29.09.2013FDPInnenpolitik

Kubicki-Interview für "Tagesspiegel am Sonntag"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied WOLFGANG KUBICKI gab dem „Tagesspiegel“ (Sonntag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten CHRISTIAN TRETBAR und RAINER WORATSCHKA:

 

Frage: Herr Kubicki, ihre Partei hat ein historisches Debakel erlebt und ist bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Was war ihr erster Gedanke?

 

KUBICKI: Ich war fassungslos. Ich bin 43 Jahre in der FDP und habe mir nie vorstellen können, dass sie aus dem Bundestag gewählt wird. Bisher lebten wir von der Einschätzung, dass es für fünf Prozent immer reicht. Wir wurden eines besseren belehrt.

 

Frage: Empfanden Sie Wut oder Resignation?

 

KUBICKI: Wut nicht, und die depressive Phase hielt auch nur kurz. Für mich stand die Frage im Mittelpunkt, wie das zu erklären ist. Und mir war schnell klar, dass diese Niederlage schmerzlich ist, aber nicht tödlich.

 

Frage: Was ärgert Sie im Nachhinein am meisten?

 

KUBICKI: Die letzte Wahlkampfwoche ärgert mich fundamental. Zweitstimmenkampagnen kann man machen, haben wir auch immer gemacht, und das machen auch andere Parteien. Aber unsere war diesmal geprägt von der Botschaft: Habt Mitleid mit uns. Und die Mitleidskampagne hat wieder jene Häme hervorgebracht, die während des Wahlkampfes überwunden schien. Sie hat meine Parteifreunde, die auf der Straße Wahlkampf gemacht haben, die ihre Reputation, ihre Zeit und ihr Geld eingebracht haben, an den Rand der Selbstachtung gebracht. Wenn man schon untergeht, dann mit erhobenem Haupt und nicht kriechend.

 

Frage: War es ein Fehler, mit Philipp Rösler einen Mann an der Spitze zu haben, der zu jung und unerfahren war, und mit Rainer Brüderle einen Spitzenkandidaten, dessen Zenit schon überschritten war?

 

KUBICKI: Das ist müßig. Damals war Philipp Rösler die einzige Chance, die wir hatten. Sein Problem war, dass er in einer Phase Bundesvorsitzender wurde, in der die FDP bereits seit über einem Jahr im Umfragekeller war. Er war nicht schuld an der Entwicklung, konnte sie aber auch nicht aufhalten. Seine Ansage bei seiner Wahl zum Vorsitzenden, dass nun geliefert werde, erinnerte mich an Guido Westerwelle nach den Koalitionsverhandlungen 2009. Er verkündete damals vollmundig, die FDP habe sich 100prozentig durchgesetzt. Diese Attitüde - ankündigen und dann nichts liefern - ist fatal. Die FDP hat versprochen, das Steuersystem einfacher und gerechter zu machen. Es verfestigte sich aber im Laufe der Zeit der Eindruck, dass wir nichts liefern. Das hat auch unsere Botschaften im Wahlkampf hohl und phrasenhaft erscheinen lassen.

 

Frage: Als was wird Guido Westerwelle nun in die FDP-Geschichte eingehen, als Heilsbringer, der die FDP auf knapp 15 Prozent geführt hat, oder als Totengräber?

 

KUBICKI: Guido Westerwelle wird als derjenige in die Geschichte eingehen, der das beste Wahlergebnis für die FDP bei einer Bundestagswahl eingefahren hat … und daraus dann nichts gemacht hat. Wir hatten fünf Bundesminister sowie 93 Abgeordnete, und am Ende steht bei den Menschen das Gefühl, dass die Liberalen ihren Job nur verwaltet haben und sich selbst genug waren.

 

Frage: Wie muss denn die Aufarbeitung nun aussehen in Ihrer Partei?

 

KUBICKI: Mitte der Woche treffen sich die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen mit den Vertretern der Bundespartei, um alles zu analysieren. Für mich ist klar: Wir können nicht die nächsten vier Jahre in eine mentale Klausur gehen. Bis Ende 2013 haben wir Zeit, die Geschehnisse aufzuarbeiten. Im kommenden Jahr stehen Europawahlen sowie verschiedene Kommunal- und Landtagswahlen an, da muss die FDP wieder da sein. Je mehr Zeit wir uns mit der Neuaufstellung lassen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es keinen mehr interessiert. Es geht um die Frage, wie wir auf den Trümmern wieder etwas aufbauen können.

