FDPDas aktuelle Interview

Gesetze den neuen Herausforderungen anpassen

Wolfgang KubickiWolfgang Kubicki
18.01.2016

Seit mittlerweile 20 Jahren leitet Wolfgang Kubicki die FDP-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag. Er sprach mit der "Welt am Sonntag" über seine Ziele, seine politischen Weggefährten und warum er kein bisschen amtsmüde ist. "Zum einen nehmen die Herausforderungen, die zu bewältigen sind, ja nicht ab, sondern zu. Zum anderen bereitet es mir nach wie vor Freude, durch Auftritte und Reden Menschen zu überzeugen und die Dinge mitzugestalten", erklärte Kubicki.

"Wenn wir uns anschauen, in welcher Geschwindigkeit sich die Verhältnisse gerade ändern: Niemand von uns hätte vor vier Jahren gedacht, dass wir es mit Wanderungsbewegungen derartigen Ausmaßes zu tun bekommen", führte Kubicki aus. Er habe sich nie vorstellen können, "dass unsere staatlichen Einrichtungen einmal nicht ausreichen könnten, um mit welcher Herausforderung auch immer fertig zu werden".

Er sei "mit ganzem Herzen Parlamentarier", unterstrich der Freidemokrat. "Gerade jetzt, wo Bundestag und Landtage um ihre Position immer mehr kämpfen müssen. Die Abgeordneten werden immer wieder dazu missbraucht, genau das nachzuvollziehen, was Regierungschefs oder Kabinettsmitglieder sich ausgedacht haben." Deshalb sei es umso wichtiger, das Machtverhältnis zwischen Legislative und Exekutive wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen, betonte er.

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Frage: Sie sind in diesem Jahr seit 20 Jahren ununterbrochen Fraktionsvorsitzender im Landtag. Allmählich amtsmüde?

KUBICKI: Nein. Zum einen nehmen die Herausforderungen, die zu bewältigen sind, ja nicht ab, sondern zu. Zum anderen bereitet es mir nach wie vor Freude, durch Auftritte und Reden Menschen zu überzeugen und die Dinge mitzugestalten.

Frage: Aber ein wenig altersmilde sind Sie schon geworden nach den ganzen Jahren, oder?

KUBICKI: Zunehmende Erfahrung hat die Folge, dass man nicht mehr unbedingt glaubt, dass die Position, die man gerade einnimmt, die allein selig machende ist.

Frage: Tatsächlich?

KUBICKI: Wenn wir uns anschauen, in welcher Geschwindigkeit sich die Verhältnisse gerade ändern: Niemand von uns hätte vor vier Jahren gedacht, dass wir es mit Wanderungsbewegungen derartigen Ausmaßes zu tun bekommen. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass unsere staatlichen Einrichtungen einmal nicht ausreichen könnten, um mit welcher Herausforderung auch immer fertig zu werden.

Frage: Wenn Sie zurückblicken – welchen Parlamentskollegen haben Sie im Kieler Landtag am meisten schätzen gelernt?

KUBICKI: Peter Harry Carstensen. Als Typen, auch als Demokraten und Parlamentarier. In der Zeit, in der wir miteinander zu tun hatten, also zwischen 2005 und 2012, war er absolut zuverlässig. Verabredungen hat er minutiös eingehalten, und das kann man wahrlich nicht von allen Christdemokraten sagen.

Frage: Wen meinen Sie da?

KUBICKI: Keine Namen. Andererseits gibt es auch bei der Sozialdemokratie Menschen, die mich sehr beeindruckt haben. Günter Neugebauer zum Beispiel, der ehemalige Vorsitzende des Finanzausschusses. Ein strammer Linker, aber auch eine knorrige, verlässliche Persönlichkeit.

Frage: Auch von Ralf Stegner, ihrem einstigen Erzfeind, sprechen Sie mittlerweile mit einer gewissen Achtung.

