15.09.2019FDPFDP

KUBICKI-Interview: Die Menschen können Alarmismus nicht auf Dauer ertragen

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab "ntv.de" das folgende Interview. Die Fragen stellten Gudula Hörr und Barabara Mauersberg

Frage: Ihre Memoiren sind äußerst amüsant. Haben Sie die selbst geschrieben oder hatten Sie Hilfe? 

Kubicki: Es ist mein Buch. Ich saß ganze sechs Tage mit zwei Leuten zusammen, die Fragen stellten, und ich musste antworten. Dann ließ ich das runterschreiben. Doch als ich den Text bekam, stellte ich fest: "Jetzt schreibe ich das nochmal neu."

Frage: Ein Drama, das Ihr Buch durchzieht, ist der Kampf der FDP mit der Fünf-Prozent-Hürde. Haben Sie ein persönliches Ritual zur Bewältigung?

Kubicki: Am Anfang ist man immer betroffen. Später sagt man: "Solange es dich persönlich nicht trifft, musst du den Unterlegenen beiseite stehen." Ich habe aber auch eine andere Erfahrung gemacht. Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2005 hätten wir bis kurz vor Mitternacht eine Regierung mit der CDU bilden können. Und plötzlich stellte jemand fest, dass die SPD doch noch eine Koalition bilden kann. Das war dann wirklich ein Hammer.

Frage: Und wie schützen Sie sich vor dem tiefen Fall?

Kubicki: Seitdem ich Spitzenkandidat der FDP in Schleswig-Holstein bin, sind wir bei keiner Landtagswahl unter fünf Prozent gelandet. Ich musste mich nicht schützen.

Frage: Bei den Wahlen in Bayern und zum Europaparlament verfehlte die FDP ihre Wahlziele. In Brandenburg und Sachsen scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Grenze.

Kubicki: Was wollen Sie mir damit sagen? Die Grünen sind in Brandenburg auch deutlich hinter ihren Erwartungen geblieben. Und wenn ich jetzt Sozialdemokrat in Sachsen wäre, würde ich mir die Sinnfrage stellen.

Frage: Stellen Sie sich also nicht die Frage, was die FDP falsch macht?

Kubicki: Doch, selbstverständlich. Bei den letzten Wahlen lagen wir beispielsweise bei den über 60-Jährigen unter fünf Prozent. Das muss uns zu denken geben. Und wenn es uns nicht gelingt, die Emotionen anzusprechen, haben wir ein Riesenproblem. Die FDP kommt immer so technokratisch daher. Hinzu kommt der etwas juvenile Stil und Anglizismen: Das verfängt bei Menschen über 60 nicht ganz so gut wie bei Jüngeren.

Frage: Sie haben ja auch inzwischen ein persönliches Interesse daran, dass man mit einem bestimmten Alter nicht außen vor ist.

Kubicki: Das ist mir relativ egal. Ich bin gegen Altersdiskriminierung gefeit.

Frage: Aber ist es nicht bitter, dass Liberale beispielsweise in Frankreich zu einer Massenbewegung werden? Haben die Liberalen in Deutschland einen schweren Stand?

Kubicki: In Deutschland freuen sich viele, wenn der Staat die Dinge regelt, die die Menschen selbst verbockt haben. Wir Deutsche waren schon immer staatsgläubiger als andere Nationen, und das ist in Teilen Ostdeutschlands auch 30 Jahre nach dem Mauerfall immer noch etwas ausgeprägter.

Frage: Ein Thema, dem Sie sich in Ihrem Buch besonders widmen, ist die Freiheit. Welche Freiheit meinen Sie?

Kubicki: Freiheit besteht nicht darin, dass ich die Entscheidungsmöglichkeit habe, unter welcher Brücke ich schlafe. Freiheit benötigt ein Grundmaß an gesellschaftlicher Teilhabe. Freiheit bedeutet Verantwortung. Freiheit heißt immer auch, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu organisieren, sich um diejenigen zu kümmern, die weniger leistungsfähig sind oder Hilfe benötigen.

Frage: Warum verbindet nur niemand die FDP mit diesem Freiheitsbegriff?

Kubicki: Das ist eine gute Frage.

Frage: Sie sind doch schon länger in der Partei.

