14.09.2017FDPFDP

KUBICKI-Interview: Mit Habeck in Berlin wird Jamaika wahrscheinlicher

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab dem „General-Anzeiger“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Rena Lehmann, Holger Möhle und Nils Rüdel:

Frage: Herr Kubicki, die FDP wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder in den Bundestag einziehen. Haben Sie schon gepackt?

Kubicki: Wir suchen gerade eine Wohnung in Berlin. Meine Frau und ich haben festgestellt, dass die Preise hier doch beachtlich sind.

Frage: Sie sagten einmal, Sie wollten deshalb nicht nach Berlin, weil Sie dort zum „Trinker und Hurenbock“ werden würden. Was ist jetzt anders?

Kubicki: (lacht) Mein Alter. Ich bin mittlerweile sittlich und moralisch gefestigt.

Frage: Haben Sie der Bundes-FDP mit Ihren frischen Erfahrungen aus Schleswig-Holstein schon ein schwarz-gelb-grünes Jamaika-Bündnis im Bund empfohlen?

Kubicki: Wir haben es im Bund und in Schleswig-Holstein mit zwei sehr unterschiedlichen Grünen zu tun. Grüne und FDP bei uns im Norden haben in gemeinsamer Oppositionszeit eine sehr gute Arbeitsebene entwickelt. Dieses Grundvertrauen gibt es im Bund zwischen FDP und Grünen nicht.

Frage: Also kein Jamaika-Ausflug?

Kubicki: Es muss doch auch inhaltlich passen. Die Grünen fordern die Vermögensteuer. Mit uns wäre das nicht zu machen. Außerdem muss ich sagen: Bei Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt geht mir diese permanente moralische Impertinenz auf die Nerven. Wir retten jetzt den Weltfrieden und das Weltklima allein! Göring-Eckardt gibt die Mutter Teresa der deutschen Politik. Vielleicht geht es eine Etage tiefer. Aber ich muss auch sagen: Wenn die Grünen den schleswig-holsteinischen Umweltminister Robert Habeck nach Berlin holen, wird Jamaika wahrscheinlicher.

Frage: Was ist mit der Ampel aus SPD, FDP und Grünen?

Kubicki: Noch unwahrscheinlicher. Bei den schlechten Werten der Grünen bräuchte die SPD dafür 25 Prozent plus X und wir bräuchten 15 Prozent. Und danach sieht es derzeit nicht aus.

Frage: Wo sind in einem Dreierbündnis mit den Grünen Schnittmengen, mit denen Sie die Union ärgern können?

Kubicki: Wir müssen unsere Partner nicht ärgern. Aber beim Thema Zuwanderung, beim Thema Rechtsstaat gibt es Schnittmengen mit den Grünen. Die Verschärfung von Überwachungsmaßnahmen, das anlasslose Sammeln von Daten, wie es die Union will, ist sicher mit uns wie mit den Grünen nicht zu machen.

Frage: Welche Fehler von 2009, als die schwarz-gelbe Koalition verhandelt wurde, macht die FDP im Falle von Verhandlungen 2017 nicht mehr?

Kubicki: Wir sind zwischen 2009 und 2013 dem Vertrauen, das die Wähler uns mit einem Wahlergebnis von 14,6 Prozent entgegengebracht haben, überhaupt nicht gerecht geworden. Bedingungen zu formulieren, unter denen nichts geht, wie etwa eine große Steuerreform, und diese dann nachher nicht umgesetzt zu haben, sind eine Todsünde. Mir war es selbst peinlich, dass führende Parteifreunde immer gejammert haben: Mutti gönnt uns nichts. Wie jämmerlich ist das denn?

Frage: Gut, dann zu den Inhalten. Ohne Einwanderungsgesetz wird eine FDP nicht in die Regierung gehen? Das wird im Fall von einer Koalition mit der Union schwierig.

