27.09.2017FDPFDP

LINDNER-Interview: Ganz offensichtlich brodelt es im Land

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Welt“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Adrian Arab und Thorsten Jungholt.

Frage: Herr Lindner, was macht es mit einer Partei, bei einer Wahl so um die zehn Prozentpunkte zu verlieren? Christian Lindner:

Lindner: Das ist wie ein körperlicher Schock. Ein solcher Vertrauensverlust stellt den politischen Identitätskern infrage. Wir haben das 2013 schmerzhaft erfahren. Es ist auch nur mit dem Schockzustand erklärbar, wenn jemand in dieser Lage vor die Öffentlichkeit tritt und sagt, man habe in den vergangenen vier Jahren alles richtig gemacht.

Frage: So hat es die CDU-Vorsitzende nun getan. Die CSU dagegen agiert eher aktionistisch. Glauben Sie, die Union insgesamt ist nach einem solchen Ergebnis in der Lage, im Sinne des Landes mit zwei anderen Parteien nach politischen Kompromissen zu suchen?

Lindner: CDU und CSU durchlaufen einen internen Klärungsprozess. Davor habe ich Respekt. Was an dessen Ende steht, wird man sehen. Jeder muss wissen, dass die Freien Demokraten nur in eine Koalition eintreten, wenn es Trendwenden in der deutschen Politik gibt. Das ist unser Wählerauftrag. CDU, SPD und die Grünen haben in den vergangenen Jahren einen kaum voneinander unterscheidbaren Mainstream gebildet. Es wäre fatal für die politische Landschaft, wenn sich hier auch noch die FDP einreihen würde, weil dann für die Wähler nur Protestparteien am linken und rechten Rand übrig blieben. Im Zweifel machen wir Opposition aus der Mitte.

Frage: Die Grünen scheinen bereit für ernsthafte Sondierungen und haben bereits ein Verhandlungsteam nominiert, das von Herrn Kretschmann bis zu Herrn Trittin reicht. Halten Sie es für möglich, mit dem linken Parteiflügel ein Vertrauensverhältnis aufzubauen?

Lindner: Mir scheint, dieses grüne Verhandlungsteam muss erst einmal untereinander Vertrauen aufbauen. Das Verhältnis des linken und des rechten Flügels bei den Grünen ist ja vergleichbar dem Verhältnis von CDU und CSU. Noch im Wahlkampf sprach Herr Kretschmann davon, das grüne Wahlprogramm sei mit der Fixierung auf Elektromobilität „Schwachsinn“. Wenn der realpolitische Teil der Grünen nach der Wahl stärker wird, würde ich das begrüßen.

Frage: Sie haben am Montag, 20 Stunden nach Schließung der Wahllokale, erstmals seit vier Jahren wieder eine Fraktionssitzung gehabt. Sind Sie schon verhandlungsfähig?

Lindner: Wir sind jederzeit gesprächsfähig. Auf uns muss niemand warten.

Frage: Ein paar Tage vor der Wahl haben Sie noch gesagt, Sie seien „enthusiastisch bereit zu regieren“. Am Tag nach der Wahl hieß es, die FDP lasse sich nicht in eine Koalition „zwingen“. Haben Sie Angst vor der eigenen Courage?

Lindner: Nein, der scheinbare Widerspruch hängt nur damit zusammen, dass Sie nicht ganz vollständig zitieren. Es gilt nach der Wahl genau dasselbe wie vor der Wahl. Wir sind eine Gestaltungspartei und kein Protestverein. Wir übernehmen wie in drei Bundesländern gerne Verantwortung auch im Bund, wenn wir Ideen aus unserem Programm umsetzen können und uns niemand zur Preisgabe unserer Prinzipien zwingt. Wir haben versprochen, Deutschland in der Bildung stark und Tempo bei der Digitalisierung zu machen, die Mitte im Land wirtschaftlich voran und ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild auf den Weg zu bringen. Wir wollen eine vernünftige Energiepolitik und lehnen automatische Finanztransfers in Europa ab. Da kann man über Wege zum Ziel sprechen. Aber am Ziel lassen wir nicht rütteln. Wenn das mit Union und Grünen nicht möglich ist, lassen wir uns in nichts hineinreden, sondern bringen unsere Argumente aus der Opposition vor. Alles ganz seriös und realistisch.

Frage: Wir dachten, die neue FDP sei verliebt in das Experiment? Das wäre Jamaika ja allemal.