Kubicki: Wir haben sicher Verbesserungsbedarf beim Erscheinungsbild der Freien Demokraten. Es gibt bei uns in der Partei immer noch Kollegen, die glauben, dass soziale Marktwirtschaft darin besteht, das Soziale zu streichen und darauf zu warten, dass der Markt alles regelt.

Frage: Was spricht dagegen?

Kubicki: Der ungeregelte Markt ist schlicht und ergreifend ein Raubtier. Das muss man entweder dressieren oder einzäunen. Und wir Liberalen müssen dafür sorgen, dass die Wettbewerbsregeln eingehalten werden. Und sonst hält sich der Staat raus.

Frage: Im Moment müssen die Liberalen allerdings vor allem für mehr Wählerstimmen sorgen. Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet die Grünen so einen Hype haben?

Kubicki: Das kann ich Ihnen sagen: Weil es den Grünen gelungen ist, die SPD total zu zerfleddern. Und uns ist es nicht gelungen, mit der CDU entsprechend umzugehen. Die sind nämlich unser größter Wettbewerber im Wählermarkt. Das wäre mein politischer Ansatz.

Frage: Und was planen Sie dafür?

Kubicki: Wenn ich Ihnen das jetzt verrate, dann wissen das meine Freunde von der Union auch.

Frage: 2013 haben Sie sich mit Christian Lindner nach der desaströsen Bundestagswahl im Savoy-Hotel in Berlin getroffen und einen Nichtangriffspakt geschlossen. Gilt der nach wie vor? 

Kubicki: Diese Formulierung kommt nicht von uns. Ich habe einfach gesagt - und es ist umgekehrt genauso - dass es von mir keine öffentliche Äußerung geben wird, die ihn in den Senkel stellen könnte, ohne dass wir vorher darüber geredet haben. Aus dieser Zusage 2013 ist bis heute eine sehr belastbare vertrauensvolle Basis geworden.

Frage: Ist daraus mehr geworden als ein Arbeitsbündnis?

Kubicki: Keine Freundschaft, dafür liegen wir altersmäßig zu weit auseinander, aber eine sehr freundschaftliche Beziehung schon.

Frage: Inzwischen sagen ja einige Leute, dass Lindner nicht mehr der Problemlöser ist, sondern Teil des Problems.

Kubicki: Das ist Quatsch. Und das sagen nicht einige Leute, sondern ein paar selbstverliebte Politologen, die sich wichtig machen wollen. Diesen Meistern der Nachwahl-Analyse antworte ich immer wieder: "Eigentlich sind Sie doch überflüssig." Ich erinnere mich gut an den Landtagswahlkampf 2012 in Schleswig-Holstein. Dort erklärten selbsternannte Experten, der Einzug der FDP in den Landtag sei ausgeschlossen. Dann bekamen wir 8,2 Prozent. Dass man mit solchen Analysen Geld verdienen kann, ist schon heftig. Man wird in der Regel kein guter Politiker, wenn man glaubt, ein Politologiestudium würde reichen.

Frage: Christian Lindner hat das auch studiert.

Kubicki: Ja, er hat aber nie geglaubt, dass das ausreicht. Außerdem hat er sich fortgebildet.

Frage: Wie geht es in Deutschland nach der GroKo weiter?

Kubicki: Das ist eine spannende Frage. Das aktuelle Casting der SPD ist ja tatsächlich an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten.

Frage: Warum?

Kubicki: Das geht nach dem Motto: "Wir wollen uns jetzt wieder lieb haben und gut zueinander sein." Und wenn sie aus der GroKo aussteigen, werden die Menschen das nicht goutieren. Die SPD wird dann bei der nächsten Wahl einstellig. Keiner wählt sie aus Mitleid. Ich habe übrigens auch keins mehr mit ihr.

Frage: Welche Koalition bekommen wir dann spätestens 2021?

Kubicki: Für Rot-Rot-Grün gibt es in Deutschland keine Perspektive in absehbarer Zeit. Vielleicht für Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz, das glaube ich aber auch eher nicht, weil sich der Hype für die Grünen inzwischen wieder abschwächt. Das sagt mir meine Lebenserfahrung: Die Menschen können auf Dauer den Alarmismus, der immer mitschwingt, nicht mehr ertragen.

