, die Möglichkeiten bei Forschung und Entwicklung zu bündeln und die weltbesten Köpfe anzuziehen. Davon kann die Rhein-Main-Region und auch die Bergstraße nur profitieren.

Frage: Sie haben deutsch-französisches Abitur gemacht – war Ihnen damals klar, dass es Sie mal auf die europäische Bühne zieht?

Beer: Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für Europa und den Austausch mit anderen Menschen. Ich bin sehr neugierig, gerade wenn Menschen mit einer anderen Kultur, Sprache oder Lebensstil aufgewachsen sind. Wir möchten uns für eine Freizügigkeit des Austauschs mit anderen Ländern einsetzen. Weil das Menschen verändert. Es macht den Einzelnen stark, weil er sich ein halbes Jahr in der Ferne durchgeboxt hat. Und man kann aus einer solchen Zeit unheimlich viel mitnehmen. Zumal das auch ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl schafft.

Frage: Aktuell gehen viele junge Menschen zum Protest freitags auf die Straße – auch an der Bergstraße. Stehen Sie dieser Bewegung ähnlich kritisch gegenüber wie Ihr Parteivorsitzender Christian Lindner?

Beer: Ich finde es gut, wenn sich junge Leute engagieren. Allerdings glaube ich, dass man das auch in seiner Freizeit tun kann. Meiner Ansicht nach sollten junge Menschen die Möglichkeiten nutzen, die ihnen die Schule bietet, um später uns Politikern als Profis helfen zu können – beispielsweise dem Klimawandel zu begegnen. Ich denke, das kann man beides miteinander verbinden.

Frage: Sie wurden mal mit den Worten zitiert „Gegen Wohnungsnot und hohe Mieten helfe Bauen – mehr, schneller und günstiger.“ Warum funktioniert das an der Bergstraße nicht?

Beer: Ich glaube, das ist nach wie vor der richtige Ratschlag. Der würde funktionieren, wenn genügend Bauland ausgewiesen würde. Insbesondere der Staat sitzt noch auf Land. Die Nachverdichtung geht viel zu langsam voran. Baugenehmigungsverfahren sind ähnlich wie neue Planungsverfahren zu langwierig. Gleichzeitig haben wir zu wenig Anreize für Private, sich in diesem Bereich zu engagieren. Wir wollen aus den Deutschen ein Volk der Eigentümer machen.

Frage: Es muss natürlich bezahlbar sein.

Beer: Der Staat verteuert an vielen Stellen diese Dinge. Er hat es in der Hand, bei der Preisspirale nach unten zu gehen.

Frage: Bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: Die Art und Weise wie Viktor Orban sein Land führt, finde ich…

Beer: ...nicht gut. Es ist nicht meine Regierung. Allerdings ist es eine demokratisch gewählte Regierung, die wieder abgewählt werden kann. Aus diesem Grund unterstützen wir auch unsere Parteifreunde von „Momentum“ in Ungarn.

Frage: Was hilft gegen Nationalismus?

Beer: Ich glaube, dass Nationalisten nur auf den eigenen Horizont schauen. Man muss zeigen, dass es bessere Konzepte und Ergebnisse im europäischen Kontext gibt – und man muss handeln. Dazu gehören mehr Mehrheitsentscheidungen und eine Verkleinerung der Kommission ebenso wie die Beendigung des Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg.

Frage: Können Sie drei Wörter finden, die exemplarisch für die künftigen Herausforderungen der EU stehen?

Beer: „Einheit in Vielfalt“ – ein einiges Europa, aber kein vereinheitlichtes Europa. Eine EU, die sich auf große Fragen konzentriert, aber vor Ort denen die Regelung überlässt, die bei den Menschen sind.

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