09.08.2017FDPWirtschaft

LINDNER-Interview: Der Staat sollte VW privatisieren

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Handelsblatt“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Sven Afhüppe und Dana Heide:

Frage: Herr Lindner, der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil hat seine Regierungserklärung zum Dieselskandal vorab an Volkswagen zur Prüfung gegeben – was sagt das über das Amtsverständnis von Herrn Weil aus?

Lindner: Für mich sind die Vorgänge verstörend. Generell ist mein Eindruck, dass in Deutschland Wirtschaft und Politik zu stark verflochten sind. Es gab bei der Aufsicht der Banken und in der Ordnung des Finanzmarkts Defizite, weil der Staat selbst Institute besitzt. Im Handel hat sich der damalige Wirtschaftsminister auf Druck von Verdi zum Anwalt von Konzerninteressen gemacht. Und auch im Automobilbereich gibt es ein eklatantes Politikversagen, weil der Staat Anteilseigner ist. Deshalb müssen wir Politik und Wirtschaft stärker entflechten, damit der Staat in die Lage kommt, die richtigen Regeln zu setzen und durchzusetzen.

Frage: Also sollte der Staat aus VW aussteigen?

Lindner: Ja, der Staat sollte VW komplett privatisieren. Das VW-Gesetz passt nicht mehr in die Zeit. Das ist unsere liberale Grundüberzeugung. Bedauerlicherweise gibt es dafür gegenwärtig keine Partner bei den anderen Parteien.

Frage: Gilt das auch für andere Beteiligungen des Staates?

Lindner: Ich beziehe das ausdrücklich auch auf die anderen Beteiligungen des Staates, zum Beispiel Deutsche Telekom und Deutsche Post. Auch aus der Commerzbank muss der Staat so schnell wie möglich wieder raus. Das sind im Wettbewerb stehende Unternehmen, bei denen der Staat die Märkte regulieren muss – und das kann er nicht, wenn er zugleich Interesse am wirtschaftlichen Erfolg eines Spielers hat. Der Staat hat bei der Regulierung der Finanzmärkte versagt, weil er zu nah an die Banken rangerückt ist. Es gab die öffentlich-rechtlichen Landesbanken, die gezockt haben. Und Staatsanleihen in den Bilanzen werden immer noch fiktiv als risikolos bewertet, damit die Politik sich leichter verschulden kann. Auch im Automobilbereich ist gekungelt worden. Wir brauchen marktwirtschaftlichen Wettbewerb und Kreativität der Ingenieure, aber keine Kumpanei zwischen Wirtschaft und Politik.

Frage: Die FDP hat das VW-Gesetz in Niedersachsen bisher tapfer verteidigt, etwa als Jörg Bode dort Wirtschaftsminister war. Woher kommt der Sinneswandel?

Lindner: Ein Wirtschaftsminister spricht für eine Regierung, nicht für seine Partei. Die FDP fordert seit Jahr und Tag, dass das VW-Gesetz abgeschafft und die Staatsbeteiligung aufgegeben werden muss. In der niedersächsischen Landespolitik gab es dafür aber bislang keine Mehrheit.

Frage: Falls die FDP gemeinsam mit der Union in die Regierung in Niedersachsen einzieht, werden sich die Landespolitiker also für die Abschaffung des VW-Gesetzes einsetzen?

Lindner: Meine Hoffnung auf einen Sinneswandel bei der schwarzen Sozialdemokratie ist begrenzt. Die Erlöse aus einem VW-Verkauf könnten jedenfalls das Bildungssystem und die Infrastruktur in Niedersachsen auf ein Spitzenniveau bringen.

Frage: SPD-Außenminister Sigmar Gabriel ist Stephan Weil in der Zwischenzeit beiseite gesprungen und verteidigt das Vorgehen bei der Regierungserklärung als völlig normal. Wie bewerten Sie das?

Lindner: Ich frage mich, ob der Ministerpräsident in den Gremien den Konzern kontrolliert oder Herr Weil im Landtag als Vertreter des Unternehmens spricht. Selbst wenn diese Verflechtungen üblich gewesen wären, kann man das nach dem Abgasskandal nicht mehr hinnehmen. Der Staat hat als starker Schiedsrichter über einzelnen Interessen zu stehen. Er muss im Interesse der Kunden und des Gemeinwohls die Regeln der Marktwirtschaft durchsetzen. Deshalb kann ein Ministerpräsident nicht seine Regierungserklärung einem Konzern zur Korrektur vorlegen lassen.

Frage: Können Politiker denn überhaupt in der Lage sein, große internationale Konzerne richtig zu kontrollieren?

Lindner: Weder ein Ministerpräsident noch ein Wirtschaftsminister haben die zeitlichen Kapazitäten, einen Milliarden-Weltkonzern wie VW fachlich und ökonomisch als Aufsichtsrat zu beaufsichtigen. Da ist spezielles Branchen-Knowhow erforderlich. Man muss sich doch auch fragen, ob in der Dieselaffäre manche Verstöße nicht auch schon im Vorfeld dem Aufsichtsrat bekannt waren und gedeckt wurden. Die Affäre bei Audi etwa wurde noch gar nicht vollständig aufgearbeitet. Ministerpräsident Weil hat als Aufsichtsrat offensichtlich nicht energisch genug gewirkt.

Frage: Wie bewerten Sie die Ergebnisse vom nationalen Diesel-Gipfel?