Frage: Wie? Sie demonstrieren nicht am Freitag fürs Klima?

Kubicki: Das machen übrigens die meisten Schülerinnen und Schüler auch nicht. Ich war zufälligerweise gerade in New York, als Frau Thunberg dort ankam. Das hat dort kaum jemanden interessiert. Ich halte viele Forderungen dieser Bewegung für rigoristisch und die Attitüde für undemokratisch.

Frage: Macht das Ihre nächste Koalition mit den Grünen einfacher? Was sagt deren Chef Robert Habeck dazu?

Kubicki: Das Gute an Robert ist: Er ist kein Extremer. Er ist ein pragmatischer Typ.

Frage: Das heißt: Mit Habeck könnten Sie sich Jamaika gut vorstellen?

Kubicki: Mit Robert habe ich Jamaika in Schleswig-Holstein erfolgreich verhandelt und umgesetzt. Das könnten wir im Bund auch.

Frage: Aber 2017 haben Sie es nicht hingekriegt.

Kubicki: Meine Überlegung, dass die Berliner in ihrer eigenen Welt leben, hat Robert Habeck geteilt. Ich habe ihm während der Sondierungen geschrieben: "Ich werde hier langsam wahnsinnig. Wir lesen uns stundenlang die eigenen Parteiprogramme vor." Das könne nicht gut enden. Wir hatten die gleiche Auffassung. Auch die Grünen waren 12, 13 Mal kurz davor, aufzustehen und zu gehen.

Frage: Sie sind traumatisiert? Trotzdem halten Sie an Jamaika reloaded fest?

Kubicki: Ja, aus zwei Gründen: Erstens kommen wir uns im Bundestag näher. Die Feindbilder schleifen sich ab. Und zweitens sind wir damals vor allem an der Kanzlerin gescheitert. Die wollte Jamaika nicht, da waren ihr zu viele Leute auf dem Spielfeld, die sie nicht beherrschen konnte. Aber Angela Merkel wird beim nächsten Mal nicht mehr da sein. Und die Union hat inzwischen auch ziemlich viel Federn lassen müssen.

Frage: Die Nachfolgerin der Kanzlerin haben Sie ja schon als "Merkel für Arme" bezeichnet.

Kubicki: Annegret Kramp-Karrenbauer wird es nicht werden. Ich weiß, warum Merkel die zur Verteidigungsministerin gemacht hat. Weil die Bundeswehr zur Verteidigung des Saarlands immer noch ausreicht.

Frage: Wen sehen Sie dann als Merkels Nachfolger?

Kubicki: Ich hätte früher immer gesagt Friedrich Merz. Doch der hat sich nach seiner Nichtwahl so ungeschickt gegenüber der eigenen Partei verhalten. Ich setze auf Jens Spahn oder vielleicht später Daniel Günther, den Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein.

Frage: Und Armin Laschet?

Kubicki: Ich mag ihn wirklich gerne, aber die Wirkung von Herrn Laschet außerhalb von NRW wird überschätzt.

Frage: Was wäre 2021 Ihre Wunschkoalition?

Kubicki: Dass die FDP die absolute Mehrheit bekommt, glaube ich eher nicht. Und dass wir eine Reichweite bekommen, wo wir uns die Koalitionspartner aussuchen können, glaube ich auch nicht. Eine realistische Option wäre Jamaika. Weshalb ich immer darum werbe, dass sich einige Leute bereits gedanklich darauf einrichten.

Frage: Können Sie denn zusammenkommen, gerade bei den beiden großen Themen Klima und Migration?

Kubicki: Was das Thema Migration angeht, deutlich eher als bei der Klimafrage. Ich habe Robert gesagt: "Wenn es nur einen Weg geben sollte, die Welt zu retten, dann musst du den Rechtsstaat und die Demokratie abschaffen." Dann dürfen die Wähler nicht mehr anders entscheiden und niemand mehr gegen Stromleitungen klagen.

Frage: Aber wie will die FDP denn die Welt retten? Oder hat sie das Ziel gar nicht?

