09.10.2019FDPFDP

LINDNER-Interview: Der Staat kassiert beim Klimaschutz ab

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Münchner Merkur“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Christian Deutschländer und Georg Anastasiadis.

Frage: Eigentlich müssten Sie dreimal täglich in die Tischkante beißen...

Lindner: Mitunter beiße ich dreimal am Tag in die Tischkante, wenn ich sehe, wie die Chancen unseres Landes fahrlässig verspielt werden. Wir verlieren wertvolle Zeit, um einen Wirtschaftsabsturz zu verhindern.

Frage: Wir dachten zunächst eher an die FDP-Werte. Die Volksparteien schrumpfen, Profiteur sind nur Grüne und AfD. Was läuft schief für die Liberalen?

Lindner: Die Lage ist nicht überall so. In Nordrhein-Westfalen, wo wir mit der Union regieren, liegt die AfD weit unter dem Bundesdurchschnitt. Weil wir dort Politik aus der Mitte machen: die Wirtschaft mit Entbürokratisierung entfesseln, unideologisch Bildung verbessern. Und: Die FDP stellt den Flüchtlingsminister. NRW hat höhere Abschiebezahlen als die CSU in Bayern, aber gleichzeitig das menschenfreundlichste Bleiberecht für integrationsbereite Menschen.

Frage: Sollten Sie im Moment nicht besser den Klima-Minister stellen? Reden ja alle derzeit nur darüber.

Lindner: Die meisten Menschen verstehen die Agenda von Politik und Medien in Berlin-Mitte nicht, diesen Mainstream eines grünen Klima-Absolutismus. Klimaschutz ist wichtig, aber viele sagen auch: Was ist mit der Schule meiner Kinder? Wie sicher ist mein Arbeitsplatz? Was ist mit dem Zustand der Straßen? Wie ordnet Ihr endlich die Migration?

Frage: Klartext: Glauben Sie an den menschengemachten Klimawandel, oder halten Sie das für Humbug?

Lindner: Alle wissenschaftliche Evidenz spricht dafür. Ich bin sehr oft im Wald und sehe den Zustand der Bäume, auch der 200 Jahre alten Eichen. Wer angesichts dessen den Klimawandel leugnet, der kann die Heimat nicht kennen und erst recht nicht lieben. Worüber aber gestritten werden muss, ist das Wie.

Frage: Nur zu!

Lindner: Wir sollten CO2 ein Limit geben und den Preis dafür am Markt feststellen lassen. Getrieben durch die Grünen machen wir es leider anders: Statt das Klima zu schützen und den Ausstoß zu begrenzen, gibt es unzählige Einzeleingriffe, die in Wahrheit gar nichts bringen. Wollen Sie Beispiele hören?

Frage: Bitte.

Lindner: Bitte: Verbot innerdeutschen Flugverkehrs: 0,3 Prozent Einsparung beim CO2. 17 Euro mehr Flugticketsteuer: Deshalb steigt keiner auf die Bahn um, nur der Staat kassiert ab. Verbot von Ölheizungen 2026: Schon heute werden so gut wie keine neuen Ölheizungen eingebaut. All das bringt nichts. Wir brauchen mehr Flexibilität, Freiheit, Innovationsfreude! Wir müssen groß denken mit modernen Technologien.

Frage: Einmal noch klein denken: Der Porschefahrer Lindner ist gegen ein Tempolimit?

Lindner: Mein Auto fährt gar nicht so schnell, weil es ein ganz alter Porsche ist. Ich bin trotzdem dagegen, weil es nichts bringt. Für Verbote bin ich – wenn sie helfen. Wir sollten zum Beispiel aus ethischen Gründen das Kükenschreddern verbieten. Beim Tempolimit kommen nur alte kulturkämpferische Ziele neu ummäntelt wieder aus der Kiste. Solche Vorschläge spalten unser Land.

Frage: Die Grünen wollen auch die Arbeitswelt neu gestalten: eine Wahlarbeitszeit zwischen 20 und 40 Stunden. Passt dazu der Ansatz: Wir brauchen weniger Wachstum, weniger Anstrengung?

Lindner: Es ist gut und schön, soziale und ökologische Fragen nach vorne zu stellen. Wir als FDP haben auch viele gute Ansätze gegen Altersarmut oder für die Aufforstung des deutschen Waldes. Das muss aber alles bezahlt werden. Es sollte wenigstens noch eine einzige Partei geben, die die Frage danach stellt, wer verdient, was die anderen ausgeben wollen. Das ist unsere Rolle.

