26.11.2017FDPFDP

LINDNER-Interview: Das Jamaika-Motto wäre gewesen ‚Schlimmer so!‘

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „BILD am Sonntag“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Roman Eichinger und Burkhard Uhlenbroich.

Frage: Herr Lind­ner, Sie könn­ten Vi­ze­kanz­ler und Bun­des­fi­nanz­mi­nis­ter sein. Statt des­sen sind Sie seit Sonn­tag­nacht der Buh­mann der Na­ti­on. Ge­fällt Ihnen das neue Image?

Lindner: Jamaika wurde zu einem romantischen Sehnsuchtsort verklärt. Es gab einige gute Ansätze. Aber eine stabile Regierung, die das Land voranbringt, wäre das nicht geworden. Das haben die Widersprüche in der Sache und der fortwährende Bruch der Vertraulichkeit gezeigt. Wir mussten diese Träumerei beenden.

Frage: Haben Sie wirk­lich alles rich­tig ge­macht?

Lindner: Wir übernehmen die Verantwortung für alle unsere Entscheidungen.

Frage: Jür­gen Trit­tin von den Grü­nen sagt zum Ja­mai­ka-Aus, die FDP sei „vor ihren ei­ge­nen In­hal­ten da­von­ge­lau­fen“. Und: „Lind­ner hatte den Plan, Mer­kel zu stür­zen." Wol­len Sie die Kanz­le­rin stür­zen?

Lindner: Herr Trit­tin be­stä­ti­gt mit Verschwörungstheorien unsere Zwei­fel, ob wir mit den Grünen momentan vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Frau Merkel wollte die Politik der Großen Koalition im Kern fortsetzen. Die Grünen sollten mit Zugeständnissen in der Energie- und Verkehrspolitik eingekauft werden. Arbeitsplätze opfern, Wirtschaftskraft schwächen, sichere Energie riskieren – ohne dass für das Weltklima etwas erreicht wird? Ich verstehe unter Gestaltung der Zukunft und vernünftiger Politik etwas anderes.

Frage: Noch mal: Braucht es an der Spit­ze des Lan­des eine Er­neue­rung?

Lindner: Wir arbeiten uns nicht an Personen ab. Wir haben nicht Angela Merkel abgelehnt, sondern eine Koalition.

Frage: Der Abbau des Soli bis 2022, eine Bil­dungs­of­fen­si­ve, die Di­gi­ta­li­sie­rung von Äm­tern und Schu­len, ein strik­tes Ein­wan­de­rungs­ge­setz. Das klingt doch sehr nach Trend­wen­de?

Lindner: Die Lage war leider anders. Eine Re­form des Bil­dungs­fö­de­ra­lis­mus ist an der CSU und dem Grü­nen Win­fried Kret­sch­mann ge­schei­tert. Der Soli wäre 2021 noch mit zehn bis fünfzehn Milliarden Euro erhoben worden, obwohl schon 2019 der Grund für seine Einführung entfällt. Mitnichten sollte er bis 2022 abgebaut sein. Beim Einwanderungsgesetz gab es keine Einigung, weil wir die Grünen als weltfremd erleben mussten. Es ist nicht an einem einzelnen Punkt ge­schei­tert, es ist an der fehlenden gemeinsamen Idee ge­schei­tert.

Frage: Jetzt krie­gen Ihre Wäh­ler gar nichts: keine Steu­er­ent­las­tung, keine Bil­dungs­of­fen­si­ve, keine Neu­ord­nung der Zu­wan­de­rungs­po­li­tik.

Lindner: Die Politik hätte nicht gehalten, was im Nachhinein an Schlagworten genannt wird. Jamaika wäre binnen Monaten in 1000 Trümmerteile zerfallen, vermutlich wegen der Europapolitik. Wir haben fundamental unterschiedliche Auffassungen. Wir sind für mehr Europa, wo wir es brauchen, etwa in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Grünen wollen dagegen eine Art Dispo-Kredit für die Mitgliedsstaaten des Euro und eine Bankenunion, durch die Sparkassenkunden für Banken anderer Staaten haften. Das war für uns ausgeschlossen.

Frage: CSU-Lan­des­grup­pen­chef Alex­an­der Do­brindt hat kei­nen Hehl dar­aus ge­macht, dass er die Grü­nen nicht lei­den kann. Hat er sich bei Ihnen be­dankt, dass Sie Ja­mai­ka ver­hin­dert haben?

