FDPDas aktuelle Interview

In der Großen Koalition herrscht Chaos

Christian LindnerChristian Lindner
29.02.2016

Der Umgang mit der Flüchtlingskrise zeigt, wie weit Union und SPD inhaltlich auseinander liegen. CSU-Chef Horst Seehofer rennt der AfD hinterher, SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert einen Investitionspakt für Deutsche, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) lehnt das ab. FDP-Chef Christian Lindner konstatiert: "In der Bundesregierung herrscht das Chaos." Im Gespräch mit der "Passauer Neuen Presse" warnte er davor, "in dieser Situation, wo es hohe Ausgaben wegen der Flüchtlingsaufnahme gibt, noch in Vollen zu gehen und jede Haushaltsdisziplin aufzugeben".

Lindner warf Gabriel vor, durch seine Forderung nach Investitionen für die einheimische Bevölkerung Neid zu schüren, die Stimmung anzuheizen und die Menschen auseinander zu treiben. "Flüchtlinge sind in existenzieller Not und werden hier mit Sicherheit nicht besser untergebracht als bedürftige Deutsche." Im "Bericht aus Berlin" appellierte Lindner an den Vizekanzler, sich um die Lösung der Probleme zu bemühen, statt eine solche Debatte anzuzetteln. "Wir müssen dafür sorgen, dass unser Sozialstaat auch in den kommenden Generationen finanzierbar bleibt. Was Herr Gabriel vorschlägt, ist Harakiri."

Lindner forderte den Finanzminister auf, noch vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt eine mittelfristige Finanzplanung sowie die Eckpunkte für den Haushalt 2017 vorzulegen. "Die Bürger haben ein Anrecht, zu erfahren, ob die Regierung bei sich spart, oder es neue Schulden und höhere Belastungen gibt."

Kurswechsel für europäische Lösung

Aus Lindners Sicht ist ein Kurswechsel der Bundeskanzlerin Voraussetzung für eine gemeinsame europäische Lösung. "Wir brauchen ein Signal an unsere europäischen Partner, dass unsere Aufnahmefähigkeit jetzt begrenzt ist und an Flüchtlinge, dass nicht alle nach Deutschland kommen und auf Dauer bleiben können." Ein wichtiger Baustein sei die Kontrolle über die deutschen Außengrenzen, führte er aus. "Jeder Tag, der jetzt verstreicht, ist verloren. Durchhalteparolen helfen uns in dieser unverantwortlichen und unerträglichen Situation nicht weiter."

Frage: Herr Lindner, nächste Woche findet in Brüssel der EU-Sondergipfel zur Flüchtlingspolitik statt. Rechnen Sie noch mit einer europäischen Lösung?

LINDNER: Solange Frau Merkel an ihrem Kurs festhält und keine politische Wende vollzieht, wird es keine europäische Lösung geben. Deutschland muss wieder zu den Regeln der Dublin-Vereinbarung zurückkehren und an der Grenze alle Kriegsflüchtlinge aus sicheren Drittländern zurückweisen. Wir brauchen ein Signal an unsere europäischen Partner, dass unsere Aufnahmefähigkeit jetzt begrenzt ist und an Flüchtlinge, dass nicht alle nach Deutschland kommen und auf Dauer bleiben können. Ein ganz wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer geordneten Einwanderung ist die Kontrolle über die deutschen Außengrenzen, solange es weiter keine europäische Lösung gibt. Jeder Tag, der jetzt verstreicht, ist verloren. Wir brauchen sichere Grenzen und eine bessere Kontrolle. Frau Merkel soll endlich erklären, was sie eigentlich genau schaffen will und wir das schaffen sollen. Durchhalteparolen helfen uns in dieser unverantwortlichen und unerträglichen Situation nicht weiter.

Frage: Die Wirtschaft warnt vor immensen ökonomischen Folgen und hohen Kosten im Falle von Grenzschließungen ...

LINDNER: Die Belastungen einer unkontrollierten Zuwanderung in wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Hinsicht wären ungleich größer. Auch die Bundesregierung rechnet offenbar nur mit geringen Auswirkungen, sollten die Grenzen wieder gesichert werden.

