31.08.2017FDPFDP

LINDNER-Interview: Jamaika halte ich für unwahrscheinlich

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Schwäbischen Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Claudia Kling und Dr. Hendrik Groth:

Frage: Herr Lindner, ist die FDP eigentlich die einzige Partei, die Wahlkampf nötig hat?

Lindner: Wir sind offensichtlich die einzige Partei, die richtig Lust auf Wahlkampf hat. Jetzt entscheidet sich der Weg Deutschlands ins nächste Jahrzehnt. Wir möchten, dass unser Land ein starkes Land bleibt, deshalb sind wir so tatendurstig. Die große Koalition hat von der Bildung über die Digitalisierung, die Einwanderung bis zum wirtschaftlichen Vorankommen der Menschen viele ungelöste Aufgaben hinterlassen.

Frage: Sind Sie zufrieden mit Ihrer Kampagne? Sie werden ja auch etwas spöttisch wahlweise als Hemden- oder Parfümmodel bezeichnet.

Lindner: Die FDP hat so viel Programm auf den Plakaten wie keine andere Partei. Wir wollen eine inhaltliche Debatte mit den Menschen eröffnen, weil wir die Verliebtheit in den Status quo, wie sie in Deutschland mit Händen zu greifen ist, für die größte Gefahr unseres Landes halten. Wenn man wie die CDU nur „weiter so“ sagt, oder wie die SPD nur „zurück“ oder wie die Grünen nur im Wunschdenken verharrt, dann verspielen wir den Wohlstand unseres Landes und seine Chancen.

Frage: In welchem Teich wollen Sie damit eigentlich fischen?

Lindner: Unsere Zielgruppe teilt ein Lebensgefühl, hat aber nicht das gleiche Alter, den gleichen Beruf oder das gleiche Einkommen. Es sind die Menschen, die selbstbestimmt leben wollen, die verantwortungsbewusst, tolerant und weltoffen sind. Die sich einen Staat wünschen, der kein Aufpasser und kein Besserwisser ist, sondern ein Schiedsrichter und ein Partner, der ihnen die Hürden aus dem Weg räumt.

Frage: Ihren Vorschlag, den Konflikt um die von Russland annektierte Halbinsel Krim einzufrieren, könnte man aber auch als Angebot an ehemalige FDP und jetzt AfD-Wähler verstehen, zur FDP zurückzukehren. In der AfD finden sich ja zahlreiche Putinversteher.

Lindner: Das ist keineswegs so. Meine Position entspricht der Linie der deutschen Entspannungspolitik seit 1969: Härte mit Dialogangeboten zu kombinieren. Wenn es kein Entgegenkommen aus Moskau gibt, muss man beispielsweise Vorhaben wie Nord Stream 2, das Pipeline-Projekt, das die Bundesregierung immer noch vorantreibt, absagen. Dialogbereitschaft bedeutet, gleichzeitig nicht generell ein Gespräch von der Frage Krim abhängig zu machen, weil sie gegenwärtig nicht lösbar ist. Auch wenn es eine inakzeptable Verletzung des Völkerrechts ist, muss diese Frage erst einmal ausgeklammert werden, um zu sehen, ob es bei Russland an anderer Stelle Bewegung gibt.

Frage: Sie haben für Ihren Vorschlag ziemlich einstecken müssen. Kam auch Zuspruch von anderen Parteien?

Lindner: Das ist im Wahlkampf kaum möglich. Ich befürchte allerdings auch, dass insbesondere die Grünen den Vorschlag gar nicht durchdacht haben. Für mich ist es eine schauderhafte Vorstellung, einen Außenminister Özdemir zu haben, der nicht weiß, was die Tradition der deutschen Entspannungspolitik war und auf welcher Grundlage der Beitrittsprozess mit der Türkei aufgenommen wurde. Diesen Beitrittsprozess gibt es nur, weil Europa die völkerrechtswidrige Besetzung Nordzyperns eingefroren hat.

Frage: Aber in der aktuellen Türkeipolitik würden Sie sich doch mit Herrn Özdemir treffen?

Lindner: In der Gegenwart vielleicht. Heute fordert die FDP das Ende der Beitrittsgespräche mit der Türkei. Wir müssen, selbst wenn wir eigene wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen müssten, die Exportbürgschaften beenden, die Gespräche über eine Zollunion einfrieren und alle Ampeln der Zusammenarbeit auf Rot stellen, um die Opposition in der Türkei selbst zu stärken. Denn wenn der ökonomische Erfolg Erdogans ausbleibt, ist das das beste Argument für die Anhänger der Demokratie innerhalb der Türkei.

