09.08.2022FDPEnergie

DJIR-SARAI-Interview: In Europa können wir es uns nicht leisten, neutral zu sein.

Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab dem „Handelsblatt“ (Dienstag-Ausgabe) und „Handelsblatt Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Jürgen Klöckner:

Frage: Der Krieg in der Ukraine belastet die Ampelkoalition – von der Frage über weitere Entlastungen angesichts der hohen Energiepreise bis zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Sehen Sie den Koalitionsfrieden gefährdet?

Djir-Sarai: Die Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern sind teilweise sehr groß. Wir als FDP koalieren mit zwei linken Parteien. Wir müssen in der Koalition dafür sorgen, dass Deutschland nicht nach links driftet, sondern in der Mitte bleibt. Ich bin aber überzeugt, dass diese Bundesregierung die richtige ist, um die Zeitenwende, die wir gerade erleben, politisch umzusetzen. Die Besonderheit der Koalition ist, dass sie ganz unterschiedliche Denkweisen und Wählergruppen mitzunehmen vermag und dadurch Akzeptanz für enorme Veränderungen schafft. Ich glaube, Schwarz-Gelb oder Rot-Grün hätte die Zeitenwende so nicht umsetzen können.

Frage: In der Atomfrage ist die FDP näher an der Union als an den Grünen. Ihre Partei will den Weiterbetrieb der verbliebenen Kernkraftwerke bis 2024, den die Grünen kategorisch ablehnen.

Djir-Sarai: In der Frage der befristeten Laufzeitverlängerung haben sich die Grünen ideologisch leider total verrannt. Nur weil die Partei aus der Anti-AKW-Bewegung entstanden ist, können die Grünen nicht die Fakten ignorieren. Wir sind in einer Krisenlage und müssen verhindern, dass wir in der kalten Jahreszeit Versorgungsengpässe bei der Energie bekommen. Dafür braucht es keine Duschtipps, sondern eine Politik, die sich sachlich und nüchtern mit den Fakten auseinandersetzt. Und die Fakten lauten: Wir müssen die verbliebenen drei AKWs länger am Netz lassen, notfalls bis 2024.

Frage: Fürchten Sie, dass der angekündigte zweite Stresstest für die Stromversorgung politisch beeinflusst werden könnte?

Djir-Sarai: Ich unterstelle dem Wirtschaftsminister, dass der erste Stresstest im März der Lage nicht angemessen war. Der Gasmangel wurde nicht ausreichend berücksichtigt. Ich hoffe, dass der jetzige Test unter realistischen Annahmen stattfindet und nicht politisch beeinflusst ist. Wenn ein Stresstest durchgeführt werden würde, dessen Ergebnisse von vornherein feststünden, dann wäre die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt beschädigt. Aber ich habe großes Vertrauen, dass das nicht passiert.

Frage: Der Stresstest wird Ihnen allerdings keine Argumente liefern, die Kraftwerke bis 2024 am Netz zu lassen – er testet nicht die Versorgung über den kommenden Frühling hinaus.

Djir-Sarai: Deswegen bräuchte es einen größer angelegten Stresstest im Vergleich zu dem jetzigen. Nur so können wir die richtigen Maßnahmen treffen, um zu verhindern, dass wir beispielsweise im Winter 2023 in eine ähnliche Lage kommen wie jetzt. Außerdem kann eine solche Prüfung dazu beitragen, die Debatte zu versachlichen.

Frage: Die Grünen werfen der FDP eine Scheindebatte vor und sagen, dass es zu einem Strommangel im kommenden Jahr mit den erneuerbaren Energien, Gassparen und Kohlekraft nicht kommt. Ein Irrtum?

Djir-Sarai: Gas wurde als Brückentechnologie benötigt, um den gleichzeitigen Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohle zu schultern. Diese Brücke ist nun weggebrochen. Es lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, dass wir im kommenden Jahr auf die Kernkraft verzichten können. Sicher aber ist, dass die verlängerte Nutzung die Situation deutlich entspannen würde. Vor allem auch weil wir dann unseren solidarischen Verpflichtungen gegenüber unseren europäischen Nachbarländern verlässlicher nachkommen können.

Frage: Wie blicken Sie auf die Sicherheitsbedenken bei Atomkraftwerken, insbesondere in Kriegszeiten? In der Ukraine wachsen die Sorgen vor einer Nuklearkatastrophe.

Djir-Sarai: Die deutschen Kernkraftwerke gehören zu den sichersten Anlagen weltweit, der TÜV Süd bestätigt das. Ich denke nicht, dass man Parallelen ziehen kann zwischen unseren Anlagen hier in Deutschland und denen in einem Kriegsgebiet. Der Beschuss rund um das AKW von Saporischschja in der Ukraine ist hochgradig besorgniserregend und auf das Schärfste zu verurteilen. Er muss sofort eingestellt werden. Außerdem müssen internationale Experten sicheren Zugang zu dem Gelände bekommen, um die Gefahrensituation vor Ort einschätzen zu können.

