18.07.2017FDPEuropa

LAMBSDORFF-Interview: Gelder für Türkei streichen

Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab „noz.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Thomas Ludwig:

Frage: Graf Lambsdorff, seit dem Putschversuch vor einem Jahr und der darauffolgenden Repressionspolitik Ankaras, sind die Beziehungen der EU und Deutschlands mit der Türkei vergiftet. Lässt sich das Verhältnis unter einem Präsidenten Erdogan überhaupt wieder verbessern?

Lambsdorff: Nur, wenn beide Seiten endlich ehrlich miteinander umgehen. Dazu gehört das Eingeständnis, dass ein EU-Beitritt keinerlei Aussicht auf Erfolg hat. Die Türkei entfernt sich seit Jahren von europäischen Werten, in Europa sind 80 Prozent der Bürger und viele Regierungen gegen den Beitritt. Das Projekt ist erledigt.

Frage: Macht es noch Sinn, vor einem solchen Hintergrund Heranführungshilfen an die Türkei zu zahlen?

Lambsdorff: Die Heranführungshilfen fließen so lange wie die Beitrittsverhandlungen laufen. Im aktuellen Finanzzeitraum von 2014 bis 2020 sind 4,45 Milliarden Euro vorgesehen. Damit soll die Anpassung an EU-Standards erleichtert werden, zum Beispiel bei der Infrastruktur oder im Umweltschutz. Tatsächlich entfernt sich die Türkei aber immer weiter von unseren Vorstellungen, gerade im Bereich Demokratie und Menschenrechte.

Frage: Das heißt?

Lambsdorff: Aus Sicht der FDP ist klar: Vor-Beitrittshilfen für einen Beitritt, den es nicht geben wird, sind unsinnig, Unterstützung für die Bewältigung der Syrienkrise aber ist sinnvoll. Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass wir die Türkei respektvoll behandeln müssen. Sie ist und bleibt ein wichtiger Nachbar, mit dem wir wirtschaftlich und politisch eng zusammenarbeiten, auch wenn wir mit der Entwicklung im Inneren nicht einverstanden sind.

Frage: Es gibt die Idee anstelle eines EU-Beitritts, einen Grundlagenvertrag mit der Türkei auszuhandeln. Ist es nicht inkonsequent, die einen Gespräche abzubrechen, um dann neue zu beginnen?

Lambsdorff: Ganz im Gegenteil! Schließlich soll es nicht darum gehen, Brücken zur Türkei abzubrechen, sondern darum, den Dialog mit der Türkei auf eine ehrliche, praktische Grundlage zu stellen. Es gibt doch zahlreiche Themen, bei denen wir gemeinsam Fortschritte erzielen können: Energiepolitik, Terrorbekämpfung, Sicherheit, Umweltfragen oder die Kooperation in Wissenschaft und Forschung.

Frage: Es heißt immer, die EU sitze am längeren Hebel, weil die Türkei die EU wirtschaftlich braucht. Macht man es sich damit nicht zu leicht?

Lambsdorff: Völlig richtig. Es stimmt, dass die Türkei ein stärkeres Interesse an Marktzugang und Know-how-Transfer aus der EU hat als wir umgekehrt an der Türkei. Aber sicherheitspolitisch ist das Land mit seiner geografischen Lage und seiner großen Streitmacht ein wichtiger NATO-Verbündeter in einer schwierigen Region. Die Türkei grenzt an Syrien, den Irak und den Iran, hat fast drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen und ist das einzige Land zwischen dem sunnitisch-schiitischen Krisenbogen im Süden und der EU im Norden. Das sollten wir nicht vergessen.

Frage: Aber wie verlässlich ist Präsident Erdogan überhaupt noch? Beim G20-Gipfel hat er den G20 in die Suppe gespuckt, als er trotz anderslautender Schlusserklärung ankündigte, das Pariser Abkommen vorerst doch nicht ratifizieren zu wollen...

Lambsdorff: In der internationalen Politik können wir uns unsere Partner nicht aussuchen. Durch die Verfassungsänderung ist Präsident Erdogan Staats- und Regierungschef der Türkei, damit ist er unser Gesprächspartner. Das ist nicht immer einfach, denn manchmal hat man schon den Eindruck, dass Politik in Ankara eher mit heißem Herzen als mit kühlem Kopf gemacht wird. Aber unsere Aufgabe ist es, in dieser Situation unsere eigenen Interessen und die der Türkei nüchtern zu analysieren und in einen Ausgleich zu bringen, von dem beide Seiten etwas haben.

Frage: Die deutschen Soldaten in Incirklik werden verlegt, anlässlich des G20-Gipfels hat man Erdogan Redeverbot gegenüber den Landsleuten in Deutschland erteilt. Ist die Bundesregierung konsequent genug im Umgang mit der Türkei?

Lambsdorff: Die Bundesregierung hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Beim Verfassungsreferendum wurde herumgeeiert, anstatt wie die Niederlande zum Beispiel denen gegenüber klare Kante zu zeigen, die unsere Freiheit dafür missbrauchen wollten, bei sich zu Hause die Freiheit abzuschaffen. Kurz vor der Bundestagswahl entscheidet Frau Merkel jetzt anders. Das ist ja in Ordnung, aber können wir uns darauf auch nach der Wahl verlassen? Die Politik der Kanzlerin wirft mehr Fragen im deutsch-türkischen Verhältnis auf, als sie Antworten gibt.

Frage: Das EU Parlament fordert, die Beitrittsverhandlungen auszusetzen. Die EU-Staaten scheuen vor so viel Ehrlichkeit zurück. Woran liegt das, am Flüchtlingsdeal?

Lambsdorff: Ich kann nicht für Frau Merkel oder Herrn Gabriel sprechen. Aber dass die beiden noch immer den Türkei-Beitritt herbeiverhandeln wollen, ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Türkei-Politik dieser Großen Koalition gescheitert ist.

Frage: Mehr als 50.000 Menschen wurden seit dem Putschversuch in der Türkei inhaftiert, gut 100.000 entlassen oder suspendiert. Gibt es eine kritische Masse, ab der die Repressionspolitik sich gegen Erdogan wendet?

Lambsdorff: Wir wissen, dass sehr viele Menschen in der Türkei die Umwandlung in ein Präsidialsystem ablehnen. Schließlich haben fast 24 Millionen Wähler im April gegen die Verfassungsänderung gestimmt. Der Marsch für Gerechtigkeit des CHP-Chefs Kilicdaroglu war wirklich eindrucksvoll. Das war endlich einmal ein Lebenszeichen der Opposition, die es unbedingt braucht, wenn autoritäre Politik verhindern werden soll.

Frage: Ist das der Anfang vom Ende Erdogans als Präsident?

Lambsdorff: Für uns als Liberale ist klar, dass wir auch weiterhin an der Seite der türkischen Zivilgesellschaft und der demokratischen Kräfte stehen, deren Situation jetzt noch schwieriger geworden ist, als sie es ohnehin schon war.

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