24.10.2016FDPFDP

BEER-Interview: Zeit für Neuwahlen

Berlin. Die FDP-Generalsekretärin NICOLA BEER gab der „Welt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THORSTEN JUNGHOLT:

Frage: Vorige Woche haben sich 100 Vertreter von SPD, Grünen und Linker getroffen, um über eine künftige Zusammenarbeit zu sprechen. Halten Sie das Projekt Rot-Rot-Grün für eine ernsthafte Option nach der nächsten Bundestagswahl, Frau Beer?

BEER: Was denn sonst? Wer sich wie die SPD parallel zu einer amtierenden Regierungskoalition mit anderen Parteien zusammensetzt und sogar in Arbeitsgruppen sondieren will, der meint es ernst. Ich frage mich: Was wäre eigentlich in Deutschland los gewesen, wenn die Union mit Rechtspopulisten in gleicher Form angebandelt hätte? Aber in der SPD scheint es niemanden mehr zu stören, wenn mit Frau Lafontaine (Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, d. Red.) verhandelt wird, die seit ihrer SED-Mitgliedschaft stramme Linke ist. Ich halte das für eine große Geschichtsvergessenheit. Jedenfalls sollte die SPD sich ehrlich machen.

Frage: Was heißt das?

BEER: Sigmar Gabriel sollte klar sagen, dass er mit Linken und Grünen als Mehrheitsbeschaffern Frau Merkel als Kanzlerin ablösen will. Dann gibt es aber keinen Grund mehr, weiter am Ministersessel festzuhalten. Die SPD sollte aus der Regierung ausscheiden. Dann ist Zeit für Neuwahlen. So hätte die Bevölkerung die Möglichkeit, über rot-rot-grüne Projekte abzustimmen – also über höhere Steuern und Abgaben, noch mehr Umverteilung, zusätzliche Bürokratiemonster, neue Bevormundung, Ablehnung von Freihandel und außenpolitische Unberechenbarkeit.

Frage: CDU-Generalsekretär Tauber reagiert auf die rot-rot-grünen Pläne, indem er sagt: Die Linke ist die rote AfD. Was halten Sie von dieser Rote-Socken-Kampagne 2.0?

BEER: Ich glaube nicht, dass Rote-Socken-Kampagnen verfangen. Aber es ist richtig, dass sich sowohl in Handlungsstruktur als auch in der Wählerklientel rechte wie linke Populisten durchaus decken. AfD und Linke sind für ihre Wähler austauschbar, wie die letzten Landtagswahlen gezeigt haben.

Frage: Wird Rot-Rot-Grün versuchen, schon bei der Bundespräsidentenwahl ein Zeichen zu setzen? SPD-Chef Gabriel hat jetzt Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten vorgeschlagen.

BEER: Gabriels Vorstoß für Steinmeier muss man so verstehen. Es wird spannend, ob die Grünen rote Farbe bekennen. Letztlich wird es an ihnen liegen, sich auf Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün festzulegen. Denn die Partei ist zerrissen, wie der Streit um mehr Steuerbelastungen zeigt.

Frage: In Österreich ist es schon lange zu beobachten, nun auch in Deutschland: Eine große Koalition stärkt die Ränder. Wäre ein Linksbündnis nicht demokratietheoretisch auch für eine Liberale das kleinere Übel als die Fortsetzung von Schwarz-Rot?

BEER: Für mein Land will ich kein kleineres Übel. Meine demokratische Alternative heißt FDP. Im Kern sind sich doch alle anderen Parteien ähnlich. Sie kümmern sich vermeintlich behütend und bestimmend um den sogenannten kleinen Mann, der rundum versorgt werden muss und alle Entscheidungen abgenommen bekommt. Wir haben ein anderes Menschenbild: Wir wollen den Einzelnen stark machen, ihn gut ausbilden und ihm Freiräume geben, damit er selbstbestimmt sein eigenes Leben gestalten kann.

Frage: Sie haben nur, anders als Union, SPD, Grüne und Linke, keine reale Machtperspektive. Oder?

BEER: Unser erstes Etappenziel ist es, wieder in den Bundestag zurückzukehren, um dort unsere Ideen einbringen zu können. Im Parlament werden wir über Inhalte diskutieren, nicht über Machtoptionen. Die ergeben sich bei inhaltlichen Übereinstimmungen von allein. Es deutet vieles darauf hin, dass die politische Lage im Bundestag künftig bunter wird, mit mehr Parteien und mehr Konstellationsmöglichkeiten. Ob und welche für uns infrage kommen, messen wir daran, ob wir unsere Überzeugungen umsetzen können.

Frage: Inhaltlich immerhin nähert sich die CDU Ihnen wieder an. So redet Finanzminister Schäuble mittlerweile wieder von steuerlichen Entlastungen, zum Beispiel beim Soli ...

BEER: Das ist doch eine Mogelpackung. Sechs Milliarden Euro Entlastung sind bei den höchsten Staatseinnahmen aller Zeiten ein Witz – zumal die Bürger gleichzeitig mit steigenden Sozialabgaben und Energiepreisen belastet werden. Die FDP hält eine Entlastung der Bürger von 30 Milliarden Euro für machbar.