Frage: Steht die FDP noch zum Atomausstieg? Grünen-Chefin Lang wirft Ihrer Partei vor, den Ausstieg vom Ausstieg zu planen.

Djir-Sarai: Wir wollen den Atomausstieg definitiv nicht zurückdrehen. Wir stehen zu dem gesellschaftlichen Konsens in dieser Frage. Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien. Dennoch war der gleichzeitige Ausstieg aus Kernkraft und Kohle mit dem Wissen von heute ein Fehler. Aber das Wissen von heute hatte man damals selbstverständlich nicht. Da ist niemandem ein Vorwurf zu machen. Jetzt geht es mit allem Pragmatismus darum, einen bestimmten Krisenzeitraum gut zu überbrücken.

Frage: Bräuchte es Atomkraft auch über 2024 hinaus?

Djir-Sarai: Ich denke, dass sich im Jahr 2024 die Situation entspannt haben wird, da wir bis dahin hoffentlich auch mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien entscheidend vorangekommen sind. Im Moment müssen wir auf Sicht fahren und alle Optionen ausloten, die uns in der derzeitigen Krise helfen können. Dazu gehören der beschleunigte Ausbau der geplanten LNG-Terminals, neue Energiepartnerschaften und die Prüfung einer Erschließung heimischer Gasvorkommen.

Frage: China hat vor Taiwan ein Militärmanöver abgehalten. Fürchten Sie einen neuen Krieg?

Djir-Sarai: Ich bin davon überzeugt, dass die reale Gefahr besteht, dass China Taiwan annektieren will. Die chinesische Führung schaut nun sehr genau darauf, wie der Westen auf Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagiert. China sieht den Westen als schwach und unentschlossen an. Vor wenigen Jahren noch wurde die Nato vom französischen Präsidenten Macron als „hirntot“ bezeichnet – das hat auch Peking vernommen. China stellt eine echte Herausforderung für den Westen und für Europa dar. Die Amerikaner haben das bereits begriffen.

Frage: Wie muss sich Deutschland verhalten? Außenministerin Annalena Baerbock hat sich zuletzt kritisch zu China geäußert – und heftige Reaktionen aus Peking erhalten.

Djir-Sarai: Wir in Europa können uns nicht leisten, neutral zu sein. Wenn wir unsere wirtschafts- und handelspolitischen Interessen wahren wollen, müssen wir eng an der Seite der Amerikaner stehen. Was wir sehen, ist ein Wettbewerb von zwei Wertesystemen: Autokratie gegen Demokratie, wie im Kalten Krieg. Der Unterschied zu damals ist, dass das chinesische System und das des Westens wirtschaftlich extrem voneinander abhängig sind. Wenn es zu einem Konflikt käme, verlieren alle.

Frage: Die deutsche Wirtschaft ist besorgt und warnt vor schwerwiegenden Folgen.

Djir-Sarai: Lange haben wir gedacht, dass sich China in puncto Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratieförderung bessern wird. Heute ist klar: Die Führung in Peking denkt nicht im Traum daran, unsere Werte zu übernehmen. Ich empfehle der deutschen Wirtschaft daher dringend, sich stärker mit jenen asiatischen Staaten zu beschäftigen, die unsere Werte teilen.

Frage: Braucht es Sanktionen gegen China?

Djir-Sarai: Ein militärischer Angriff Chinas auf Taiwan wäre eine verheerende Eskalation des Status quo. Das weiß auch China. In diesem Falle wäre es wichtig, dass der Westen unmittelbar mit personenbezogenen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen China reagiert. Dass derartige Sanktionen effektiv sind und Durchschlagskraft haben, haben wir im Zusammenhang mit Russland gesehen.

Frage: Wen sollten die Sanktionen konkret treffen?

Djir-Sarai: Personenbezogene Sanktionen müssten natürlich die chinesische Führung, wie beispielsweise den chinesischen Staatspräsidenten Xi, hochrangige Vertreter aus den Parteistrukturen und die Verantwortlichen im Militär treffen. Darüber hinaus müssten die wirtschaftlichen Sanktionen sich an denen orientieren, die Europa gegen Russland verhängt hat. Wirtschaftliche Sanktionen wären allerdings keine Einbahnstraße, sondern würden auch uns enorm schaden, da die gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten schlicht zu groß sind. Das wäre der Preis, den wir zahlen müssten, um unsere Freiheit und unsere Werte glaubhaft zu verteidigen. Daher ist es auch essenziell, dass der Frieden in der Region gewahrt bleibt und es nicht zu einer militärischen Auseinandersetzung oder gar zu einem Krieg kommt. Darauf müssen sich nun alle diplomatischen Anstrengungen konzentrieren.

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