11.08.2017FDPAußenpolitik

LAMBSDORFF-Gastbeitrag: Man muss miteinander reden

Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff schrieb für die „Wirtschaftswoche“ (aktuelle Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Wir sind noch einmal davongekommen. Ob in den Niederlanden oder Österreich und Frankreich – all jene, die die Europäische Union in Rente schicken wollten, blieben in der Minderheit. In Großbritannien lief es anders. Doch der bevorstehende Brexit hat den Franzosen den Wert Europas wieder bewusstgemacht. Emmanuel Macron steht für neues Denken: Am Wahlabend trat er zu den Klängen der Europahymne vor seine jubelnden Anhänger, er will eine starke EU ebenso wie ein enges deutsch-französisches Zusammenspiel. Der junge Präsident im Élysée hat gezeigt: Man kann siegen – wenn man sich zu Europa bekennt. Neben dem Brexit tauchen auch die irritierenden Auftritte des US-Präsidenten den Blick auf die Integration unseres Kontinents in neues Licht: Wenn die USA ausscheren, wird unser Zusammenhalt umso dringlicher. Es sind Zeiten, in denen auch viele vormalige Skeptiker Europa wieder schätzen.

Der Brexit, so bedauerlich er aus wirtschaftspolitischer Sicht ist, bietet jedoch die Chance für einen Neustart in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die strategische Umgebung der EU ist höchst kompliziert: Russland und die Ukraine, die Türkei, Syrien, Ägypten und der afrikanische Kontinent direkt vor unserer Haustür. Die Politik in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ist entweder aggressiv und autoritär oder chaotisch und gefährdet, auch Mischformen gibt es. Dreierlei aber ist sicher: Erstens gibt es nicht einen einzigen Staat der Europäischen Union, der sich in diesem Umfeld erfolgreich alleine behaupten könnte, zweitens kommt Europa die Aufgabe zu, den mindestens teilweisen Ausfall der USA als Produzent von Stabilität in unserem strategischen Raum auszugleichen, und drittens müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, der Rest der Welt werde schon ganz bald aussehen wie Europa.

Festigkeit ist in diesen Zeiten genauso wichtig wie die Fähigkeit zum Dialog. Für die Festigkeit reichte es früher, auf die transatlantischen Beziehungen hinzuweisen. Das gilt zwar noch immer, denn bei aller berechtigten Kritik am US-Präsidenten dürfen wir unsere gewollte Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten nicht vergessen. Hinzukommen muss aber ein sichtbarer europäischer Beitrag in Form von mehr diplomatischer Abstimmung, engerer entwicklungspolitischer Verzahnung und einer sichtbaren Anstrengung, militärisch leistungsfähiger zu werden. Das betrifft auch Deutschland, das seit der Münchner Sicherheitskonferenz von 2014 erste Schritte in diese Richtung gegangen ist, jedoch im aktuellen Wahlkampf einen SPD-Kanzlerkandidaten erlebt, der den Konsens von München aufkündigt und stattdessen von Aufrüstungswahn schwadroniert, wo es lediglich darum geht, der Bundeswehr funktionierendes Gerät zur Verfügung zu stellen. Das Ausloten von Gesprächsmöglichkeiten und ihrer Voraussetzungen ist mitunter heikel. Die Reaktion auf Christian Lindners richtige Anregung, wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim nicht jegliche Form von Kooperation mit Russland auszuschließen, führte zu einer Mischung aus absichtlichen Missverständnissen und ehrlicher Aufregung.

Dabei hat Lindner nur ausgesprochen, was selbst die Regierung in Kiew sagt: Eine schnelle Rückgabe der Krim steht nicht zu erwarten, an ihr muss mit diplomatischen Mitteln friedlich gearbeitet werden. Bis dahin bleiben die Sanktionen in Kraft. Aber dort, wo Europa und Russland gemeinsame Ziele haben wie beim iranischen Nuklearprogramm oder in der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, muss man miteinander reden.

In der Türkei ist die Situation noch komplizierter. Das Land entfernt sich seit Jahren von westlichen Werten, nicht erst seit dem Putsch vom Juli 2016. Kaum jemand glaubt noch daran, dass es jemals zu einem Beitritt des Landes zur EU kommen wird. Dennoch wollen CDU und SPD die Beitrittsverhandlungen fortsetzen. Das will die FDP nicht, denn der Beitritt einer autoritären Türkei zur EU wäre das Ende der Hoffnung auf europäische Handlungsfähigkeit. Es ist also ein europapolitisches Motiv, das uns antreibt. Außenpolitisch aber ist klar, dass das Land, groß und stolz, wie es ist, unser Nachbar bleiben wird, mit dem wir umzugehen haben. Daher der liberale Vorschlag, die Beziehungen auf eine ehrliche Grundlage zu stellen und die Beitrittsgespräche zu ersetzen durch den Dialog über einen Grundlagenvertrag, in dem von der Energiepolitik über die Zollunion bis hin zum Wissenschaftsaustausch alle wichtigen Fragen geregelt werden.

Die Entwicklungen in Russland und der Türkei, aber auch das Ende des Arabischen Frühlings machen eines deutlich: Die seit 1989 gepflegte Vorstellung, der Rest der Welt werde sich quasi automatisch in Richtung Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft entwickeln, liegt zumindest vorübergehend auf Eis. Dabei bleiben für uns diese Werte die verbindliche Richtschnur unseres Handelns. Wir fördern Pluralismus und Zivilgesellschaft, wir unterstützen Dissidenten und Demokraten überall dort, wo sie sich autoritärem Druck ausgesetzt sehen. Das Spannungsfeld europäischer Außen- und Sicherheitspolitik erstreckt sich zwischen unseren Werten und dem, was in der beschriebenen Nachbarschaft sicherheits- und realpolitisch möglich und sinnvoll ist. Die Kooperation mit Regierungen, die diese Werte verneinen, können wir also nicht per se ausschließen. Das irritiert manche, doch Deutschland und Europa können die Welt um uns herum nicht in unserem Interesse beeinflussen, wenn wir uns von ihr abwenden. Und darum geht es: Unsere liberalen Werte und Interessen zu schützen und zu verteidigen und ihnen zum Durchbruch zu verhelfen, wann und wo das möglich ist, macht den Kern von Außenpolitik im 21. Jahrhundert aus.

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