FDPDas aktuelle Interview

Liberalen Rechtsstaat wehrhaft machen

Christian LindnerChristian Lindner fordert eine bessere Prioritätensetzung in der Einwanderungs- und Integrationspolitik
21.07.2016

Zur Lösung der Flüchtlingskrise reichen die oberflächlichen Ansätze der Großen Koalition nicht aus, findet FDP-Chef Christian Lindner. Im Interview mit der "Berliner Zeitung" fordert er ein Einwanderungsgesetz und eine Stärkung des Rechtsstaats. "So wichtig das Integrationsgesetz der Großen Koalition ist – sie scheitert daran, Deutschland endlich eine Ordnung für die Einwanderung zu geben", konstatiert der Freidemokrat. Es brauche klare Regeln, wer nach Deutschland kommen dürfe – und wer eben nicht.

"Wir müssen klar unterscheiden zwischen einem Flüchtling, dem wir zeitweilig Schutz gewähren, weil er bedroht ist. Wenn diese Bedrohung vorbei ist, muss er zurück in seine Heimat", erläutert Lindner. Bei anderen Migranten, die aus wirtschaftliche Gründen einwandern wollten, müssten Faktoren wie die Fähigkeit, für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen, eine entscheidende Rolle spielen.

Ressentiments gegen Flüchtlinge und Einwanderer aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit erteilt Lindner eine deutliche Absage. Mit Blick auf die Angst vor dem Islamismus gibt er zu bedenken, dass auch deutsche Staatsbürger und Menschen, die schon lange hier lebten, sich radikalisieren könnten. Deshalb brauche es eine neue Wehrhaftigkeit des liberalen Rechtsstaats. "Der Staat muss seine Schwerpunkte richtig setzen: Warum werden 1.600 neue Zöllner für die Mindestlohn-Kontrolle eingestellt, aber unsere Polizisten schieben Überstunden ohne Ende? Wir müssen Polizei und Verfassungsschutz stärken, und das Vorfeld, in dem sich Einzeltäter radikalisieren, muss stärker überwacht werden", fordert der FDP-Chef.

Außerdem habe er kein Verständnis dafür, wenn jemand aus Angst eine rechtspopulistische Politik wählt. Die AfD habe nichts mit der offenen Gesellschaft des Grundgesetzes zu tun, stellt Lindner klar. "Sie will raus aus der NATO und hat Verständnis für den autoritären Putin. Sie instrumentalisiert den Begriff des Volkes, um Politik gegen Minderheiten zu machen."

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Lindner, Sie hätten Benzin im Blut, haben Sie einmal gesagt. Was halten Sie von Elektroautos?

Wer's mag ... Dienstlich habe ich eins - mit Hybridantrieb. Das ist Pragmatismus, keine Leidenschaft. Ich halte aber nichts davon, allein auf den Elektromotor zu setzen und dafür eine Industrie mit Subventionen zu päppeln, die viele Milliarden Gewinn macht.

Sondern?

Auf längere Zeit noch wird der Verbrennungsmotor effizienter und praktischer sein. Und solange die Hälfte des Stroms aus Braunkohle kommt, ist Elektromobilität auch ökologisch nicht überzeugend.

Was ist so unerotisch am Elektroauto?

Geschmackssache, ich jedenfalls liebe das automobile Kulturgut. Mein alter Porsche begeistert mich. Der ist so alt wie ich selbst. Der hat noch richtige Uhren, keine modernen Displays. Das ist Maschinenbau. Die Karosserie hat noch ein Dekolleté.

Wie oft fahren Sie damit?

Vielleicht 2.000 Kilometer im Jahr. Inklusive mal einer Oldtimer-Rallye. Da geht's um Orientierung, das Fahrgefühl, die Geräusche, den unmittelbaren Kontakt mit der Straße.

Machen Sie auch mal Urlaub?

Oft und gern. Am liebsten im Süden. Um mich körperlich zu erholen und geistig aufzutanken. Ich habe ansonsten ja eine Sechs-Tage-Woche mit 100 Stunden.

Bewegen Sie sich in Deutschland mit dem Auto?

Gemischt. Ich fliege von Berlin nach Stuttgart, dann geht's weiter mit dem Auto auf die Schwäbische Alb. Oder ich fliege von München nach Hamburg, dann mit dem Auto nach Rostock.

Kennen Sie eine empfehlenswerte Autobahnraststätte?

Viele sind besser als ihr Ruf. Neulich durfte ich mich sogar in ein Gästebuch eintragen.

Zeigt sich da auch der Genesungsprozess Ihrer Partei?

Ich stelle jedenfalls einen anderen Umgang fest. Nach der Bundestagswahl wurde man nicht angesprochen, weil die Menschen dachten: Die haben genug mit sich selbst zu tun. Jetzt nehme ich Sympathie, Interesse und Unterstützung wahr.

Sie haben in einer Rede einmal zwischen den aktuell dringlichen und den langfristig wichtigen Themen unterschieden. Verdrängt die Flüchtlingskrise die wichtigen Themen?

Sie ist selbst ein wichtiges Thema, das man aber richtig angehen muss. Leider sehe ich sehr viel Oberflächlichkeit. So wichtig das Integrationsgesetz der großen Koalition ist – sie scheitert daran, Deutschland endlich eine Ordnung für die Einwanderung zu geben. Wir sind nun einmal ein Einwanderungsland, das endlich klare Regeln bräuchte, wer zu uns kommen kann – und wer eben nicht.

Das heißt?