Frage: Kern der Überlegung ist: Wächst eine stärker freizeitorientierte Generation auf dem Sofa heran?

Lindner: Ich habe noch nie eine einheitliche Generation getroffen. Ich treffe auf ganz unterschiedliche Auffassungen. In der Fridays-for-future-Generation holen wir übrigens regelmäßig unsere besten Wahlergebnisse.

Frage: Sie arbeiten in Berlin. Dort blockiert „Extinction Rebellion“ derzeit zentrale Plätze. So schlimm?

Lindner: Das Grundgesetz garantiert ein Demonstrationsrecht. Davon machen die Menschen Gebrauch. Das hat Grenzen, wenn unverhältnismäßig die öffentliche Ordnung eingeschränkt wird. Das müssen die Behörden beurteilen.

Frage: Aber?

Lindner: Für mich ist klar: Diese Protestorganisation „Extinction Rebellion“ verkörpert nicht zwangsläufig legitimen Protest gegen die Klimapolitik. Es handelt sich um eine mindestens in Teilen antidemokratische und totalitäre Organisation. Mitgründer sagen, die Demokratie löse keine Probleme, deshalb müsse zum Mittel der Aktion gegriffen werden und Bürgerversammlungen einberufen werden. Das ist eine Tendenz zur Räterepublik, das kennen wir aus anderen Systemen. Für mich klingt das nach Venezuela, nicht nach Bundesrepublik. Davon sollten sich alle Parteien klar distanzieren.

Frage: Sie haben vor einem „Morgenthau-Plan“ gewarnt, uns in der Klimapolitik zu deindustrialisieren. Steht konkret die Auto-Industrie vor der Existenzfrage?

Lindner: Ja, selbstverständlich. Wir haben Spitzen-Know-how bei autonomem Fahren und den Assistenzsystemen. Bei den Antrieben sind wir ebenfalls weltweit vorn. Aber: Die ganze Branche wird künstlich schlecht- und kleingeredet. Beispiel: Der Verbrennungsmotor hätte mit synthetischen Kraftstoffen die große Chance, viel klimafreundlicher zu sein als die E-Mobilität mit ihrer Abhängigkeit von Rohstoffen wie Kobalt. Synthetische Kraftstoffe werden aber nicht auf den Flottenverbrauch angerechnet, das zwingt die Hersteller, einseitig auf Elektro zu setzen.

Frage: Besser als Diesel?

Lindner: Um Strom für so viel Elektromobilität zu produzieren, bräuchten wir tausende neue Windkraftanlagen – oder Strom aus französischen Kernkraftwerken und polnischer Braunkohle. Der grüne Plan dahinter: Es geht nicht um Elektro, sondern in Wahrheit um das Ende des Autobesitzes. Wer Grüne wählt, sollte wissen, worauf er sich einlässt: höhere Steuern, Enteignungen, Kollektivismus von Auto bis Gesellschaftspolitik. Wer das will, soll’s wählen. Ich nicht.

Frage: Das zweite Aufregerthema: Migration. Erkennen Sie den ehemaligen CSU-Hardliner Horst Seehofer noch wieder?

Lindner: Ja. Ich habe schon während der Jamaika-Gespräche in Berlin einen Horst Seehofer kennengelernt, der kurz vor dem Umfallen beim Familiennachzug war. Er wollte Hunderttausenden mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus erlauben, dass alle Familien nach Deutschland geholt werden. Das wollte er den Grünen auf dem Silbertablett servieren. Das wäre ein Fest gewesen für die AfD. Mal wieder eine Seehofer-Wende also.

Frage: Sie sind klar gegen eine 25-Prozent-Quote zur Aufnahme von Mittelmeer-Flüchtlingen?

Lindner: Wir sind für Ordnung und Kontrolle. Die Quote lehnen wir so lange ab, wie es nicht eine staatlich verantwortete Seenotrettung gibt, Flüchtlingslager unter UN-Hoheit in Nordafrika und eine gemeinsame europäische Migrationspolitik, die auch Binnenwanderung zum größten Sozialstaat in Europa wirksam unterbindet. Vor allem so lange es Deutschland nicht gelingt, dass Menschen ohne Aufenthaltsrecht wirklich ausreisen, kann man nicht pauschal aufnehmen. Die Abkommen von Seehofer mit anderen Staaten haben sich alle als wirkungslos herausgestellt.

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