04.03.2014FDPFDP

LINDNER-Interview für die „Nürnberger Nachrichten“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab den „Nürnberger Nachrichten“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ARMIN JELENIK und TANJA TOPLAK:

Frage: Herr Lindner, wie steht es denn inzwischen mit der sozialen Wärme der FDP? Muss sich eine Partei, die von „spätrömischer Dekadenz“ und „Anschlussverwendung“ für Schlecker-Frauen sprach, wundern, wenn sie abgewählt wird?

LINDNER: Das waren und sind nicht meine Worte. Eine liberale Partei muss wirtschaftliche Vernunft und gesellschaftspolitische Sensibilität verbinden. Da hat die FDP nicht überzeugt. Allerdings sehe ich einen Unterschied zwischen sozialer Rhetorik etwa der Großen Koalition und der Arbeit für soziale Ergebnisse. Eine Gesellschaft ist doch nicht sozial, nur weil sie eine hohe Umverteilungsmarge hat oder Politiker auf Pump Wahlgeschenke verteilen. Soziale Verantwortung heißt für mich, allen Menschen Chancen zu eröffnen, durch gute Bildungspolitik etwas aus ihrem Leben zu machen. Und die Menschen durch Arbeitsplätze in die Lage zu versetzen, ihr Leben selbst zu gestalten.

Frage: Genau das scheitert ja aber immer noch oft an Niedriglöhnen.

LINDNER: 1,5 Millionen Menschen zwischen 25 und 35 haben weder einen Schul- noch einen Berufsabschluss. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Qualifikation und Lohn. Hier sollten wir durch Bildung ansetzen. Vor einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn warnt dagegen sogar die Caritas, weil Einstiegsjobs vernichtet werden könnten. Hoffentlich führt dieser Mindestlohn nicht zu Jugendarbeitslosigkeit oder verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit bei Geringqualifizierten.

Frage: Geringqualifizierte, Familien — bislang wurden sie doch vor allem als die Partei der Apotheker, Ärzte und Anwälte wahrgenommen. Wie wollen Sie die FDP von diesem Klientel-Image wegbringen?

LINDNER: Die Wahrnehmung gab es, aber sie stimmt nicht. Manche Anwältin wählt eher grün, wenn sie ihren Wohlstand für selbstverständlich hält. Unsere Wählerschaft ist der Querschnitt der Bevölkerung. Fehlentscheidungen, wie die Absenkung der Mehrwertsteuer für Hotels ohne eine gleichzeitige Reform des ganzen Systems, haben zu diesen Klientel-Unterstellungen geführt. Liberalität hat aber nichts mit Beruf oder Einkommen zu tun, das ist ein Lebensgefühl — Selbstbestimmung, Verantwortungsgefühl, Toleranz und mehr tun wollen als nur die Pflicht.

Frage: Was glauben Sie: Wird diese Neuausrichtung der FDP bis zur Europawahl Ende Mai in den Köpfen der Wähler ankommen?

LINDNER: Die FDP hat eine tiefgreifende Niederlage erlitten. Wir bauen sie jetzt vom Fundament aus neu auf. Das ist kein Projekt weniger Wochen, sondern vieler Monate. Umfragen zeigen: Jeder vierte Deutsche will eine liberale Partei im Parlament. Denen wollen wir wieder ein seriöses Angebot machen. Ich bin mir sicher, dass wir ein achtbares Ergebnis bei der Europawahl erzielen werden.

Frage: Was wäre denn achtbar? Die Umfragen sehen die Freien Demokraten nach wie vor nur bei drei bis fünf Prozent.

LINDNER: Selbstverständlich werden wir am Ergebnis der Bundestagswahl gemessen.

Frage: Das waren 4,8 Prozent. Können Sie drei Argumente nennen, warum es bei der Europawahl wieder mindestens so viel werden sollte?

LINDNER: Die FDP ist die Partei, die der Eigenverantwortung der Bürger eine Chance gibt, bevor der Staat zur Hilfe gerufen wird. Zweitens brauchen wir in Deutschland und Europa solide Finanzen und eine starke Wirtschaft. Wir achten darauf, dass die Politik nicht nur das Verteilen von Wohlstand setzt, sondern auch auf seine Erwirtschaftung. Und drittens sind wir für Toleranz und Rechtsstaatlichkeit. Angesichts der NSA-Enthüllungen und der Edathy-Affäre so wichtig wie selten.

Frage: Sie haben auf dem Parteitag der FDP ein sehr klares Bekenntnis zu Europa abgelegt. Das kann man nicht von allen ihren Mitgliedern sagen, wie der Gruppe um den Euro-Skeptiker Frank Schäffler.

LINDNER: Wir haben unser Europa-Programm nahezu einstimmig beschlossen. Es gibt bei uns keine irrationalen Europa-Kritiker wie in der AfD. Europa braucht keine Romantik linker Parteien und keinen irrationalen Nationalismus von rechts. Europa braucht Realismus, der Chancen und Fehler offen benennt. Für Alltagsfragen wie Olivenölkännchen auf Restauranttischen, Staubsauger und Glühbirnen brauchen wir Europa nicht. In den großen Fragen wie Energieversorgung, Datenschutz oder globaler Wettbewerbsfähigkeit benötigen wir hingegen mehr Europa.

Frage: Dennoch könnte die AfD, die derzeit auf sieben Prozent kommt, der FDP einige Stimmen kosten.

LINDNER: Das sehe ich nicht so. Die AfD-Spitzenvertreter haben ein ungeklärtes Verhältnis zu Fragen der Liberalität. Der AfD-Vorsitzende Lucke hat unlängst lieber eine Fernsehsendung verlassen, als sich von fremdenfeindlichen Ressentiments einer AfD-Spitzenkandidatin zu distanzieren. Es gab in der AfD sicher einige bürgerliche Köpfe, aber inzwischen geben andere den Ton an. Also sehe ich da auch keine große Wählerwanderung.

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