Frage: Auch in der Flüchtlingspolitik vertreten Sie eine klare Linie. Sie wollen Flüchtlinge nach Libyen direkt zurückschicken. Auch das könnte ein Angebot an AfD-Wähler sein.

Lindner: Uns geht es um Rechtsstaatlichkeit. Ohne Grenzen und ohne das Gewaltmonopol des Staates würden alle Systeme sozialer Sicherheit und jede staatliche Ordnung zusammenbrechen. Jeden Vorschlag, den die FDP macht, in einen Zusammenhang zu bringen mit der AfD, einer Partei, die sich vom Judenhass, der Homophobie und der Islamophobie nicht distanziert hat, halte ich für absurd und sogar für eine Verharmlosung einer autoritären, völkischen Partei, die unsere politische Kultur zerstören will.

Frage: Nach der Genfer Flüchtlingskonvention dürfen Flüchtlinge nicht an unseren Grenzen abgewiesen werden – auch wenn diese auf hoher See sind. Wie wollen Sie das garantieren?

Lindner: Ich habe mir den Vorschlag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu eigen gemacht. Wir müssen mit aller Macht dafür sorgen, dass in Nordafrika und Libyen menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden, in denen die Menschen die legale Einreise nach Europa beantragen können. Dort muss geprüft werden, ob die Antragsteller Flüchtlinge, Asylberechtigte oder Migranten, die ihr Glück suchen, sind. Die Voraussetzung, dass dies funktioniert, ist natürlich, dass die Mittelmeerroute geschlossen wird – so wie das bei der Balkanroute auch gemacht wurde.

Frage: Sie fordern auch einen neuen Rechtsstatus für Flüchtlinge, angelehnt an den bisherigen subsidiären Schutz für Menschen aus Bürgerkriegsgegenden. Was soll das konkret bringen?

Lindner: Wir möchten, dass diejenigen, die auf der Flucht vor einem Bürgerkrieg sind, ohne langwierige, manchmal langjährige Asylverfahren einen Aufenthaltstitel bekommen. Dann können sie arbeiten, Deutsch lernen und selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Wenn ihre Heimat befriedet ist, endet das Aufenthaltsrecht und sie müssten zurück – oder sich um einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland über das neu zu schaffende Einwanderungsgesetz bewerben.

Frage: Könnte die Zuwanderungspolitik zu einem Knackpunkt für mögliche künftige Koalitionen werden?

Lindner: Eine strategisch angelegte Zuwanderungspolitik für Deutschland ist eines der wesentlichen Ziele der FDP in der nächsten Legislaturperiode. Da muss zwischen Asyl, Flucht und qualifizierter Zuwanderung präzise unterschieden werden. Und es muss dafür gesorgt werden, dass diejenigen, die sich illegal in Deutschland aufhalten, rasch in die Herkunftsländer zurückgebracht werden. Das ist für uns eine wichtige Hürde. Mit CDU/CSU halte ich sie für überwindbar, aber ein mögliches Jamaika-Bündnis halte ich deshalb für unwahrscheinlich. Wenn man sieht wie der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer für seine Position in der Integrations- und Zuwanderungspolitik aus der eigenen Partei heraus denunziert worden ist, macht dies klar, dass die Grünen im Jahr 2015 stehengeblieben sind. Sie glauben unverbesserlich an edle Motive und sind völlig desinteressiert an dem, was in der Realität im Land passiert.

Frage: Im Moment deutet vieles darauf hin, dass es zu Schwarz-Gelb oder Jamaika kommen könnte nach der Bundestagswahl. Befürchten Sie nicht, erneut von der Union absorbiert zu werden in einer Koalition?

Lindner: Wir sind selbstverständlich bereit, Verantwortung zu übernehmen, wenn Gutes für das Land erreicht werden kann. Und wir haben den Ehrgeiz, den Menschen die bürokratischen Fesseln abzunehmen, wir wollen ihnen das wirtschaftliche Vorankommen erleichtern, und wir halten Bildung und den Glasfaserausbau für Schlüsselthemen. Wenn es möglich ist, dass in einer Koalition zu verankern, sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen. Jamaika halte ich aber für unwahrscheinlich wegen der Positionen der Grünen. Etwa bei der Zuwanderungspolitik haben die sich seit Jahren nicht mehr weiterentwickelt.

Frage: Aber was, wenn der öffentliche Druck auf Sie zunimmt, diese Koalition einzugehen, um erneut eine Große Koalition zu vermeiden?

Lindner: Die FDP kommt aus einer rauen Phase des unfreiwilligen politischen Bildungsurlaubs. Uns kann kein öffentlicher Druck zu etwas zwingen oder in eine Regierung einzutreten, wenn wir nicht selbst davon überzeugt sind. Aber wenn es eine gute Regierung geben kann, werden wir es gerne machen.

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