01.03.2019FDPFDP

BEER-Interview: Ich fordere den Zukunftsfonds

Die FDP-Generalsekretärin und Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl, Nicola Beer, gab dem dem „DUB UNTERNEHMER-Magazin“ (aktuell) das folgende Interview. Die Fragen stellte Martin Nahrgang.

Frage: Stärkung des Initiativrechts, Verkleinerung der Kommission, Beendigung des Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg. Ihr Programm für die Europawahl ist sehr ambitioniert. Wo sehen Sie am ehesten die Möglichkeit schneller Erfolge?

Beer: Die Bürger glauben mehrheitlich an das Projekt Europa, sind aber auch der Meinung, dass in Brüssel etwas falsch läuft, weil die wirklich großen Fragen nicht angegangen wurden. Institutionelle Reformen in der EU sind daher dringend notwendig, um das Demokratiedefizit zu verringern, schneller entscheidungs- und handlungsfähig zu sein und die Bürokratie abzubauen. Da die Verkleinerung der Kommission bereits im Vertrag von Lissabon festgeschrieben wurde, ist die Reduzierung der Anzahl der Kommissare auf zwei Drittel der Zahl der Mitgliedsstaaten der erste Schritt, den man angehen könnte. Hier bedarf es keiner Primärrechtsänderung und die Verkleinerung könnte somit schon mit Beginn der Amtszeit der nächsten Kommission umgesetzt werden. Um weitere Reformen voranzutreiben, hoffen wir darauf, als ALDE Fraktion – Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa – zweitstärkste Kraft im Parlament zu werden. Dann können wir neben den institutionellen Reformen auch die Innovation stärker fördern, die Bürgerbeteiligung erhöhen, den Binnenmarkt vollenden und zudem gezielt Gründer und Start-ups unterstützen.

Frage: Bei der Europawahl 2014 gingen in Deutschland knapp 48 Prozent der Stimmfähigen an die Urne. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl 2017 wählten rund 75 Prozent. Warum sollten sich die Menschen mehr für diese Wahl interessieren?

Beer: Diese Wahl ist eine Richtungswahl. Seit Jahrzehnten regiert im Europaparlament faktisch eine große Koalition von Sozialdemokraten und Konservativen. Da ist allerhand Verkrustung und Ermüdung zu spüren. Die dringenden Fragen – etwa bei Migration, innerer und äußerer Sicherheit, Digitalisierung und Klimaschutz – werden nicht geklärt. Stattdessen nehmen die Bürger die EU immer mehr als Bürokratiemonster wahr. Das nutzen jetzt die europakritischen Populisten von links und rechts. Beim Brexit-Referendum konnte man sehen, zu was das führt. Daher muss die Union grundlegend erneuert werden. Sie soll sich auf die großen Fragen konzentrieren, die wir nur gemeinsam lösen können. Es geht um die Grundsatzentscheidung: entweder wir reformieren die EU, oder sie zerbröselt uns zwischen den Fingern.

Frage: Mit „der Implementierung von 5G drohen ernste, irreversible Konsequenzen für den Menschen“, warnen mehr als 400 Mediziner und Naturwissenschaftler in einem jüngst veröffentlichten Appell für einen Ausbaustopp der 5G-Mobilfunk-Technik. Sie verweisen auf höhere Strahlung und Krebsrisiken. Wie ist Ihre Einschätzung?