 

Frage: Wie sieht Ihr Wiederbelebungsprogramm aus? Und warum ist Christian Lindner dafür der Richtige?

 

KUBICKI: Parlamentarisch ist die FDP nur noch in den Ländern vertreten. Das ist die höchste parlamentarische Ebene, deshalb kann ein Bundesvorsitzender nur von dort kommen. Christian Lindner hat bewiesen, dass er nicht nur analytisch in der Lage ist, die FDP neu zu positionieren. Er ist inzwischen auch als Landesvorsitzender in NRW politisch gereift. Er wird eingeladen zu philosophischen Runden, begeistert aber auch Handwerker. Ich traue ihm zu, den Liberalismus wieder so darzustellen, dass man dabei nicht nur an Steuersenkungen und Wirtschaftsfragen denkt. Er ermöglicht uns auch wieder Zugang zum akademischen und künstlerischen Milieu. Was wichtig ist. Die Liberalen waren als Partei immer sehr stark im akademischen Mittelbau verankert. Wir hatten Esprit, haben neugierig gemacht. Dahin müssen wir zurück.

 

Frage: Und das Ganze geschieht dann in Arbeitsteilung: Lindner gibt als Vorsitzender den Kopfmenschen, und Sie als Vize kümmern sich um die Bauchgefühle?

 

KUBICKI: Das kann man so nicht aufteilen. Arnulf Baring hat mir kürzlich in einer Talkshow gesagt, ich müsse jetzt den Brüderle der FDP geben....

 

Frage: War das als Kompliment gedacht?

 

KUBICKI: Das weiß ich nicht! Brüderle ist ein toller Typ. Aber ich möchte dennoch der Kubicki bleiben, der ich bin.

 

Frage: Sie wollen ja Parteivize werden. Dann stehen aber wieder zwei Männer an der Spitze. Wo sind die Frauen?

 

KUBICKI: Sie tun ja grad so, als würde es in der FDP-Spitze keine Frauen geben. Wir haben drei Stellvertretende Bundesvorsitzende. Auch Katja Suding wird künftig sicher eine besondere Rolle spielen. Sie hat ja in Hamburg gezeigt, dass sie Wahlen gewinnen kann. Ich bin mir sicher, dass sie dort auch 2015 wieder gute Ergebnisse einfährt. Mit einer neuen Bundespartei, die ihr dann Rückenwind gibt und keinen Gegenwind.

 

Frage: Der dortige Regierende Bürgermeister Olaf Scholz spricht ja schon von neuen sozialliberalen Strömungen in der SPD...

 

KUBICKI: Wir wollen keine neuen Koalitionsdebatten. Aber wo, wenn nicht in Hamburg – einer Stadt mit traditionell liberaler und weltoffener Prägung – kann es einen Neuanfang geben für die Überlegung, dass es außer einer Koalition mit der Union auch andere Konstellationen geben kann? Ich rate meinen Parteifreunden, insgesamt offener zu werden.

 

Frage: Gilt das auch für Hessen? Dort hat es die FDP gerade so auf fünf Prozent geschafft und es könnte für eine Ampel oder Jamaika langen.

 

KUBICKI: Eine Ampelkoalition ist dort schon deshalb nicht möglich, weil sie vom Parteitag vorher ausgeschlossen wurde. Hier geht es um Glaubwürdigkeit und Vertrauen, weshalb ich von einer Ampel in Hessen abraten würde. Was Jamaika angeht, ist das eine Frage an die Grünen.

 

Frage: Müssen Sie sich nicht auch von bisherigen inhaltlichen Positionen verabschieden? Beispielsweise beim Mindestlohn?

 

KUBICKI: Nein, davon sicher nicht. Man muss ja immer nach den Auswirkungen fragen - gerade bei Forderungen, die moralisch begründet werden. Das Gefühl zu vermitteln, die Arbeit würde dann gerecht entlohnt, ist schön. Aber wenn dann herauskommt, dass Arbeitsplätze verloren gehen, macht es wenig Sinn. Wir werden sicher andere inhaltliche Akzentuierungen vornehmen müssen.