KUBICKI: Wir haben einen gewissen professionellen Respekt voreinander entwickelt. Das bedeutet aber nicht, dass wir jetzt Freunde wären. Politisch trennen uns nach wie vor Welten.

Frage: Keine Koalition mit Stegner – bleibt es dabei?

KUBICKI: Dabei bleibt es schon aus dem Grund, weil meine Partei mir nicht folgen würde, wenn ich ihr ernsthaft vorschlüge, eine Koalition mit Stegner schließen zu wollen.

Frage: Und mit Torsten Albig?

KUBICKI: Da müsste ich erst einmal wissen, wofür der eigentlich steht. Ich habe selten jemanden erlebt, der so pathetisch nichts sagen kann, und das über dreißig, vierzig Minuten. Ich sage es mal so: Kommt ein leeres Taxi angefahren, hält, und Torsten Albig steigt aus.

Frage: Sie übertreiben.

KUBICKI: Nein, ich übertreibe nicht, ich werde allmählich sauer, weil die Menschen das ja irgendwann auch merken und dann eine ablehnende Haltung gegenüber der Politik insgesamt einnehmen. Man muss von einem Ministerpräsidenten einfach erwarten, dass er nicht nur Phrasen drischt, sondern im Lande tatsächlich etwas bewirkt.

Frage: Wären Sie selbst gerne Ministerpräsident?

KUBICKI: Nein. Ich hätte ja 2009 die Möglichkeit gehabt, zumindest als Vize-Ministerpräsident in das Kabinett einzutreten. Das wollte ich nicht.

Frage: Na, klar, Vize ist ja auch immer doof. Die zweite Geige.

KUBICKI: Ich bin mit ganzem Herzen Parlamentarier. Gerade jetzt, wo Bundestag und Landtage um ihre Position immer mehr kämpfen müssen. Die Verfassung sieht vor, dass die Parlamente die erste Gewalt sind. Und die Regierung die zweite. Das hat sich inzwischen komplett umgekehrt. Die Abgeordneten werden immer wieder dazu missbraucht, genau das nachzuvollziehen, was Regierungschefs oder Kabinettsmitglieder sich ausgedacht haben. Umso wichtiger ist es deshalb, dieses Verhältnis wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Frage: Wenn Sie selbst nicht Regierungschef werden können, wer sollte es denn unbedingt einmal werden?

KUBICKI: Torsten Albig sollte es jedenfalls nicht bleiben.

Frage: Wer könnte es besser?

KUBICKI: Das Angebot ist ja nicht besonders groß. Daniel Günther, der CDU-Fraktionschef, könnte es besser als Albig; aber er bräuchte noch ein bisschen mehr Mut, ein bisschen mehr Selbstvertrauen. Wer Ministerpräsident werden will, muss gelegentlich auch mal den Eindruck vermitteln, dass man etwas will. Und zwar unabhängig davon, dass andere das vielleicht auch wollen. Man darf sich nicht erst zum Jagen tragen lassen. Sonst wird man auch kein kraftvoller Ministerpräsident.

Frage: Der spannendste Moment in den vergangenen 20 Parlamentsjahren?

KUBICKI: Die Nicht-Wahl von Heide Simonis zur Ministerpräsidentin im Jahr 2005. Und das, obwohl die Entwicklung absehbar war. Dass die Sozialdemokraten Simonis trotzdem in einen vierten Wahlgang geschickt haben, verstehe ich bis heute nicht.

Frage: Und wer war nun der Heide-Mörder?

KUBICKI: Ich habe meine Vermutung ja öffentlich geäußert.

Frage: Denken Sie immer noch, dass es Ralf Stegner war?

KUBICKI: Ja, aber das hilft nicht. Wir wissen es nicht.

Frage: Was war Ihr größter Fehler in den vergangenen zwanzig Jahren?