Frage: Bildungsministerin Wanka hat einen Digitalpakt angekündigt, um Schulen mit Bundesmitteln zu modernisieren. Zumindest das muss Ihnen doch gefallen!

BEER: Ja, aber er kommt leider arg spät und greift vor allem zu kurz. Wir brauchen eine auf alle Lebensbereiche abgestimmte Strategie, um die Menschen quer durch alle Altersgruppen fit zu machen für die Digitalisierung. Hier hat die Bundesregierung zu wenig vorzuweisen. Das gilt auch für den Breitbandausbau. Die Digitalisierung kommt genauso unaufhaltsam, wie die Globalisierung gekommen ist. Nach der Bundestagswahl ist es deshalb die erste Pflicht, ein Ministerium für Digitales zu schaffen.

Frage: Ihr Ernst? Eine neue Bürokratie?

BEER: Nein, eine effizientere Struktur. Derzeit sind die Zuständigkeiten für Digitales auf mehrere Ministerien verteilt. Das heißt, es gibt die Dienstposten, aber keine vernünftige Koordinierung, sondern einen vielstimmigen Chor. Dadurch kommt nichts voran, oder es geht zu langsam. In Sachen E-Government, E-Health oder E-Mobility ist Deutschland Entwicklungsland.

Frage: Letzter Versuch, Gemeinsamkeiten mit der Union zu suchen: Die CSU begehrt gegen den Staatsrundfunk auf, Parteichef Seehofer regt eine Fusion von ARD und ZDF an. Nehmen Sie ihm das ab?

BEER: Wenn er beim Bayerischen Rundfunk anfängt ... Im Ernst: Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind wir überbesetzt, man kann die Hälfte der Sender einsparen, ohne Qualität zuverlieren. Die Sender geben zu viel für seichte Unterhaltung aus statt für Information und Kultur. Das ist eine Zweckentfremdung der Zwangsgebühr.

Frage: Frau Beer, die FDP liegt in den Umfragen nun schon das ganze Jahr stabil über der Fünf-Prozent-Hürde. Trauen Sie den Demoskopen?

BEER: Das ist eine Mut machende Bestätigung unserer bisherigen Arbeit und gibt uns Rückenwind für die anstehenden Wahlen. Aber wir wissen, dass noch viel Wegstrecke vor uns liegt. Bei uns wird keiner übermütig.

Frage: Dafür sorgen schon die neuen Bundesländer. In Ostdeutschland haben Sie den Neuaufbau der FDP noch nicht geschafft, sind außerhalb Berlins in keinem Landesparlament vertreten. Woher resultiert diese Strukturschwäche?

BEER: Immerhin haben wir in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern an Wählerstimmen zuletzt deutlich zugelegt. Es gibt in Ostdeutschland offenbar mehr Bürger, die Angst haben, in unserer Wohlstandsgesellschaft abgehängt zu werden. Denen wollen wir Mut machen und sie davon überzeugen, dass der Weg in die Zukunft nur über beste Bildung für jeden und persönlichen Aufstieg in der sozialen Marktwirtschaft führt.

Frage: Die großen Linien weisen nicht nur im Osten in eine andere Richtung. Angesichts der Weltlage mit Kriegen und Terrorgefahr scheint eher das Bedürfnis nach Sicherheit zu wachsen, nach Abschottung und Renationalisierung. Freiheitsideen liegen eher nicht im Trend.

BEER: Die Wahrheit ist doch, dass ein Zurück in die Nation keine Zukunft erwirtschaftet. Dass Freiheit und Sicherheit sich nicht ausschließen. Dass es nicht Abschottung braucht, sondern einen durchsetzungsfähigen Rechtsstaat, der Schutz und Ordnung garantiert, ohne die Bürgerrechte zu beschneiden. Deshalb sind Freie Demokraten wichtiger denn je.

Frage: Nicht mal ein Freihandelsabkommen ist mehr hinzubekommen. TTIP droht zu scheitern, Ceta hängt in der Warteschleife. Woraus resultiert diese Angst vor gemeinsamen Märkten mit Nordamerika?

BEER: Den Gegnern von TTIP und Ceta ist es gelungen, den Anschein zu erwecken, mit der Ablehnung von Freihandel könne man die Globalisierung stoppen. Das ist nicht der Fall. Mit Ceta und TTIP kann man sie vielmehr ordnen. Wenn wir uns jedoch vom internationalen Handel abkoppeln, werden wir nur Ausbildungs- und Arbeitsplätze verlieren. Und damit Wohlstand und unsere Zukunft. Gerade unser Mittelstand braucht diese Abkommen, eben nicht die großen Konzerne, die ohnehin überall vertreten sind. Freier Handel ist das einzige Konjunktur- und Investitionsprogramm, für das wir keinen einzigen Euro Steuergeld ausgeben müssen.

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