Lindner: Nein. Aber die Auseinandersetzungen zwischen Do­brindt und den Grü­nen sind bekannt. Während der Verhandlungen zur Verkehrspolitik waren die Grünen nicht bereit, den Satz "Die Ein­schrän­kung der in­di­vi­du­el­len Mo­bi­li­tät leh­nen wir ab" zu akzeptieren. Man ahnt, welche Vorhaben gegen das Auto später ein grüner Verkehrsminister angehen wollte. Ich bin gespannt, ob sich daran in ab­seh­ba­rer Zeit etwas ändert.

Frage: Was ver­ste­hen Sie unter ab­seh­ba­rer Zeit?

Lindner: Das nächste Jahrzehnt.

Frage: "Spie­gel" und "Süd­deut­sche" schrei­ben, Ihre Vor­bil­der seien der fran­zö­si­sche Prä­si­dent Ma­cron und der künf­ti­ge ös­ter­rei­chi­sche Bun­des­kanz­ler Kurz. Wol­len Sie eines Tages Kanz­ler wer­den?

Lindner: Das entspringt journalistischer Phantasie. Wenn ich einen Politiker spannend finde, dann den kanadischen Premier Justin Trudeau. Zum Beispiel wegen seiner liberalen, toleranten und weltoffenen, aber klar geregelten Einwanderungspolitik. Ausgerechnet mit ihm wollen die Grünen das Freihandelsabkommen nicht abschließen. Als deutsche Orientierungspunkte der FDP nenne ich Otto Graf Lambs­dorff und Hans-Diet­rich Gen­scher.

Frage: Was muss Ihnen an­ge­bo­ten wer­den, damit Sie doch noch JA zu Ja­mai­ka sagen?

Lindner: Ja­mai­ka ist bis auf Wei­te­res aus­ge­schlos­sen.

Frage: Wie geht's jetzt wei­ter - neue GroKo, Min­der­heits­re­gie­rung, Neu­wah­len?

Lindner: Ich gehe davon aus, dass die SPD sich bewegt. Die Hürde ist geringer als bei uns: Die SPD-Mi­nis­ter sit­zen noch auf der Re­gie­rungs­bank, sie müss­ten die Große Ko­ali­ti­on ein­fach nur fort­set­zen.

Frage: Also ist das neue Motto für Deutsch­land "Wei­ter so"?

Lindner: Ver­mut­lich. Aber das Ja­mai­ka-Mot­to wäre ge­we­sen: "Schlim­mer so"! Eine Streitkoalition ohne Richtung und ohne Stabilität mussten wir dem Land ersparen.

Frage: Könn­ten Sie sich vor­stel­len, eine Min­der­heits­re­gie­rung von An­ge­la Mer­kel zu un­ter­stüt­zen?     

Lindner: Ich halte eine Minderheitsregierung für unwahrscheinlich. Die FDP bleibt in jedem Fall kon­struk­tiv. Wir wer­den jedes Vor­ha­ben einer neuen Re­gie­rung sach­lich prü­fen und ge­ge­be­nen­falls un­ter­stüt­zen. Ich schlie­ße nur eines aus: Wir wer­den auf kei­nen Fall mit AfD oder Links­par­tei zu­sam­men­ar­bei­ten, weil diese Parteien im Widerspruch zu unseren Grundwerten stehen.

Frage: Manche unterstellen Ihnen, Sie wollten die FDP nach rechts führen.

Lindner: Unsere ersten Initiativen sprechen eine andere Sprache. Wir möchten zum Beispiel anders als die Grünen dafür sorgen, dass der Familiennachzug bei Flüchtlingen weiter ausgesetzt bleibt, weil Deutschland momentan keine Kapazitäten mehr hat. Aber im Gegensatz zur geltenden Rechtslage prüfen wir Ausnahmen für Einzelfälle. Das wäre ein humanitärer Fortschritt im Vergleich zur Großen Koalition. Die FDP bleibt die liberale Partei der Mitte.

Frage: Kann sich die FDP über­haupt eine Neu­wahl leis­ten - fi­nan­zi­ell und po­li­tisch?

Lindner: Diese Über­le­gung hat bei un­se­rer Ent­schei­dung keine Rolle ge­spielt. Ir­gend­wie würde das schon gehen.

Social Media Button