24.03.2014FDPGroße Koalition

LINDNER-Gastbeitrag für den „Focus“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER schrieb für den „Focus“ (aktuelle Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Hundert Tage Schonfrist erhält jede Regierung – für Schwarz-Rot ist sie nun abgelaufen. Union und SPD wollten eine Koalition bilden, die für die „großen Aufgaben“ und für die „kleinen Leute“ da ist. Spätestens seit der Edathy-Affäre erleben wir aber eher eine Politik für die „eigenen Leute“ – inklusive Geheimnisverrat, höheren Diäten und mehr Posten. Auf die Fragen unserer Zeit gibt die Große Koalition dagegen bestenfalls defensive Antworten – wenn überhaupt. SPD und Union treten vor allem als Anwälte des Status Quo in Erscheinung. Ihre Mehrheit ist groß – ihre Ambitionen sind klein:

1. Wir wollen den Staat aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte befreien. Der Bund müsste in diesen Zeiten Überschüsse erzielen: für Schuldentilgung, Investitionen oder Bürgerentlastung. Die Große Koalition gibt aber lieber 23 Milliarden Euro mehr aus. Investiert werden davon nur 1,8 Milliarden Euro. Der Rest ist Konsum – wie kurzsichtig. Stattdessen brauchen wir eine Inventur der bisherigen Staatsausgaben: Vorfahrt für Investitionen vor Konsum. Und neue Staatsaufgaben sollten erst beschlossen werden, wenn die bisherigen dauerhaft ohne Schulden und Mehrbelastungen finanzierbar sind.

2. Es muss gelten: Marktwirtschaft vor Umverteilung – denn nur die schafft „Wohlstand für alle“. In Brüssel aber fabulieren die schwarzen und roten Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker und Martin Schulz über Euro-Bonds, also die Vergemeinschaftung von Schulden. In Deutschland räumt die Große Koalition die Agenda 2010 ab und schränkt wirtschaftliche Freiheiten ein – vom Arbeitsmarkt bis zur Mietpreisbremse. Sigmar Gabriel kritisiert unsere Exportstärke, die unseren Wohlstand sichert. Eine bürgerliche Regierung würde stattdessen für die Agenda-Politik in Europa werben. Wer soziale Sensibilität hat, muss zudem Marktwirtschaft mit Chancengerechtigkeit verbinden. Der Mindestlohn kuriert nur an Symptomen. Wo ist stattdessen die Offensive für mehr Fairness und mehr Qualität in der Bildung?

3. Jetzt müssten die sozialen Sicherungssysteme „enkelfit“ gemacht werden. Der demografische Wandel kommt sicher. Der Jahrgang 1964 ist der geburtenstärkste aller Zeiten. Er feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag. Das schwarz-rote Rentenpaket verschärft die drohenden Verteilungskonflikte, denn die Reserven werden jetzt verbraucht, so dass ab 2017 Beiträge, Steuern oder Schulden erhöht werden müssen. Dieses Wahlgeschenk wird wie ein Bumerang zurückkommen.

4. In der Energiepolitik muss Deutschland aus der kollektiven Selbsthypnose geweckt werden. Es droht die Deindustrialisierung, wenn wir neue Dauersubventionen aus dem EEG nicht sofort stoppen. Wettbewerb, mehr europäisches Denken und die Senkung der Stromsteuer könnten die Energiepreise unter Kontrolle bringen. Die Große Koalition hat dagegen so grundlegende Änderungen an die nächste Bundesregierung überwiesen. Die Kosten explodieren, die Energiewende implodiert.

5. Die Menschen haben einen fairen Anteil am Aufschwung verdient. Er wird ihnen durch steigende Sozialbeiträge und die heimliche Steuererhöhung der „kalten Progression“ verweigert. Schwarz-Rot verteilt das Geld der Bürgerinnen und Bürger lieber selbst.

6. Unsere Freiheit muss vor staatlichen und kommerziellen Datensammlern geschützt werden. Die Große Koalition aber blockiert in Brüssel mehr europäischen Datenschutz und will in Deutschland die Speicherung unserer aller Daten auf Vorrat. Das ist nicht nur ein Misstrauensvotum gegen uns Bürger. Es reicht nicht aus, einen Minister für das „Neuland“ zu ernennen – er muss dieses auch betreten.

Deutschlands jetzige Stärke ist beeindruckend. Durch große Anstrengungen, entschlossene Reformen und sinnvolles Sparen ist unser Land vom „kranken Mann“ Europas zum Garant für Stabilität und Wachstum geworden. Wer diese Stärke für selbstverständlich hält, wird sie verlieren. Nach 100 Tagen muss ich bilanzieren: Die Große Koalition hat damit bereits begonnen.

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