Frage: Dann wird die Lage in Griechenland und auch Italien noch kritischer werden. Soll die Probleme auf dem Rücken der EU-Partner gelöst werden?

LINDNER: Dazu darf es nicht kommen. Die Flüchtlingshilfe in Nordafrika, im Libanon und der Türkei muss massiv verstärkt werden. Wir dürfen Griechenland und Italien diesmal nicht im Stich lassen. Wir können uns nicht auf Herrn Erdogan als Hoffnungsträger verlassen. Die EU darf sich nicht erpressbar machen und sollte sich nicht in die Hände eines solchen Autokraten begeben.

Frage: In der Großen Koalition wird der Ton schärfer. CSU-Chef Horst Seehofer warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft. Eine berechtige Sorge?

LINDNER: Herr Seehofer ist es, der mit seinen populistischen Forderungen nach Obergrenzen zur Spaltung und Verunsicherung beiträgt. In der Bundesregierung herrscht das Chaos. CDU, CSU und SPD blockieren sich selbst. Da schießt jeder gegen jeden. Herr Seehofer gießt Wasser auf die Mühlen der AfD, und führt Symboldebatten über nicht umsetzbare Obergrenzen. Wirtschaftsminister Gabriel und Finanzminister Schäuble liefern sich einen offenen Schlagabtausch. Kein Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürger da das Vertrauen verlieren. Fernsehauftritte der Kanzlerin wie bei Anne Will werden die Menschen nicht beruhigen, im Gegenteil.

Frage: SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel fordert ein Solidarpaket für die bereits hier lebenden Bürgerinnen und Bürger, damit diese nicht im Vergleich zu Flüchtlingen zu kurz kommen würden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nennt das „erbarmungswürdiges Gerede“. Was halten Sie von dem Vorstoß?

LINDNER: Herrn Gabriel treibt offenbar die schiere Verzweiflung über die Situation der SPD. Er schürt Neid, heizt die Stimmung an und treibt die Menschen auseinander. Flüchtlinge sind in existenzieller Not und werden hier mit Sicherheit nicht besser untergebracht als bedürftige Deutsche. Statt starker Sprüche würde ich mir vom SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler eine klare Linie in der Flüchtlingsfrage wünschen. Wir müssen dafür sorgen, dass unser Sozialstaat auch in den kommenden Generationen finanzierbar bleibt. Es wäre töricht, in dieser Situation, wo es hohe Ausgaben wegen der Flüchtlingsaufnahme gibt, noch in Vollen zu gehen und jede Haushaltsdisziplin aufzugeben. Was Herr Gabriel vorschlägt, ist Harakiri.

Frage: Die SPD will dem Bundeshaushalt 2017 nur zustimmen, wenn es zusätzliche Milliarden für ein Integrationspaket gibt. Wackelt jetzt die „Schwarze Null“?

LINDNER: Es werden bereits die Rückkehr zur Schuldenpolitik und die nächste Steuererhöhung vorbereitet. Herr Schäuble hatte ja unlängst eine EU-weite Benzinsteuer gefordert, er sollte jetzt Klarheit schaffen. Ich erwarte, dass der Finanzminister noch vor den Landtagswahlen die Eckpunkte des Haushalts 2017 und die mittelfristige Finanzplanung öffentlich macht. Die Bürger haben ein Anrecht, zu erfahren, ob die Regierung bei sich spart, oder es neue Schulden und höhere Belastungen gibt.

Frage: Das Bundesverfassungsgericht beginnt in der kommenden Woche mit der Verhandlung des NPD-Verbotsverfahrens. Die FDP steht dem Verbot kritisch gegenüber. Welche Bedenken haben Sie?

LINDNER: Wenn das Verbot gelingt, bitteschön! Doch wenn das Verbot spätestens vor europäischen Gerichten scheitern würde, wäre dies fatal. Das wäre ein schwerer Schaden, und wir hätten eine echte politische Krise. Die NPD zu verbieten, bringt weniger denn je. Deren Mitglieder haben sich längst bei der AfD gesammelt.

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