14.12.2018FDPFDP

KUBICKI-Interview: AfD-Abgeordnete leben in ihrer eigenen Wahrnehmungswelt

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Frankfurter Rundschau“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Peter.

Frage: Herr Kubicki, die FDP wird in diesen Tagen 70 Jahren alt. Hätten Sie ihr zum Geburtstag eine Regierungsbeteiligung gewünscht?

Kubicki: Ich freue mich erst einmal, dass die FDP immer noch lebt. Nach dem Absturz in den Bundestagswahlen 2013 hatten ja viele schon ihren Tod verkündet. Ich hätte mir natürlich eine Regierungsbeteiligung gewünscht. Unter Angela Merkel hat es für die FDP aber keine Grundlage für eine Regierungsbeteiligung gegeben – sie hatte uns inhaltlich nichts zugestanden.

Frage: Haben Sie in der FDP heimlich gefeiert, dass Annegret Kramp- Karrenbauer CDU-Vorsitzende geworden ist? Sie lässt Ihnen viel mehr Raum zur marktwirtschaftlichen Profilierung als Merz, der mit der FDP um dieselben Wähler konkurriert hätte.

Kubicki: Viele haben in der Spitze der FDP auf Friedrich Merz gesetzt. Der Grund ist einfach: Wir hätten mit Merz jetzt eine ganz andere politische Debatte in Deutschland, in der Wirtschaftsthemen wieder mehr im Vordergrund stünden. Davon hätte auch die FDP profitiert.

Frage: Welchen Kurs wird die Union jetzt nehmen?

Kubicki: Ich vermute, es wird sich gar nichts ändern. Kramp-Karrenbauer ist eine Vorsitzende ohne eigenes Land, die nichts für die CDU reißen kann. Sie wird unter Druck geraten, wenn die Mitglieder merken, dass sich mit ihr die Umfragen nicht dauerhaft bessern. Angela Merkel bestimmt als Kanzlerin weiter die Richtlinien der Politik auf der Grundlage des Koalitionsvertrages. Kramp-Karrenbauer ist die Generalsekretärin Merkels, die jetzt den Titel Parteivorsitzende trägt.

Frage: Stünden Sie auch in der laufenden Legislaturperiode für einen neuen Anlauf zu einer Jamaika- Koalition zur Verfügung?

Kubicki: Grundsätzlich sind wir immer gesprächsbereit. So, wie Angela Merkel es angegangen ist, geht es aber nicht: Man kann nicht 60 Leute um einen Tisch setzen und vor allem erst einmal aufschreiben, was einen trennt. Da bin ich mir auch mit dem Grünen-Chef Robert Habeck einig, mit dem ich erfolgreich eine Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein ausgehandelt habe. Wenn Merkel in der Union Geschichte ist, ist ein neuer Versuch möglich. Aber wir werden nicht Schwarz-Grün unter einer anderen Namensnennung zu Mehrheiten verhelfen.

Frage: Könnte Habeck sich denn auf ein Jamaika-Bündnis einlassen, bei dem die FDP deutlich mehr Inhalte durchsetzt?

Kubicki: Wenn ich an Habecks Stelle wäre, würde ich ohne Neuwahlen kein Jamaika-Bündnis anstreben. Gleichzeitig bezweifle ich aber, dass die Grünen in Neuwahlen so stark wären, wie sie glauben.

Frage: Rechnen Sie damit, dass auch auf Bundesebene eine Regierungsbildung durch Zweierbündnisse aus Union und FDP wieder möglich wird? Oder sind Sie dazu verdammt, Ihren Frieden mit den Grünen zu machen?

Kubicki: Wir sind zu gar nichts verdammt. Aber die Wahrscheinlichkeit von Zweierbündnissen wird von Jahr zu Jahr geringer. Die Bindekräfte von Union und SPD nehmen weiter ab.

Frage: Warum sind die Grünen zurzeit so viel erfolgreicher als Sie?