Kubicki: Ich mache es jetzt ein bisschen polemisch, weil mir das langsam auf den Sender geht: Zunächst einmal müssen wir die Welt nicht retten, weil die Welt nicht morgen und übermorgen untergeht, und wir nicht morgen oder übermorgen ersticken. Vor allem geht die Rettung des Klimas nicht durch Verzicht, sondern durch Technik.

Frage: Und das Verzichtsparadigma ist ja auch nicht Ihr Lieblingsthema im Leben gewesen?

Kubicki: Ist ja auch dumm. Ich kenne keine Phasen der Weltgeschichte, in der Sie Fortschritt durch Verzicht erzielt haben. Askese ist etwas für Leute, die persönliche Probleme haben.

Frage: Aber wie wollen Sie mit den Grünen bei der Migration zusammenkommen?

Kubicki: Natürlich brauchen wir Zuwanderung und stellen das Asylrecht nicht infrage. Aber die Grünen überdrehen hier völlig. Sie glauben, dass jeder, der zu uns gekommen ist, auch bleiben können soll. Was nicht funktionieren kann. Dann könnte man das ganze System abschaffen, das Bamf auflösen. Wir brauchen keine Gerichtsentscheidungen, keine Grenzen mehr. Warum wehren sich die Grünen dagegen, die Maghrebstaaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären? Die Anerkennungsquote liegt deutlich unter zwei Prozent.

Frage: Da sind wir aber gespannt, ob Sie so eine Migrationspolitik künftig in einer Jamaika-Koalition durchkriegen.

Kubicki: Schauen Sie sich mal unseren Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein an. Wir haben da auch linke Grüne und mit denen vereinbart, dass dort eine Abschiebungseinrichtung geschaffen wird. Dort werden Menschen, die ausreisepflichtig sind und sich entziehen könnten, untergebracht. Die Zusammenarbeit zwischen den drei Koalitionspartnern könnte beispielgebend in Deutschland sein.

Frage: Und die Seenotrettung im Mittelmeer?

Kubicki: Auch weil ich von der Küste komme: Wenn einer in Seenot ist, muss er gerettet werden.

Frage: Können Sie mit Ihrer kühlen Küsten-Vernunft denn Populisten überzeugen?

Kubicki: Es ist natürlich nicht so einfach. Auf zwei Seiten bei n-tv.de schaffe ich das nicht.

Frage: Gut, Sie kriegen ein bisschen mehr Platz.

Kubicki: Dann gebe ich Ihnen einen Hinweis: Die AfD spielt in Schleswig-Holstein keine Rolle. Weder bei der Bundestagswahl noch bei der Europawahl hatte sie großen Erfolg. Bei der Landtagswahl wäre sie fast nicht reingekommen: 5,9 Prozent, das war das schlechteste Ergebnis bundesweit. Warum? Weil wir es im Landtag gewohnt sind, offen zu debattieren. Bei uns gibt es keine verbotenen Meinungen.

Frage: Ist das jetzt schon das Rezept, mit dem Sie auf AfD-Wähler zugehen wollen?

Kubicki: Ich kann nicht auf AfD-Wähler zugehen, die sich nicht zu den Werten des Grundgesetzes bekennen. Aber tatsächlich glaube ich, dass vielen eine klarere Sprache in der Politik fehlt. Es gibt übrigens noch eine gute Strategie aus dem Norden: Wir sind dazu übergegangen, die AfD auch gelegentlich zu persiflieren.

Frage: Ein Beispiel?

Kubicki: In meinem Streitgespräch mit Alexander Gauland sagte er wieder, er würde nicht neben Jérôme Boateng wohnen wollen. Da habe ich gesagt: "Das verstehe ich. Sie können die Preise nicht zahlen."

Frage: Fand er das lustig? 

Kubicki: Eher nicht. Im Grunde ist das ein merkwürdiger Typ: Ein Deutschnationaler. Der hätte gern gelebt, als Bismarck noch Kanzler war.

Frage: Das heißt, Sie verzichten auf die Empörung, obwohl Gaulands Spruch rassistisch ist?