KUBICKI: Dass ich mich bei zwei Bundespräsidentenwahlen von meiner Partei habe breit schlagen lassen, gegen meine eigene Überzeugung erst Herrn Köhler und dann Herrn Wulff zu wählen. Beide waren keine überzeugenden Besetzungen für ein Amt, dessen Möglichkeiten begrenzt sind und im Wesentlichen daraus bestehen, kluge Reden zu halten. Köhler war ein unpolitischer Technokrat. Und bei Wulff hatte man von Anfang an das Gefühl, dass ihm dieser Mantel einfach eine Nummer zu groß war.

Frage: Was war die wichtigste Entscheidung, an der Sie in den vergangenen zwanzig Jahren mitgewirkt haben?

KUBICKI: Dass wir es in den Koalitionsverhandlungen 2009 geschafft haben, eine Haushaltsstrukturkommission durchzusetzen, die nur aus Parlamentariern und dem Finanzminister bestand. In der die Ministerialbürokratie also nur beratend beteiligt war. Nur dank dieser Konstellation konnten wir einen Sparkurs erarbeiten, der Schleswig-Holstein endlich auf einen Konsolidierungskurs gebracht hat.

Frage: Welche Entscheidung des Landtags würden Sie gerne rückgängig machen?

KUBICKI: Schwer zu sagen. Rückblickend muss man sagen, dass es konsequent gewesen wäre, die Landesanteile an der HSH Nordbank in den Jahren 2005 und 2006 zu verkaufen, wie es die FDP gefordert hatte. Damals hätten wir 1,6 Milliarden Euro eingenommen. Jetzt werden wir unterm Strich zwanzig Milliarden bezahlen. Als Strafe für diese Selbstüberschätzung.

Frage: Wie kommen Hamburg und Schleswig-Holstein da raus?

KUBICKI: 2018 ist es vorbei. Entweder findet sich bis dahin ein solventer Käufer, oder die HSH wird abgewickelt. Die Frage ist nur, wie teuer es uns am Ende wirklich kommen wird.

Frage: Die größte Herausforderung für den Rest der Legislaturperiode?

KUBICKI: Ist die Bewältigung des Flüchtlingszustroms. Das wird ja nicht weniger werden. Derzeit kommen täglich immer noch bis zu 4000 Menschen bundesweit zu uns. Das werden zum Sommer erneut mehr werden. Wenn Sie das hochrechnen, werden es 2016 möglicherweise doppelt so viele wie 2015. Das wird unsere staatlichen Leistungsmöglichkeiten sprengen und einen unglaublichen Druck entfachen, unsere Regeln und Gesetze schnellstmöglich zu ändern.

Frage: Das heißt?

KUBICKI: Das heißt zum Beispiel, dass wir uns Baugenehmigungsverfahren nicht mehr leisten können, die sich über Jahre hinziehen. Wir müssen die Baustandards senken, weil wir sie uns schlicht nicht mehr leisten können. Auch Schulen, Kitas, Krankenhäuser, alle staatlichen Einrichtungen stehen vor exorbitanten Herausforderungen. Kostenneutral werden die alle nicht zu bewältigen sein.

Frage: Woher nimmt die Politik das Geld?

KUBICKI: Das kann nur auf der Grundlage einer funktionierenden Wirtschaft finanziert werden. Wir brauchen Wachstum. Wenn wir Wachstum haben, dann werden wir die Integration auch finanzieren können. Wenn wir aber kein Wachstum haben: Gnade uns Gott bei den Auseinandersetzungen, die dann auf uns zukommen.

Frage: Wenn es nach Ihnen geht, wechseln Sie 2017 in den Bundestag. Wer wird dann Ihr Nachfolger als Landtagsfraktionschef?

KUBICKI: Das liegt allein in der Hand der künftigen Fraktion, der ich dann nicht mehr angehören würde. Aus meiner Sicht wäre allerdings Heiner Garg die richtige Wahl.

Frage: Und Sie? Welches Amt würden Sie gerne noch einmal ausüben?

KUBICKI: Präsident – eines Golfclubs, vielleicht.

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