Kubicki: Da könnten Sie genauso gut fragen: Warum ist die AfD zurzeit erfolgreicher als die Freien Demokraten? Wahrscheinlich, weil die AfD eine Wählerklientel anspricht, die momentan nicht nachdenkt, sondern schlicht und einfach ihrem Gefühl freien Lauf lässt. Wenn es zu Wahlen kommt, bei denen es um was geht, sieht manches anders aus als in Umfragen. Auch für die Grünen gilt: Wenn die Menschen sich das Grünen-Programm genauer anschauen, werden sie wieder kleinste Fraktion.

Frage: Ihre Prognose: Bleibt Angela Merkel bis 2021 Kanzlerin?

Kubicki: Ich wünsche mir das nicht. Vielleicht zieht die SPD im kommenden Jahr die Reißleine, wenn sie noch die Kraft dazu hat. Dann käme es wohl zu Neuwahlen.

Frage: Bringt Annegret Kramp-Karrenbauer die Fähigkeiten mit, die eine gute Kanzlerin braucht?

Kubicki: In der Geschichte des Landes haben wir uns in dieser Frage wirklich schon oft geirrt. Wer hätte denn zu Beginn der Kanzlerschaft Merkels gedacht, dass sie einmal als mächtigste Frau der Welt gelten würde? Ich Jedenfalls nicht, das gebe ich offen zu. Ja, ich traue Kramp-Karrenbauer zu, dass sie Kanzlerin kann. Und dass sie mit dem Amt noch wachsen könnte.

Frage: Wie würden Sie sich selbst im Amt des Bundestagsvizepräsidenten beschreiben?

Kubicki: Ich bin so, wie ich bin – auch im Plenarsaal. Manchmal bin ich lustig, manchmal streng. Vor allem, wenn ich den Abgeordneten klarmache, dass es wirklich keinen Sinn macht, nach Mitternacht noch Debatten zu führen, die kein Mensch mehr sieht und die nur noch 30 Abgeordnete im Saal interessieren. Da haben wir eine Verpflichtung, auf die Mitarbeiter des Bundestags Rücksicht zu nehmen.

Frage: Der Abgeordnete darf sich raufen, der Vizepräsident muss für geordnete Abläufe sorgen. Würden Sie da nicht doch oft lieber wieder tauschen?

Kubicki: Ich bin ja beides. Wenn ich gerade nicht als Vize-Präsident im Parlament sitze, sondern als Abgeordneter spreche, raufe ich mich auch gern mal wieder. Bei Zwischenrufen halte ich mich aber zurück – aus Rücksicht auf die Würde des Vizepräsidentenamtes.

Frage: Was ist Ihr Fazit nach etwas mehr als einem Jahr AfD im Bundestag?

Kubicki: Viele AfD-Abgeordnete kapseln sich ab und leben in einer komplett eigenen Wahrnehmungswelt. Die haben sich tatsächlich eingeredet, sie würden den Willen des Volkes vertreten, obwohl sie nicht annähernd eine Mehrheit haben. Ich halte daran fest, einen höflichen Umgang mit der AfD zu pflegen – und nicht etwa, wie andere schon den Händedruck zu verweigern. Betonte Ausgrenzung verschärft die Radikalisierung nur.

Frage: Gibt es für Sie Freundschaft in der Politik?

Kubicki: Ganz selten. Und dann in der Regel nur parteiübergreifend. In der eigenen Partei sind Sie immer auch im Wettbewerb darum, beim nächsten Mal wieder aufgestellt zu werden.

Frage: Das heißt, für Sie wäre es leichter mit Robert Habeck befreundet zu sein als mit Christian Lindner?

Kubicki: Das ist schon vom Alter her richtig – ich bin 30 Jahre älter als Christian Lindner. Ich kann mir unter diesem Aspekt gar nicht vorstellen, dass es da eine Freundschaft geben kann. Eine Freundschaft zu haben bedeutet, dass man auch Leben miteinander teilt. Das tun wir nicht in der Intensität, die für eine Freundschaft notwendig wäre. Ich pflege mit beiden, Lindner und Habeck, aber eine freundschaftliche Beziehung, mit Christian darüber hinaus eine sehr vertrauensvolle.

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