Lindner: Wir sind zu neuem Denken bereit. Aber wir würden uns nicht in eine Konstellation drängen lassen, die keinen Raum für eigenes Profil, keine Stabilität und kein Vertrauen bietet. Es geht ganz nüchtern um Sachprojekte. Manche verklären nun Jamaika zu einem romantischen Politikprojekt. Die Wahrheit ist, dass es zwar eine rechnerische Mehrheit gibt, die vier Parteien aber jeweils eigene Wähleraufträge hatten. Ob diese widerspruchsfrei und im Interesse des Landes verbunden werden können, steht in den Sternen. Politik ist nicht Mathematik. Deshalb lassen wir uns von der SPD auch nicht unter Druck setzen mit dem Hinweis, jetzt sollen mal die anderen regieren.

Frage: Kann die SPD noch einmal zurück ins Spiel kommen?

Lindner: Das, was die SPD gegenwärtig abzieht, ist für mich nur ein taktisches Manöver. Ob dahinter mehr steckt, wird sich vielleicht noch erweisen müssen. Im Übrigen halte ich es nicht für überzeugend, die politische Landschaft dadurch beruhigen zu wollen, dass die Nahles-SPD in der Opposition weiter nach links rückt. Stabilität erreichen wir durch die Stärkung der vernünftigen Mitte. Deshalb muss sich eine neue Regierungspolitik in diese Richtung bewegen, oder es muss eine entsprechende Position in der Opposition geben. Das entscheidet sich nun.

Frage: Ist am Ende eine Minderheitsregierung denkbar?

Lindner: Das ist nicht wünschenswert. Der große Vorteil Deutschlands in den vergangenen Jahrzehnten war, dass es immer stabile Regierungen gegeben hat. Im Übrigen tragen solche Spekulationen nicht dazu bei, Beruhigung in ein politisch aufgewühltes Land zu bringen.

Frage: 2013 sind Sie mit dem Satz angetreten: Ab sofort muss die FDP neu aufgebaut werden. Ist der Neuaufbau jetzt abgeschlossen?

Lindner: Wir haben eine Zwischenetappe erreicht, nämlich wieder im Bundestag mitarbeiten zu können. Wir sind dankbar, dass die Wähler uns das ermöglichen. Mit diesem neuen Vertrauen gehen wir sorgsam um. Aber die Erneuerung der FDP geht weiter. Wir wollen unsere Programmatik vertiefen, uns personell verbreitern, unsere Strukturen in Ostdeutschland stärken. Außerdem wünsche ich mir, dass die FDP insgesamt weiblicher und partizipativer wird.

Frage: Sie hatten 2009 Ihre größte Fraktion, dann keine und jetzt die zweitgrößte. Was sagen diese Schwankungen über die politischen Verhältnisse in Deutschland aus?

Lindner: Ganz offensichtlich brodelt es. Die politische Landschaft ist in Bewegung. Das war schon bei der Wahl 2013 zu spüren, jetzt ist es durch zwei Fraktionen mehr im Bundestag klar sichtbar. Vielleicht gibt es sogar noch eine weitere, wenn der Zerfallsprozess der AfD weitergehen sollte und sich die nur rechtspopulistischen Kräfte von den Kräften am ganz rechten Rand absetzen. Die weitere Entwicklung ist in keine Richtung vorhersehbar. Alles ist möglich. Das ist für unser Land jetzt eine prägende Zeit – und für alle, die politisch tätig sind, eine Phase hoher Verantwortung.

Frage: Die Wähler in Berlin haben sich für die Offenhaltung des Flughafens Tegel ausgesprochen. Der Bürgermeister Michael Müller von der SPD sagt nun, seine Position für eine Schließung von Tegel habe sich dadurch nicht verändert. Was sagt das über sein Verhältnis zu Volksentscheiden?

Lindner: Man muss Herrn Müller ein gestörtes Verhältnis zum Wählerwillen attestieren. Der Senat ist jetzt dazu aufgerufen, alles zu unternehmen, um dem Wählerwillen politisch Geltung zu verschaffen. Wenn er dazu nicht in der Lage ist, dann müsste er sich selbst einem neuen Votum unterwerfen.

Frage: In einer Neuwahl?

Lindner: Ich interpretiere das Votum der Wähler als ein Misstrauensvotum gegenüber dem Senat von Herrn Müller.

Frage: Auch der Bund hat bei Tegel ein Wort mitzureden. Was erwarten Sie von Angela Merkel?

Lindner: Solange keine neue Regierung gebildet ist, ist die Bundeskanzlerin in dieser Frage nicht sprechfähig. Ich habe aber mit Zustimmung wahrgenommen, dass es innerhalb der CDU eine Bewegung pro Tegel gegeben hat. Und dass auch der amtierende Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt von der CSU sich die Position der FDP zu eigen gemacht hat.

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