Beer: 5G ist erst einmal ein Standard, der auf allen Frequenzen genutzt werden kann. Ob allgemein „Funkwellen“ schädlich sind, ist eine Frage der Feldstärken. Für diese Feldstärken gibt es Grenzwerte, ob bei Radiowellen, Fernseh-Übertragung, Walkie-Talkies, WLAN, Mikrowellen, GSM, UMTS oder eben 5G. Wenn diese Grenzwerte eingehalten werden, ist 5G genauso schädlich oder unschädlich wie die restlichen Nutzungen. Auch ohne 5G-Technologie wurde der Handystrahlung, ähnlich wie zuvor beim Radio, tödlich krankmachende Wirkungen nachgesagt, was dann wieder zurückgenommen wurde. Hinter dieser Angst steckt das sogenannte „Vorsorgeprinzip“, das auch stark im europäischen Recht verankert ist. Kurz gesagt beinhaltet es, dass möglichst alle denkbaren Belastungen, oder Schäden für die Umwelt und die menschliche Gesundheit im Voraus vermieden werden müssen, auch wenn die tatsächlichen Risiken gar nicht bekannt sind. Dem gegenüber steht das Innovationsprinzip, das auch die Chancen und Möglichkeiten einer neuen Technologie einbezieht. Dieses gilt es neben dem Vorsorgeprinzip zur Geltung zu bringen. Welche Innovationen mit der 5G-Technologie – übrigens auch für die Gesundheit der Menschen – ermöglicht werden, ist noch gar nicht ersichtlich. Wenn die Menschheit immer nur nach dem Vorsorgeprinzip gelebt hätte, säße sie wohl heute noch in Höhlen. Gesundheitsgefahren muss man ernst nehmen, unwissenschaftliche Panik ist aber kein guter Ratgeber.

Frage: In China werden knapp 128 Milliarden Euro in die Technologie gepumpt. Die Bundesregierung stellt für Forschung im Bereich Künstliche Intelligenz bis 2025 drei Milliarden Euro zur Verfügung. Wie muss der Aktionsplan „made in Europe“ aussehen?

Beer: Jeder einzelne Mitgliedstaat in der EU – auch Deutschland – ist zu klein, um in diesem Wettbewerb international zu bestehen. Deshalb sollten wir konsequent eine europäische Initiative voranbringen, also die Ressourcen bündeln und so auch die besten Köpfe der Welt anziehen. Denn KI stellt eine Chance dar, die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie langfristig zu sichern. Allerdings warne ich davor, einen Ausgabenwettbewerb mit China auszurufen. Den werden wir nicht gewinnen können. Vielmehr müssen wir den Schwerpunkt auf unsere Industrie und unseren Mittelstand legen. Dabei gilt es, einen weltweit einzigartigen Rechtsrahmen für den Einsatz von KI zu schaffen, etwa durch digitale Freiheitszonen und Deregulierung. So können wir Rahmenbedingungen schaffen, KI-Talente nach Deutschland bringen, ohne mit den Gehältern, die in den USA oder in China gezahlt werden, mithalten zu müssen.

Frage: Kommen wir zu US-Tech-Konzernen: Abkommen haben dazu geführt, dass Milliarden an Einnahmen durch Steuervermeidung der US-Tech-Konzerne verloren gehen. Was muss sich da auf europäischer Ebene ändern?

Beer: Das Budgetrecht ist ein Kernrecht aller Demokratien. Daher sind wir gegen eine Harmonisierung der Steuersätze. Nur durch Steuerwettbewerb werden die Staaten angehalten, mit ihren Ressourcen effizient umzugehen. Es braucht eine EU-weite gemeinsame Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage und Mindeststandards für rechtsverbindliche Steuervorbescheide. Mit einer am Umsatz ausgerichteten Digitalsteuer würden wir uns dagegen ins eigene Fleisch schneiden. Europa darf in seinen Grenzen den digitalen Wandel nicht ausbremsen. Nach gleicher Logik wären deutsche Exportprodukte weltweit betroffen. Zudem würden die USA so eine Steuer unweigerlich – und zutreffend – als Affront begreifen. Erstes Ziel von Gegenmaßnahmen wären deutsche Automobile. Das kann nicht in unserem Interesse sein.

Frage: Google, Facebook oder Twitter haben im Herbst 2018 einen eigenen Verhaltenskodex unterzeichnet, um der Verbreitung von Falschmeldungen entgegenzuwirken. Die Angaben beruhen jedoch auf Freiwilligkeit. Wie schaffen wir künftig mehr Transparenz, Sicherheit und die Bereitstellung aller Daten?