Lindner: Enttäuschend. Die Zeichen der Zeit sind doch noch gar nicht erkannt worden. Meine Befürchtung ist, dass die Automobilindustrie die Stahlbranche des nächsten Jahrzehnts sein könnte. Jetzt sind ganz andere Maßnahmen möglich.

Frage: Was muss geschehen?

Lindner: Erstens, die Käufer von manipulierten Dieselfahrzeugen müssen auf Kostender Hersteller entschädigt werden. Nötigenfalls muss es auch eine Motorumrüstung geben. Kunden haben das Recht auf ein Fahrzeug, das die Merkmale erfüllt, die beim Kauf zugesagt waren. Zweitens müssen wir alle rechtlichen Rahmenbedingungen und die Infrastruktur schaffen sowie die Forschung anschieben, um die Mobilitätswende zu schaffen. Und zwar technologieoffen. Denn wir wissen nicht, ob diese Wende am besten mit Elektromobilität, synthetischen Kraftstoffen im Verbrennungsmotor oder Hybriden erreicht werden kann.

Frage: Braucht es neue Subventionen?

Lindner: Auf keinen Fall. Die Fehler der Energiewende sollten wir bei der Mobilitätswende nicht wiederholen.

Frage: Diese Themen könnten auch Einfluss bei der Bundestagswahl haben. Sie sagen, die sei schon längst gelaufen, Merkel wird vor Schulz gewinnen. Es gibt also kein Risiko mehr für Frau Merkel?

Lindner: Die SPD hat kein zukunftsweisendes Programm, sondern eine Agenda 1995. Die schleppen sich nur noch durch. Deshalb ist nicht die ganze Wahl gelaufen, aber das Rennen zwischen Union und SPD ist entschieden. Das eigentlich Spannende ist jetzt, wer dritte Kraft wird. Und dieses Rennen wollen wir natürlich für uns entscheiden.

Frage: Ausgerechnet von Linken-Chefin Sahra Wagenknecht haben Sie jetzt Unterstützung bekommen für Ihre Äußerung, dass man die Annektierung der Krimdurch Russland als „dauerhaftes Provisorium“ sehen sollte. Das haben Siewahrscheinlich mit Ihrer Äußerung nicht beabsichtigt, oder?

Lindner: Das ist ein Wahlkampfmanöver, noch nicht einmal ein besonders geschicktes. Jeder weiß, dass die Linke und die AfD Deutschland in eine Mittellage zwischen den USA und Russland führen wollen. Für die FDP ist Deutschland dagegen Teil des Westens. Während wir für transatlantische Partnerschaft und Freihandel geworben haben, haben etwa die Grünen mit Linken und AfD gegen TTIP demonstriert. Als Teil dieses Westens wollen wir prüfen, ob Russland zur Kooperation zurückkehren will. Die Annexion der Krim ist als Völkerrechtsbruch nicht zu akzeptieren. Aber diese Krise sollte man zunächst einfrieren, um bei einfacheren Fragen zu schauen, ob Russland seine autoritäre Politik ändert. Wenn nicht, wird man Sanktionen eher verschärfen als lockern müssen.

Frage: Was wäre denn ein Anlass, die Sanktionen zu lockern?

Lindner: Das ist Sache von Verhandlungen. Auch der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat darauf hingewiesen, dass Sanktionen nur Zug um Zug zurückgenommen werden können und nicht als Ganzes.

Frage: Was wollten Sie mit der Aussage bezwecken, außer einer Provokation?

Lindner: Die Menschen sollen wissen, wie wir denken. Und ich bin für mehr Realismus. Es wird für die Krim leider keine schnelle Lösung geben. In der Konsequenz kann man sich auf eine Eskalationsspirale und Wettrüsten einlassen, wie die Grünen das wollen. Oder man kann Russland vor die Wahl stellen. Entweder die Konfrontation geht weiter, dann mit härteren Antworten des Westens inklusive Aufrüstung. Oder wir führen Russland Schritt für Schritt aus der Sackgasse heraus. Letzteres wäre im gemeinsamen Interesse.

Frage: Wirtschafts- oder Außenminister – welches Amt wollen Sie im Falle einer Regierungsbeteiligung übernehmen?

Lindner: Wir sind noch nicht im Bundestag. Ich gehe davon aus, dass wir reinkommen. Aber ich denke, dass die wahrscheinlichste Konstellation eine Neuauflage der Großen Koalition wird. Und dann wäre ich gerne Oppositionsführer.

Frage: Das klingt etwas nach Tiefstapelei.

Lindner: Es geht doch um zwei Dinge. Das eine ist die Frage, ob es überhaupt für eine schwarz-gelbe Mehrheit reicht. Und die andere Frage ist, ob wir dann inhaltlich übereinkommen. Unsere Parteibasis ist sehr viel anspruchsvoller als früher geworden. Die CDU könnte die Grünen immer billiger einkaufen als uns, weil wir schon unsere Erfahrungen mit Frau Merkel gemacht haben. Ich möchte noch sehr lange Politik machen, und wir haben die FDP nicht in der langen Phase der außerparlamentarischen Opposition erneuert, um bei der ersten Gelegenheit alle Glaubwürdigkeit zu verlieren. Hinzu kommt ja noch, dass, wenn es nicht für Schwarz-Gelb reicht, nur Jamaika ginge, und da fehlt mir aktuell die Fantasie.

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