10.05.2018FDPEuropa

LINDER-Interview: Wir wollen einen Politikwechsel wie in NRW

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Rheinischen Post“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Gregor Mayntz:

Frage: Wie muss die Bundesregierung auf Trumps Absage an den Iran-Atom-Deal reagieren?

Lindner: Wir brauchen jetzt eine europäische Initiative. Es darf nicht länger der Eindruck entstehen, dass Europa in wesentlichen Fragen wie Freihandel, Syrien und Iran unterschiedliche Positionen vertritt. Wir schlagen einen EU-Sondergipfel zur Weltlage vor, damit die Europäer in diesen Fragen endlich geschlossen eine gemeinsame Position beziehen können. Dafür sollte sich die Bundesregierung nun stark machen. Das ist die einzige Chance, um auf der Weltbühne gegenüber den USA, Russland und China unsere Werte und Interessen zu vertreten.

Frage: Berlin, Paris und London sind wieder in einem anderen Lager als Washington – kann da noch mehr kaputt gehen?

Lindner: Die USA sind unter der Administration von Donald Trump keine verlässliche Größe mehr. Er kündigt einseitig Abkommen. Das muss man mit Sorge sehen. Aus einer Präsidentschaft darf aber kein Zerwürfnis innerhalb der westlichen Welt entstehen. Was über Jahrzehnte gewachsen ist, kann und darf eine einzelne Präsidentschaft nicht zerstören. Umso mehr brauchen wir den Dialog mit den USA, auch mit der dortigen Opposition. Aber bitte nicht innerhalb einer Woche zwei Staats- und Regierungschefs in Washington, die unterschiedlich behandelt werden. So erweckt man den Eindruck, dass Europa uneins ist und gegeneinander ausgespielt werden kann.

Frage: Wie gefährlich ist die Lage in Nahost? Droht ein neuer Krieg?

Lindner: Das Iran-Abkommen mag nicht perfekt gewesen sein, hat aber zur Stabilität im Nahen Osten beigetragen. Das sagen selbst die Experten aus Israel. Nun droht eine weitere Nuklearisierung der Region. Umso mehr ist die EU gefordert, jetzt diplomatisch Verantwortung zu übernehmen und mit Russland, China und Iran über die Nichtverbreitung von Atomwaffen zu sprechen.

Frage: Der neue US-Botschafter fordert die deutsche Wirtschaft zum Rückzug aus dem Iran auf. Was sagen Sie ihm?

Lindner: Wir lassen uns nicht für unilaterale Maßnahmen der USA in Anspruch nehmen.

Frage: Würde eine von der FDP formulierte Außenpolitik anders laufen?

Lindner: Ja, mit Sicherheit gegenüber Russland. Wir wünschen uns eine klare Linie und vor allem neues Denken in der Russland-Politik. Frau Merkel hatte einen Außenminister, der die Sanktionen aufheben wollte, jetzt hat sie einen Außenminister, der nicht mal den Dialog will. Wir wollen, dass Russland seinen Platz im Haus Europa einnehmen kann, wenn es sich an die Hausordnung hält. Dazu gehört ein neuer Dialog – beispielsweise in einem Format G7+1, beispielsweise durch die Wiederaufnahme von jährlichen EU-Russland-Gipfeln. Denkbar wäre auch eine Veränderung des Minsk-Prozesses, so dass nicht gehaltene Zusagen der Regierung der Ukraine keine Entschuldigung mehr für Putin sein können.

Frage: Dann wäre Wolfgang Kubicki wohl nicht Ihr Favorit fürs Außenamt?

Lindner: Wir sind im Ziel einig. Beim Weg gibt es in einem Aspekt einen Unterschied. Das ist in einer vitalen demokratischen Partei eine Normalität.

Frage: Träumen Sie manchmal davon, wie es wäre, jetzt als Finanzminister gestalten zu können?

Lindner: Nein.

Frage: Die FDP als Nichtregierungsorganisation – traditionelle Liberale hätten sich das wohl kaum vorstellen können. Gibt es keine Phantomschmerzen?

Lindner: Die FDP regiert unter anderem hier in NRW. Im Bund haben wir uns für den harten Weg entschieden, weil wir einen inhaltlichen Anspruch haben. In Berlin arbeiten wir jetzt daran, dass wir beim nächsten Mal einen Politikwechsel nach NRW-Vorbild bekommen. Hier ist vieles von dem bereits erreicht, was wir den Menschen zugesagt haben, etwa die Initiativen zum Breitbandausbau, die Entfesselungsgesetze, die Priorität für Bildung, eine andere Flüchtlingspolitik. Wenn eine solche Politik möglich ist, gestalten wir mit Freude mit.

Frage: Schwarz-Grün hat der FDP eine angestammte Position genommen. Nun rumpelt es in Stuttgart – haben Sie neue Hoffnungen?

Lindner: Für uns zählen die Inhalte. Die Grünen nennen sich ja selbst eine linke Partei. Wenn CDU und Grüne sich in der Sache nah fühlen sollten, dann wäre das ja eine Botschaft. Ich nehme allerdings wahr, dass FDP und Union in NRW geräuschlos regieren, während sowohl die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt als auch Grün-Schwarz in Baden-Württemberg unter einem angespannten Verhältnis zwischen CDU und Grünen leiden.

Frage: In den Ländern regieren Sie inzwischen mit der SPD, mit der CDU, mit den Grünen. Kommt die CSU als Partner nun hinzu?

