17.09.2016FDPWirtschaft

LINDNER-Gastbeitrag: Europa kann sich ein TTIP-Scheitern nicht leisten

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER schrieb für „Welt.de“ den folgenden Gastbeitrag:

Scheitert TTIP, dann fällt Europa weiter zurück. Ohne den transatlantischen Freihandel würde gerade Deutschland in den nächsten Jahrzehnten auf die Zuschauerbänke der globalen Wirtschaft durchgereicht. Wollen aber auch wir in Zukunft Wachstum, Wohlstand und den Abbau der Arbeitslosigkeit in Europa voranbringen, brauchen wir diesen starken Partner, die USA.

Mit TTIP würde eine Freihandelszone von über 800 Millionen Menschen entstehen – ein Raum, der die Hälfte der Weltwirtschaft umfasst. Ein Raum, der die technischen, ökologischen und Verbraucherschutz-Standards für die Welt definiert.

Ein Raum des Wettbewerbs, der Innovation und globalen Stärke. Würde Europa auf diese Chance verzichten, würden sich Amerikaner im pazifischen Raum andere Partner suchen.

Gerade der deutsche Mittelstand ist auf eine verbindliche Handelsbeziehung mit den Vereinigten Staaten angewiesen. Während die großen Konzerne mit Kapital und ihren Administrationen den Atlantik alleine überqueren können, brauchen die exportorientierten kleinen und mittelgroßen Firmen eine stabile Brücke, die ihnen den Weg zum größten Absatzmarkt der Welt erleichtert.

Statt Chancen zu nutzen, werden TTIP und auch Ceta von linken Organisationen für Großkampagnen zur Anwerbung und Mobilisierung von Mitgliedern missbraucht.

Kleinteilig werden vermeintliche Gefahren der Freihandelsabkommen in schillerndsten Farben ausgemalt, Gefahren, die in dieser Form gar nicht existieren.

Es wird ein Szenario gezeichnet, das geradezu einem Armageddon für Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit in Deutschland und Europa gleichzukommen droht.

Mit der realen Situation, die durch die Freihandelsabkommen geschaffen würde, hat das wenig bis gar nichts zu tun. Die größte Mär der Gegner betrifft die vermeintliche Festschreibung von Verbraucherschutz- und Umweltstandards in alle Zukunft.

Tatsächlich enthalten die Abkommen jedoch lediglich Diskriminierungsverbote, nicht hingegen Regulierungsverbote. In- und Ausländer sollen nach den Standards des jeweiligen Staates gleich behandelt werden.

Gleichbehandlung begründet Gerechtigkeit – und ist übrigens ein Instrument, das die EU-Verträge schon seit 1958 kennen und das uns innerhalb Europas so selbstverständlich erscheint, dass wir gar nicht mehr darüber sprechen.

Die Abkommen bieten die Chance, das großartige europäische Friedens- und Wohlstandsprojekt fortzuführen. Ein internationaler Handelsgerichtshof könnte den ersten Schritt hin zu einer wirklich fairen und gerade konzernunabhängigen Streitschlichtung bedeuten.

Auch Kleinstunternehmer erhalten Zugang zu einem gewaltigen Markt, und sei es die Friseurmeisterin, die ihre Pflegeprodukte künftig aus den USA bezieht.

Wenn an diesem Samstag erneut Zehntausende Menschen in verschiedenen Städten des Bundesgebietes gegen die geplanten Abkommen auf die Straße gehen, müsste ihnen der Wirtschaftsminister der größten europäischen Wirtschaftsnation deshalb zurufen: Europa kann sich ein Scheitern von TTIP nicht leisten.

Aber Sigmar Gabriel macht es wie David Cameron: Er nutzt ein Symbolthema, um gegen den historischen und lang anhaltenden Umfragetiefstand seiner Partei anzukämpfen. Mit dem Ergebnis, dass er parteipolitisch nichts gewinnt, aber ganz Europa schweren Schaden nimmt.

Ein Minister, der Verantwortung für sein Land und Europa wahrnimmt, müsste für Vernunft werben: Keine Kampagne gegen einen Vertrag, der noch gar nicht fertig verhandelt ist.

Es wäre richtig, den Vertragstext abzuwarten und in aller Offenheit die Details in Parlamenten und Öffentlichkeit zu beraten.

Mit dem Brexit und dem Zustrom von Flüchtlingen hat die Europäische Union schon heute genügend Herausforderungen zu überwinden.

Wenn jetzt auch der Freihandel, eine zentrale Säule der europäischen Idee überhaupt, ins Wanken gerät, geht unserer europäischen Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft das verbindende Element vollends verloren.

Darauf sollten wir es nicht ankommen lassen und stattdessen die Chance des Freihandels gestalten.

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