Kubicki: Wir brauchen eine vernünftige Regelung der Zuwanderung, auch was die Flüchtlingsfrage angeht, auch um Druck aus dem Kessel zu nehmen. Eine Flüchtlingsobergrenze ist Quatsch, es reicht auch nicht aus, den Grenzschutz zu verstärken und die Anrainerstaaten zu bitten, gleichfalls Flüchtlinge aufzunehmen. Wir wissen aus allen Studien, dass wir jedes Jahr 300 000 bis 400 000 möglichst gut ausgebildete, möglichst junge Menschen brauchen...

Frage: ...das regelt ein Einwanderungsgesetz...

Kubicki: ... damit schaffen wir auch für Menschen, die nicht vor Krieg fliehen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen wollen, eine legale Möglichkeit, nach Deutschland zu kommen.

Frage: Flüchtlinge aus Syrien oder dem Irak wollen Sie zurückschicken?

Kubicki: Wir berufen uns lediglich auf die Genfer Flüchtlingskonvention. Die Rückkehr von Flüchtlingen in ihre Heimat ist obligatorisch, wenn der Krieg beendet ist.

Frage: Wie lang gibt es die Rente mit 67?

Kubicki: Ewig, wenn man es will. Aber dann stellt sich die Frage, wie sich das Rentenniveau entwickelt. Wir wollen ein flexibles Renteneintrittsalter. Jeder soll selbst entscheiden, wann er in Rente gehen will. Es gibt eine Vielzahl von Lebensgeschichten, die kann man nicht in eine starre Regelung pressen.

Frage: Wären eine Reisewarnung für die Türkei und die Kündigung von Hermes-Bürgschaften falsch?

Kubicki: Nein, die wären richtig. Ich würde es aber einfach machen, statt nur darüber zu reden. Wenn die Türkei meint, sie könnte deutsche Staatsbürger grundlos inhaftieren, kriegt sie eben drei Monate lang keine Visa für Regierungsmitglieder. Das muss man tun, damit die andere Seite merkt, dass man es ernst meint.

Frage: Also die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei abbrechen?

Kubicki: Ich habe das als Anwalt gelernt: Alles, was man nur erklärt, erzielt keine Wirkung. Man muss es auch machen. Die Beitrittsverhandlungen einfrieren und der Türkei erklären, dass ein Land auf dem Weg in die Diktatur nicht Mitglied der EU werden kann.

Frage: Wie werden Sie denn mit der AfD im Bundestag umgehen?

Kubicki: Ich empfehle allen, mit der AfD sachorientiert umzugehen. Die derzeitige Aufgeregtheit und die Denunziation, die gerade passiert, nützt denen eher. Man kann sie demaskieren, indem man ihnen Sachfragen stellt. Es gibt in jeder Gesellschaft zwischen zehn und 17 Prozent Durchgeknallte, Antidemokraten und Verschwörungstheoretiker. Die haben früher überwiegend nicht gewählt, jetzt haben viele von ihnen in der AfD ein Ventil gefunden. Zehn Prozent für die AfD sind definitiv nicht schön, im Zweifel hält unsere Demokratie das aber aus. Man kann es auch positiv wenden: Die vorübergehende Stärke der Rechtspopulisten macht allen noch einmal klar, wie wichtig es ist, die Demokratie zu verteidigen.

Frage: Sollte die FDP an die Regierung kommen - wollen Sie dann Fraktionschef werden?

Kubicki: Zunächst einmal werde ich Bundestagsabgeordneter. Alles Weitere sehen wir am Tag nach der Wahl.

Frage: Keine Lust auf ein Ministeramt?

Kubicki: Ach wissen Sie, ich bin jetzt schon in vier verschiedenen Ministerien medial verarbeitet worden: Außen, Innen, Justiz und Finanzen. Minister zu werden, entspricht aber nicht meiner Lebensplanung. Ich weiß auch nicht, warum immer alle denken, Minister sei was ganz Tolles. Ich bin gerne Parlamentarier.

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