24.06.2016FDPEuropa

LAMBSDORFF-Interview: Wir brauchen jetzt einen Konvent als echten Reformkongress

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „RBB Inforadio“ das folgende Interview. Die Fragen stellte ALEXANDER SCHMIDT-HIRSCHFELDER:

Frage: Sind sie schockiert von diesem Ergebnis?

LAMBSDORFF: Ich bin jedenfalls nicht erfreut. Die Umfragen waren so knapp, dass man sich darauf einstellen musste. Aber für Europa ist das natürlich ein schlechter Tag.

Frage: Wo sehen Sie die Gründe dafür, dass alle rationalen Argumente für einen Verbleib nicht gefruchtet haben?

LAMBSDORFF: Zwei Dinge waren glaube ich ausschlaggebend. Da eine war eine Emotionalität, eine emotionale Aufladung der Kampagne. Es gibt legitime Kritik an den Institutionen in Brüssel, das ist vollkommen klar. Aber das wurde so überzogen von den Brexit-Befürwortern, da ist also wirklich eine Kampagne geführt worden, wie es sie in dieser Form in Großbritannien noch nicht gegeben hat. Und das zweite ist, das diejenigen, die für den Verbleib geworben haben, ihre Glaubwürdigkeit verloren hatten. David Cameron hat ja als Führer der Tory-Partei zehn Jahre lang auf der EU herumgehackt, hat sich dann in dieses Referendum hereintreiben lassen und steht jetzt vor einem Scherbenhaufen, weil die Wählerinnen und Wähler verstanden haben, dass das nicht zusammenpasst. Man kann nicht die ganze Zeit auf der EU herumhacken und gleichzeitig für den Verbleib werben. Also die Emotionalität und die Unglaubwürdigkeit der Remain-Befürworter, das waren glaube ich die zwei ausschlaggebenden Momente.

Frage: Bleiben wir trotzdem noch mal bei dem einen Aspekt. Die Kritik des Brexit-Lagers und der vielen anderen Europaskeptiker, dass die EU zu undemokratisch, zu behäbig, zu bürokratisch ist – nehmen sie die an?

LAMBSDORFF: Absolut. Die Europäische Union hat Defizite, da gibt es überhaupt gar kein Vertun. Ich muss als Europaparlamentarier aber sagen: da müssen wir bitte ein bisschen den Blick weiten. Das Hauptdemokratiedefizit ist dort, wo die Mitgliedstaaten in Brüssel zusammenkommen, immer hinter verschlossenen Türen tagen, Kompromisse aushandeln, die immer den kleinsten gemeinsamen Nenner widerspiegeln. Da fehlt der Mut zum großen Wurf. Es gibt keine Transparenz im Rat, also im Gremium der Mitgliedsstaaten. Das Parlament tagt ja immer öffentlich, insofern sind wir, was Transparenz angeht, da glaube ich etwas besser aufgestellt. Dennoch, das Votum ist eindeutig. Wir müssen insgesamt als Europäische Union besser werden. Und deswegen glaube ich brauchen wir auch neue Initiativen, um das zu schaffen.

Frage: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, das jetzt eine Austrittwelle einsetzt in Europa? In den Niederlanden, in Frankreich gibt es ja schon die Ersten, die auf glühenden Kohlen sitzen.

LAMBSDORFF: Ja, wir haben natürlich Europakritiker, die die legitime Kritik, die es gibt, überspitzen hin zu einer populistischen kompletten Anti-EU-Rhetorik – Geert Wilders und Marine Le Pen haben sie erwähnt. Aber ich glaube, dass wenige Länder insgesamt tatsächlich Großbritannien folgen wollen. Nehmen wir einmal Ungarn beispielsweise, dass ja seit vielen Jahren die EU immer kritisiert. Da denkt man nicht einmal im Traum daran auszutreten, Polen genau das Gleiche. Sogar Dänemark, das ein Nettozahler ist mit einer etwas euroskeptischen Grundstimmung – die Mehrheit ist ganz klar für den Verbleib. Also der Domino-Effekt, da sehe ich eigentlich keine Gefahr.

Frage: Welche Rolle kommt aus Ihrer Sicht Deutschland jetzt in einer EU ohne Großbritannien zu?

LAMBSDORFF: Jedenfalls eine aktivere, als das die Bundeskanzlerin in ihrer Stellungnahme eben hat anklingen lassen ...

Frage: Wenn ich Sie da ganz kurz unterbrechen darf, Herr Lambsdorff, es war ja nun auch so, dass gerade die Brexit-Befürworter gesagt haben, das ist uns ein bisschen zu viel Germany in der Europäischen Union. Ist das wirklich der richtige Weg?

LAMBSDORFF: Naja, ich glaube Deutschland ist als Gründungsmitglied der EU in einer besonderen Verantwortung. Zusammen mit Frankreich, den Beneluxstaaten und Italien sind wir die sechs Gründerländer. Wir wissen, warum die Europäische Union gegründet wurde: um den Frieden auf dem Kontinent zu wahren, unseren Wohlstand zu mehren und die Freiheit wirklich auf dem ganzen Kontinent zu verwirklichen. Das ist eine besondere Verantwortung. Und die Art und Weise, wie das geschehen ist, ich habe es ja eben gesagt, da ist die Kritik zum Teil auch nachvollziehbar. Aber das das Projekt Europa von Deutschland und Frankreich aus weiter vorangetrieben werden muss, dort wo es sich lohnt, Dinge gemeinsam europäisch zu tun, und dort, wo es sich nicht lohnt, sie auch auf die nationale Ebene durchaus zurückzugeben, das ist immer die Haltung der FDP gewesen. Und ich glaube, das wäre auch eine vernünftige Haltung in den Gesprächen, die jetzt vor uns liegen.

Frage: Ganz kurz noch, Herr Lambsdorff. Wäre es vielleicht sogar möglich und nötig, den Reset-Knopf zu drücken und noch mal von vorne irgendwie anzufangen?

LAMBSDORFF: Das ist in der Politik sehr schwierig, wir haben ja eine Rechtsgemeinschaft, wir haben lange Verträge. Aber ich glaube was wir brauchen ist nicht so sehr ein mechanischer Reset, was wir brauchen ist ein ehrlicher und offener Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Deswegen brauchen wir jetzt einen Konvent als echten Reformkongress, der aber raus aus Brüssel geht und in die Mitgliedstaaten, mit den Menschen vor Ort spricht. Und da sind auch die nationalen Politiker gefordert, nicht nur die europäischen. Denn das ist ein Dialog, der in der Breite geführt werden muss: warum machen wir Europa, wofür wollen wir Europa und was muss sich an Europa zum Besseren verändern?

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