Beer: Unternehmen können nicht die Aufgabe von Gerichten übernehmen und Inhalte zensieren. Private Anbieter sind nicht in der Lage zu entscheiden, ob eine Äußerung nur satirisch gemeint oder eine Volksverhetzung ist, ob sie nur geschmacklos oder schon rechtswidrig ist. Rechtswidriges Verhalten muss von funktionierenden Strafverfolgungsbehörden geahndet werden. Datenschutz, Datensouveränität und informationelle Selbstbestimmung sehe ich dabei nicht als Gegner der Digitalwirtschaft, sondern als Grundlage für eine faire und funktionierende Datenökonomie. Wir müssen Herr über die Nutzung unserer Daten bleiben – sei es gegenüber privaten Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter oder gegenüber dem Staat. Anders verhält es sich mit bewussten Falschmeldungen. Diese sind nicht durch die grundgesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit geschützt. Es liegt in der Verantwortung der Plattformbetreiber, diese selbst zu unterbinden. Dies ist übrigens auch im Interesse der Plattformbetreiber selbst, denn ein soziales Netzwerk, das voll von Falschmeldungen ist, verliert an Attraktivität.

Frage: Wo kann Europa in Sachen Innovation, Datenschutz und Regulierung punkten?

Beer: Wir begrüßen, dass es nun endlich ein einheitliches Datenschutzrecht in der EU gibt. Allerdings haben Schwierigkeiten in der Umsetzung der DSGVO gezeigt, dass eine Weiterentwicklung erforderlich ist. Der bürokratische Aufwand darf gerade kleine und mittlere Unternehmen nicht zusätzlich belasten. Datengetriebene Geschäftsmodelle müssen weiterhin in der EU möglich sein. Wir dürfen Daten nicht so sehr schützen, dass gar keine Nutzung mehr möglich ist. Wir wollen an den Chancen der Datenökonomie teilhaben, aber mit europäischen Vorstellungen von Datenschutz. An diese Standards müssen sich ausländische, in der EU tätige Unternehmen halten.

Frage: Deutschland soll trotz möglicher ökonomischer und technischer Risiken zum Leitmarkt für 5G werden. Braucht es flächendeckendes 5G in allen Staaten?

Beer: Ein Internetausbau in der Fläche ist das Schlüsselelement unserer Zukunftsfähigkeit in einer digitalisierten Welt. Der Arbeitsmarkt ändert sich in dramatischem Tempo, nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU. Wenn wir in Zukunft Arbeit neu organisieren wollen und am Ziel eines gemeinsamen digitalen Binnenmarktes festhalten, dann brauchen wir neben dem leitungsgebundenen Gigabit-Internet auch eine Funklösung, die jeden erreichen kann. Welche Innovationen mit der 5G-Technologie – übrigens auch für die Gesundheit der Menschen – ermöglicht werden, ist noch gar nicht ersichtlich. Wenn die Menschheit immer nur nach dem Vorsorgeprinzip gelebt hätte, säße sie wohl heute noch in Höhlen. Gesundheitsgefahren muss man ernst nehmen, unwissenschaftliche Panik ist aber nie ein guter Ratgeber.

Frage: Die FDP sieht sich als Partei für Gründer und Unternehmer. An welchen Stellen muss sich konkret etwas ändern, um Unternehmen zu stärken?

Beer: Zunächst gilt es einmal festzuhalten, dass wir einen starken innovativen Mittelstand in Deutschland haben, der sich international nicht zu verstecken braucht. In Berlin, im Ruhrgebiet, in Hamburg und in Frankfurt hat sich zudem eine ernst zu nehmende Gründerszene etabliert, und bei Venture-Capital und Inkubatoren haben wir weit aufgeholt. Konkret setzen wir uns für eine europäische Venture-Capital-Verordnung ein, die beste Bedingungen für Wagniskapital schaffen soll. Dabei soll auch ein unabhängiges Inkubator-Programm helfen. Ein „Zukunftsfonds Europa“ könnte durch entsprechende Risikobündelung Venture-Capital an zukunftsträchtige, junge und innovative Unternehmen geben. Zudem wollen wir in der Europäischen Union eine Vereinheitlichung der Regeln zum Crowdfunding und digitale Freiheitszonen neben Freihandelsabkommen mit Drittstaaten in der EU.

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