 

Frage: Was genau meinen Sie damit?

 

KUBICKI: Wir haben beispielsweise in der NSA- Debatte nicht den Eindruck vermittelt, als wären wir vehemente Kämpfer für den Rechtsstaat. Und es kann auch nicht sein, dass wir ruhig sind, wenn in Bayern jemand sieben Jahre in die Psychiatrie eingesperrt wird – für ein Vergehen, das, selbst wenn es stattgefunden haben sollte, normalerweise mit einer Bewährungsstrafe abgehandelt wird. Wir müssen nicht warten, bis das Verfassungsgericht die Unverhältnismäßigkeit feststellt. Als Rechtsstaatspartei wäre es unsere Aufgabe gewesen, da sofort aufzustehen und auf Änderungen zu drängen, damit keiner grundrechtswidrig seiner Freiheit beraubt wird.

 

Frage: Was ist mit der Familienpolitik?

 

KUBICKI: Auch hier müssen wir mehr tun. Wir sehen ja, dass sich immer mehr traditionelle Formen des Zusammenlebens verändern. Unsere Antworten darauf müssen wir künftig noch intensiver kommunizieren. Es reicht jedenfalls nicht, den Eindruck zu vermitteln, man müsste einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern nur sagen, dass sie ihre Kinder in der Kita abgeben soll, um größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Oder dass sie, wenn sie das nicht tut, Hartz-IV beantragen soll.

 

Frage: Was sagen Sie ihr stattdessen?

 

KUBICKI: Wir müssen ihr die Sicherheit vermitteln, dass ihre Zukunft nicht risikobehaftet ist. Insgesamt gilt, dass ich jetzt auch noch keinen Zehn-Punkte-Plan aus der Tasche ziehen kann, auf dem steht, wie die FDP wieder Luft bekommt.

 

Frage: Während ihre Partei dabei ist, das Debakel aufzuarbeiten, macht sich die Union hübsch für die SPD. Überrascht Sie das?

 

KUBICKI: Dass Angela Merkel so schnell ihr Versprechen bricht, keine Steuern zu erhöhen, ist atemberaubend. Bei mir melden sich schon die ersten Verbände, die sagen, die FDP fehlt. Viele sind schockiert über die Geschwindigkeit, mit der Merkel ihre Positionen räumt. Das wird der Union noch auf die Füße fallen.

 

Frage: Inwiefern?

 

KUBICKI: Ich bin ganz sicher, dass wir den Höhepunkt der Kanzlerschaft von Angela Merkel am Wahlabend erlebt haben. Von jetzt an geht es für sie abwärts. Egal, ob Sozialdemokraten oder Grüne, beide werden die Bedingungen für eine Koalition so hoch schrauben, dass es an der Union sein wird zu erklären, wie man sich auf so was hat einlassen können. Die anderen werden nicht den Fehler machen, nur Additiv zur Union zu sein.

 

Frage: Wie ist das jetzt für Sie als Partei der Außerparlamentarischen Opposition: Ist die AfD Ihr größter Konkurrent – auch mit Blick auf die Europawahl 2014?

 

KUBICKI: Nein, die AfD ist in meinen Augen eine rechtspopulistische und völlig antieuropäische Partei. Die meisten derer, die von der FDP dorthin gewandert sind, haben das nicht wegen der AfD-Programmatik getan, sondern weil sie von unserer schlechten Performance abgestoßen wurden. Wir sind eine pro-europäische Partei und werden das auch noch stärker dokumentieren müssen. Die Reaktion auf die Krise kann nicht weniger Europa und mehr Nationalstaat sein. Nötig ist eine noch stärkere Zusammenführung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik innerhalb Europas.

 

Frage: 15,8 Prozent der Wähler bleiben diesmal im Parlament unberücksichtigt. Müssen wir nicht auch mal über Sinn und Unsinn der Fünf-Prozent-Hürde diskutieren?

 

KUBICKI: Es ist immer sinnvoll, über die Berechtigung von Parlamentszutrittsbeschränkungen zu diskutieren. Aber ich fände es jetzt ein bisschen kleinkariert, die Frage nach einer anderen Hürde ausgerechnet zu einem Zeitpunkt zu thematisieren, an dem wir daran gescheitert sind.

 

 

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