Lindner: Wir sind jedenfalls gesprächsbereit. Aber momentan fürchtet die CSU den Einzug der FDP ins Maximilianeum in München. Weil dann die absolute Mehrheit weg wäre, werden wir dort bekämpft.  Das nehmen wir sportlich, denn die CDU hat uns in NRW auch bekämpft, um danach mit uns eine gute Koalition zu bilden. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wer nicht die absolute Macht in den Händen von Markus Söder will, der muss die FDP wählen. Wir stehen für eine professionelle Integrations- und Einwanderungspolitik und nicht für gefährliche Symbolmaßnahmen, wie neue Kreuze an den Wänden. Der FDP-Integrationsminister hat in NRW bei der Abschiebung von illegal sich hier auftretenden Menschen bessere Zahlen als der bayerische CSU-Innenminister.

Frage: Wenn Sie über Bayern hinaus auf 2021 blicken: Kanzler Söder, Vizekanzler Lindner – wäre das was?

Lindner: Eine nette Spekulation, aber die Personalfrage in der Union ist ja offen. Markus Söder könnte einer der Aspiranten sein. Aber da gibt es in der Union auch noch andere Namen wie Armin Laschet, Daniel Günther, Julia Klöckner, Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn. Nach Jamaika ist plötzlich viel in Bewegung geraden – CDU, SPD und Grüne geben sich neue Grundsatzprogramme. Für die FDP gilt, jetzt mit Nachdruck weiter an eigenen Ideen zu arbeiten, zum Beispiel für ein komplett neues, zweites Bildungssystem für das lebensbegleitende Lernen. Vielleicht inklusive eines Midlife-Bafög für Menschen, die in ihre berufliche Qualifikation investieren wollen. Diese Inhalte beschäftigen uns mehr als Spekulationen über Regierungsbildungen.

Frage: Wenn es um die Fraktionsbildung nach den EU-Wahlen im Europaparlament geht: Ist Emmanuel Macron ein Liberaler?

Lindner: Er ist ein fortschrittlicher Politiker, der in Veränderungen Chancen sieht und sich gegen Abschottung und Ausgrenzung positioniert. Damit steht er in einer Verwandtschaftsbeziehung mit der liberalen Parteienfamilie. Es wird sich zeigen, wie sich seine En-Marche-Bewegung positioniert, die größten Überschneidungen gibt es jedenfalls zu der Haltung der Liberalen.

Frage: Umgekehrt: Sollte ein FDP-Chef ein deutscher Macron sein?

Lindner: (lacht) Vielen Dank. Aber die Verhältnisse lassen sich nicht vergleichen. Wir haben kein Präsidialsystem, und die FDP ist eine Partei mit gefestigten Inhalten und keine Bewegung, die unterschiedliche Strömungen zusammenzufassen versucht unter einer charismatischen Führung.

Frage: Die Jungen Liberalen haben nun eine Chefin und einen mehrheitlich weiblichen Vorstand – ein Modell auch für die FDP-Spitze?

Lindner: Das ist zumindest der Beweis, dass die FDP für in diesem Fall junge Frauen attraktiv ist. Wir haben ein modernes gesellschaftspolitisches Programm, setzen auf Bildung und wirtschaftliche Vernunft. Zugleich ist uns jede Form von Gender-Ideologie fremd, wie man sie bei Linken und Grünen in der einen Richtung und bei der AfD in der anderen Richtung feststellt.

Frage: Welche Perspektiven haben Frauen in der FDP?

Lindner: Alle.

Frage: Auch mit Quote?

Lindner: Unsere Julis zeigen doch, dass die einfachen Mittel nicht immer die besten und erfolgversprechendsten sind. Wir werden das Thema bis zum Parteitag 2019 grundlegend analysieren und schauen, wie wir unsere Organisation so verändern müssen, damit sich die beruflich und familiär zeitlich mehr eingebundenen Frauen mehr beteiligen können.

Frage: Nach einer Theorie haben die Populisten auch Zulauf, weil die Menschen Wohlstand und Lebenschancen gefährdet sehen. Braucht es höhere Löhne und Gehälter?

Lindner: Ich möchte eine Doppelstrategie zum Vorgehen gegen Populisten vorschlagen: Nicht die Ängste verstärken, indem man die Furcht vor kultureller Entfremdung durch Kreuz-Initiativen aufnimmt, sondern eine liberale Einwanderungspolitik machen, die auch klare Anforderungen formuliert. Bei der klaren Administration ist Innenminister Seehofer aufgerufen, schnell zu einem Migrationsgipfel einzuladen, damit wir mehr Tempo aufnehmen können.  Zudem muss das Vorankommen der Menschen erleichtert werden. Das ist nicht nur eine Frage von höheren Löhnen und Gehältern, sondern von vor allem von geringeren Steuern und Sozialabgaben. Die Bruttolöhne sind respektabel gestiegen, aber der Staat greift immer stärker zu…

Frage: Ergebnis ist nun eine neue Steuerschätzung mit üppigen Zusatzeinnahmen. Wohin mit dem ganzen Geld?

Lindner: In die Brieftaschen der Bürgerinnen und Bürger zurück. Der Staat muss investieren, aber er darf auch die privaten Investitionen nicht unverhältnismäßig einschränken. Wir haben doch ein Tag und Nacht arbeitendes Pumpwerk der Umverteilung, ohne das soziale Ziele besser erfüllt werden.

Frage: Kann die Bundeswehr doch noch hoffen angesichts der Mehreinnahmen?

Lindner: Der Zustand ist trotz CDU-Ministerverantwortung unhaltbar, ja. Frau von der Leyen sollte aber erst ein Konzept für den Auftrag der Bundeswehr und für ein besseres Beschaffungsmanagement vorstellen. Wir wollen über mehr Effizienz durch europäische Zusammenarbeit sprechen. Danach kann man über konkrete Summen entscheiden.

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