Kubicki: Auf solche Aufschreie ist er doch eingestellt. Und diese Strategie war erwiesenermaßen nicht erfolgreich, sonst wären die Ergebnisse in Sachsen und Brandenburg andere gewesen. Man muss die AfD nicht in den Arm nehmen, sondern auf den Arm. Wir müssen humorvoller werden. Außerdem können Sie auf diese freundliche Weise viel besser die größten Beleidigungen aussprechen. Das Gehirn glaubt, wenn jemand einen anlächelt, kann es der nicht böse meinen.

Frage: Sie attestieren der jungen Politikergeneration eher das Gegenteil: Verkrampftheit.

Kubicki: Und zwar in allen Parteien. Die meisten sind auf dem Trip, lieber den Mund zu halten, weil der nächste Shitstorm droht.

Frage: Und wie halten Sie das?

Kubicki: Der Mensch kriegt Profil nur in der Auseinandersetzung. Nicht in der Harmonie. Also am besten: Einen Streit anfangen, den man dann auch gewinnen kann. Menschen, die keinen Konflikt aushalten können, taugen nicht für die Politik. Wir haben davon zur Zeit zu viele im Parlament.

Frage: Ist das auch eine Altersweisheit?

Kubicki: Das ist einfach meine Beobachtung.

Frage: In Ihren Memoiren beschreiben Sie sehr anschaulich einen Moment, der Sie als Mensch und Politiker geprägt hat: eine Eilmeldung von n-tv im Zuge der "Schönberg-Affäre", bei der es um angeblich zu hohe Anwaltshonorare von Ihnen ging.

Kubicki: Ich war deswegen 1993 vom Fraktionsvorsitz in Kiel zurückgetreten und hatte nur mein Mandat behalten. Fast jeden Tag gab es Berichte, was für ein schlimmer Finger ich sei, mit der griffigen Erzählung: Reicher Wessi haut das Land Mecklenburg-Vorpommern übers Ohr, Kungelei mit einem Parteifreund und der Schaden belaufe sich auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Wenn Sie in diesem Trommelfeuer stehen, zehrt das irgendwann an den Nerven. Und es zermürbt Sie. Und dann machte ich nach einer Wahlkampfveranstaltung, wir hatten Kommunalwahl, abends n-tv an, 23.30 Uhr, und dann läuft das rote Band im Fernseher: "Haftbefehl gegen Kubicki." Das zog mir in diesem Moment die Füße weg. Ich hatte durch die negativen Presseberichte bereits eine ganze Reihe von Sozialkontakten verloren, in meiner Kanzlei fing es an, sich niederzuschlagen, es wurde existenzbedrohend. Und dann das: "Haftbefehl."

Frage: Aber konnte das denn sein?

Kubicki: Eigentlich nicht. Als Abgeordneter genoss ich Immunität. Aber wenn Sie das so lesen, nach Wochen der Zermürbung, sind Sie auf einmal nicht mehr so sicher. Und ich dachte: "Wenn das deine Mutter morgen liest. Die fällt tot um." Und fragte mich: "Wie hört das auf?" Ja, nur, wenn du weg bist. Und dann passiert etwas Eigenartiges: Man fängt an, mit sich selbst zu diskutieren.

Frage: Und wie lief der Diskurs?

Kubicki: Die eine Hälfte sagte: "Du gehst jetzt in die Ostsee." Die andere sagte: "Es ist Februar und saukalt." Dann sagt die eine Hälfte: "Dann eben Strick." Und die andere: "Wir haben hier keinen im Haus." Irgendwann nach zehn Minuten sagt dann die vernünftige Hälfte: "Wie wäre es denn, jetzt erst einmal kurz Luft zu holen und einen Rotwein zu trinken."

Frage: Ihre lebensfrohe Hälfte?

Kubicki: Genau. Die sagte dann nach zwei Gläsern: "Das mit dem Tod können wir immer noch machen, aber jetzt gehen wir erst mal schlafen." Am nächsten Morgen war es nicht mehr ganz so dramatisch. Im Grunde war es eine echte Falschmeldung, die n-tv da über den Bildschirm laufen ließ.

Frage: Aber diese düstere Nacht hat Sie verändert?

Kubicki: Eins weiß ich seitdem: Man kann nicht allein gewinnen. Du brauchst Menschen, die dir beistehen, die so etwas mit dir durchstehen. Und ich bin seitdem ... meine Frau würde sagen: sanfter geworden. 

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