FDPDreikönigstreffen 2016

Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Angst

Nicola Beer und Christian LindnerNicola Beer und Christian Lindner auf dem Dreikönigstreffen der Freien Demokraten
08.01.2016

In seiner Rede auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart hat FDP-Chef Christian Lindner vor der "Rückkehr der German Angst" gewarnt und Strategien zur Bewältigung der vielen internationalen Krisen aufgezeigt. "Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Angst selbst. Angst macht das Denken klein, den Horizont eng, das Handeln kopflos", sagte Lindner. Der Freidemokrat kündigte an: "Der German Angst setzten wir den German Mut entgegen." Das Jahr 2016 müsse nicht ein weiteres Krisenjahr sein: "Machen wir daraus das Jahr der großen Chancen."

Mit Blick auf Sehnsüchte nach mehr Sicherheit durch Überwachung sowie das Erstarken nationalistischer Bewegungen als Produkte der Verunsicherung erinnerte Lindner daran, dass die Gesellschaft längst weiter sei, als viele glaubten. "Echte Sicherheit fühlt nur der selbstbestimmte, gebildete Mensch in sich selbst. Die Stärkung des Einzelnen, das ist unser politischer Anspruch."

Staatsversagen in der Flüchtlingskrise beenden

Menschen auf der Flucht vor Krieg und Verfolgen müssten selbstverständlich geschützt werden, verdeutlichte Lindner. Dies ist aus seiner Sicht ein moralischer Imperativ. Der Satz der Bundeskanzlerin "Wir schaffen das" ersetze allerdings kein durchdachtes Regierungshandeln. Der FDP-Chef prangerte die Uneinigkeit der Großen Koalition in der Krise an. Die öffentliche Zerstrittenheit auf dem jüngsten Unionsparteitag sei beschämend gewesen, konstatierte er. Lindner lobte das "großartige Engagement aus der Mitte der Gesellschaft" an Stellen, wo der Staat versagt habe. Im Jahr 2015 habe sich die Regierung auf die Bürger verlassen können – im Jahr 2016 müsse es wieder umgekehrt funktionieren, forderte er.

Dafür müsse das Chaos im Asylsystem aufgeräumt werden. Der de facto unbegrenzte Aufenthalt aller aktuell ankommenden Flüchtlinge habe eine massive Sogwirkung ausgelöst, stellte Lindner fest. Das Asylsystem sowie das Einwanderungsrecht müssten dringend modernisiert werden. Zwischen endloser Aufnahmebereitschaft und Abschottung müsse es einen dritten Weg geben – mit vorübergehendem humanitärem Schutz für Kriegsflüchtlinge und einem einheitlichen Einwanderungsgesetz. Letzteres sollte bessere Wege der legalen Einwanderung in den Arbeitsmarkt öffnen – auch angesichts des Fachkräftemangels.

Flüchtlingshilfe vor Ort ist effektiver

Nicht zuletzt müsse der deutsche Alleingang in der Flüchtlingspolitik beendet werden. Mit ihrem Handeln habe die Bundeskanzlerin Deutschland sowie Europa in Chaos gestürzt, unterstrich Lindner. Die europäische Idee dürfe jedoch nicht untergraben werden, mahnte er mit Blick auf die Welle der Grenzschließungen, die die Asylkrise begleiteten. Stattdessen braucht es aus seiner Sicht mehr Zusammenhalt und gesamteuropäische Strategien, nicht nur in der Asylpolitik, sondern auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Viel zu lange sei die Destabilisierung diverser Länder in Nordafrika und im Nahen Osten ignoriert worden. "Wir dürfen unsere Augen nicht länger vor der Not der Menschen in den Nachbarstaaten Syriens verschließen", unterstrich der FDP-Chef. Jeder Euro für die Hilfe der Flüchtlinge in Jordanien und der Türkei habe die zehnfache Wirksamkeit der Ausgaben hierzulande.

Es darf keine rechtsfreien Räume geben

Im Bereich der inneren Sicherheit unterstrich Lindner, dass der Rechtsstaat immer und überall greifen müsse. Er zeigte sich von den Ereignissen in Köln mit massenhaften Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht entsetzt, stellte allerdings klar, dass kein zusätzliches "Integrationsgesetz" diese Vorkommnisse gehindert hätte, sondern nur eine starke Polizeiarbeit und eine bessere Koordination mit der Justiz. "Ich habe den Eindruck, in Deutschland gibt es bereits rechtsfreie Räume", kritisierte er. Dieser Zustand dürfe nicht geduldet werden. Die Freien Demokraten wollten, dass die Bürger sich in jedem Winkel des Landes auf die Autorität des Rechtsstaates verlassen könnten. Nun brauche es eine lückenlose Aufklärung der Hintergründe und klare Konsequenzen für die Täter.

"Der Staat muss Probleme lösen, statt Symboldebatten zu führen", mahnte Lindner.  Die Freien Demokraten wüssten auch sehr wohl um die Bedeutung von Polizei, Militär und Geheimdiensten. Allerdings seien die derzeit mangels Ausstattung und Organisation nicht in der Lage, ihren Aufgaben adäquat nachzukommen. Da würden auch die fortwährenden Forderungen nach neuen Gesetzen nicht helfen. In diesem Zusammenhang nahm der FDP-Chef auch die Vorratsdatenspeicherung ins Visier, die auch in Frankreich Terroranschläge nicht stoppen konnte. Ohnehin kann Lindner der Logik nicht folgen:

Seiner Ansicht nach lauern die Gefahren ganz woanders: Der neue Nationalismus sei die größte Gefahr für Freiheit und Wohlstand in Deutschland. "Flüchtlinge, Eurokrise, Terror bringen Europa nicht ins Wanken – Nationalismus, Rechts- und Linkspopulismus schon", verdeutlichte Lindner.

Deutschland braucht ein Update

Er verfolgt aber auch mit Besorgnis die Politik der Großen Koalition: "Die öffentlichen Finanzen werden in guten Zeiten ruiniert", konstatierte Lindner. Schwarz-Rot habe seit der Bundestagswahl "ein einziges Erntedankfest" veranstaltet und staatliche Leistungen immer weiter ausgedehnt. "Das jetzt den Flüchtlingen in die Schuhe zu schieben, so wie Seehofer das getan hat, ist schäbig", schimpfte der Freidemokrat. Lindner ist überzeugt, dass die Herausforderungen zu meistern sind – und zwar auch ohne Steuererhöhungen oder die Verlängerung des Soli, wie von CSU-Chef Horst Seehofer ins Spiel gebracht.

Ihn beunruhigt allerdings, dass bei den vielen Krisen wichtige Zukunftsthemen vernachlässigt würden. "Es gibt Warnzeichen hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland", unterstrich Lindner. Das Land befinde sich derzeit im Wandel. Das berge Chancen und Risiken gleichermaßen. So sei die zweite industrielle Revolution eine "großartige Chance für Erneuerungsimpulse." Allein: "Die Politik genügt diesen Anforderungen nicht mehr. Deutschland braucht ein Update." Das sei "unser politisches Angebot und unsere Forderung zugleich."

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