Wir müssen klar unterscheiden zwischen einem Flüchtling, dem wir zeitweilig Schutz gewähren, weil er bedroht ist. Wenn diese Bedrohung vorbei ist, muss er zurück in seine Heimat. Auf der anderen Seite steht der Migrant, der wirtschaftliche Interessen hat und ein besseres Leben bei uns sucht. Da will die FDP klare Kriterien, nach denen wir über die Aufnahme entscheiden – etwa die Fähigkeit, für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen.

Sie plädieren damit für ein Einwanderungsgesetz. Heißt das, Sie wollen mehr Einwanderung?

Zurzeit nicht. Erstens haben wir viele Flüchtlinge aufgenommen. Zweitens gibt es viele Menschen im Süden Europas, die nach der Schaffung von Freizügigkeit für Arbeitnehmer eine Chance zur Einwanderung haben. Bei jungen Spaniern oder Griechen gibt es auch nicht so viele Probleme mit der Integration wie bei Menschen, die ganz woanders herkommen. Die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den europäischen Staaten sollten nicht durch Transferzahlungen ausgeglichen werden wie jetzt an Griechenland, sondern eher dadurch, dass der Fachkräftemangel bei uns die Arbeitslosigkeit woanders reduziert.

Wie gefährlich ist die Zuwanderung durch die Religionszugehörigkeit eines Teils der Zuwanderer?

So ist die Debatte falsch angelegt. Auch Menschen, die schon lange hier leben, oder etwa Deutsche, die hier geboren sind, können sich radikalisieren. Es ist ein Skandal, dass Salafisten etwa bei Grillfesten auf den Rheinwiesen den Nachwuchs für ihren Heiligen Krieg im Nahen Osten rekrutieren.

Wie gehen wir mit Menschen um, die sich offenbar ohne organisatorischen Zusammenhang individuell radikalisieren und zu Gewalttätern werden?

Wir brauchen eine neue Wehrhaftigkeit unseres liberalen Rechtsstaats. Der Staat muss seine Schwerpunkte richtig setzen: Warum werden 1 600 neue Zöllner für die Mindestlohn-Kontrolle eingestellt, aber unsere Polizisten schieben Überstunden ohne Ende? Wir müssen Polizei und Verfassungsschutz stärken, und das Vorfeld, in dem sich Einzeltäter radikalisieren, muss stärker überwacht werden.

Wie sauer sind Sie auf Angela Merkel und Sigmar Gabriel?

Sehr. Weil sie die Illusion nähren, die gegenwärtige Stärke unseres Landes sei auf Dauer garantiert. Sie verteilen Kamellen und fassen die großen Probleme nicht an.

Und sie wirtschaften ihre Parteien so herunter, dass eine Koalition einer von ihnen allein mit der FDP, falls sie in den Bundestag zurückkehrt, nicht mehr zur Regierungsbildung ausreicht.

Ich hab mit der FDP genug zu tun. Ich kann mir nicht noch den Kopf von Sigmar Gabriel zerbrechen.

Was halten Sie von einer Ampel-Koalition mit SPD und Grünen?

Dafür gibt es keine politische Substanz. Sigmar Gabriel agiert so kurzsichtig und populistisch wie David Cameron mit seinem Brexit, wenn er TTIP jetzt aufgibt und die Chance des transatlantischen Freihandels aus Parteitaktik verspielt. Die Grünen wollen mit Steuererhöhungen in der Mitte der Gesellschaft Familienunternehmen und hoch qualifizierte Fachkräfte abkassieren. Wo sind da die Gemeinsamkeiten mit der FDP?

Und die Ampel in Rheinland-Pfalz?

So eine SPD gibt es sonst nirgends.

Also Schwarz-Gelb-Grün?

Wir gehen eigenständig in die Wahl, mit klaren Projekten. Dazu gehört auch eine Entlastung der Mitte und eine Vereinfachung des Steuerrechts. Weil wir unsere Ziele bis 2013 nicht erreicht haben, sind sie ja nicht falsch.

Wie wollen Sie die Menschen erreichen, die in den zurückliegenden Landtagswahlen AfD wählten?

Erstens: Ich nehme sie ernst. Deshalb müssen sich diese Wähler die Positionen der AfD zurechnen lassen. Wer sie unterstützt, verharmlost Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Also: Harte Auseinandersetzung, nicht: Wir haben ja Verständnis für Sie, aber ...

Ich habe kein Verständnis dafür, wenn jemand AfD wählt. Auch ich habe Sorge um unser Land. Es wird links von der Mitte regiert. Und das ist schlecht. Das ist aber kein Grund, die AfD zu wählen. Sie hat nichts mit der offenen Gesellschaft des Grundgesetzes zu tun. Sie will raus aus der Nato und hat Verständnis für den autoritären Putin. Sie instrumentalisiert den Begriff des Volkes, um Politik gegen Minderheiten zu machen.

Wie gehen die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern für die FDP aus?

Wir kehren in beide Parlamente zurück. In Berlin ist für uns der thematische Turbo, dass wir als einzige Partei eine Vision für die Stadt haben, die auch die Offenhaltung des Flughafens Tegel umfasst.

Frage: Wäre es schlimm, wenn Sie nach der Bundestagswahl nur Vorsitzender einer Oppositionsfraktion würden?

Nein. Wie wichtig Opposition in der Demokratie ist, erleben wir doch gerade, wo sie im Bundestag fehlt.

Diesen Artikel:

Ähnliche Artikel:

Social Media Button