22.01.2019FDPFDP

LINDNER-Interview: Macron steht für Aufbruch

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Handelsblatt“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Dana Heide.

Frage: Heute wird der neue Freundschaftsvertrag zwischen Paris und Berlin unterzeichnet. Was bedeutet das für Europa?

Lindner: Wenn die deutsch-französische Freundschaft neue Impulse bekommt, ist das ein Signal über das bilaterale Verhältnis hinaus. Es zeigt, wie die zwei Nationen daran festhalten, dass man nur gemeinsam Zukunft gestalten kann und sich gemeinsam den Herausforderungen der Globalisierung stellen will. Gerade in diesen Zeiten hat die Erneuerung des Elysée-Vertrages eine besondere, auch symbolische Bedeutung, die über das hinaus geht, was im Vertrag steht.

Frage: Haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch die politische Kraft, ein neues Europa aufzubauen?

Lindner: Bei Emmanuel Macron sehe ich viele politische Ambitionen. Zweifellos steht er vor innenpolitischen Problemen, die er lösen muss. Aber wenn man allein die Neujahrsansprachen von Frau Merkel und Herrn Macron vergleicht, dann stellt man fest, dass der französische Präsident nichts an Gestaltungswillen verloren hat. Deutschland wirkt dagegen in vielen Fragen teilnahmslos. Das muss sich wieder ändern.

Frage: Sie wollen mit Macron in den Europawahlkampf ziehen. Wie muss man sich das eigentlich vorstellen?

Lindner: Da ist noch sehr viel offen. Macrons „En Marche“-Bewegung hat auf dem letzten Kongress unserer europäischen Parteien signalisiert, dass man in Paris die Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE) als den einzigen infrage kommenden Partner auf der europäischen Ebene betrachtet. Hinsichtlich der Erarbeitung gemeinsamer Inhalte teilen wir gemeinsame Grundwerte. Wir haben auch gemeinsame Vorstellungen, etwa wenn es um eine europäische Armee geht, um die Digitalisierung, Klimaschutz, außenpolitische Sicherheit und Migration. Einzelheiten allerdings sind noch nicht durchdekliniert, deshalb ist es auch noch zu früh festzulegen, wie wir gemeinsam den Wahlkampf gestalten werden.

Frage: Bis wann wollen Sie das klären?

Lindner: Ich gehe davon aus, dass wir das im Laufe des Frühjahrs klären. Die Zusammenarbeit mit „En Marche“ bezieht sich aber weniger auf den konkreten Wahlkampf als vielmehr darauf, nach der Wahl zu kooperieren. Es geht nicht einfach nur um eine Kampagne für kurzfristige Aufmerksamkeit.

Frage: Macron ist im eigenen Land in die Kritik geraten. Wie hilfreich ist er in dieser Situation für die FDP im Europawahlkampf?

Lindner: Wir teilen gemeinsame Grundüberzeugungen und freuen uns, dass wir in Frankreich jetzt für unsere Parteienfamilie einen Ansprechpartner haben. Manche in Deutschland haben Macron zu Beginn verklärt. Er kann nicht übers Wasser gehen. Trotzdem steht er für einen Aufbruch in Europa.

Frage: Ist Macron aber nicht viel sozialliberaler als die deutschen Liberalen? Man denke nur an seinen Vorschlag einer europäischen Arbeitslosenversicherung oder eines Euro-Zone-Budgets.

Lindner: Die von Ihnen genannten Ideen von Herrn Macron sind nicht mehrheitsfähig in Europa. Die der FDP entsprechen dagegen etwa der Linie der Regierung der Niederlande. Generell muss man beachten, dass Emmanuel Macron ein französischer Präsident ist. Mentalitäten und Herangehensweisen unterscheiden sich in den jeweiligen europäischen Gesellschaften. Eins ist aber klar: Liberaler als unter Emmanuel Macron wird Frankreich nicht werden. Zwischen der FDP und Herrn Macron gibt es Unterschiede, aber wenn er unsere Nähe sucht, ist das zum wechselseitigen Vorteil.

Frage: Hilft es den Liberalen, dass die EVP den wenig bekannten Manfred Weber als Spitzenkandidaten aufgestellt hat?

Lindner: Uns hilft vor allem die innere Widersprüchlichkeit der EVP. Bei dieser Europawahl geht es um die Verteidigung eines Lebensstils. Es geht um die Neubegründung von gemeinsamen Werten: Würde und Freiheit des Einzelnen, Rechtsstaat, Demokratie, Marktwirtschaft. Schaut man sich die EVP an, dann gibt es auf der einen Seite Herrn Orbán mit seiner „illiberalen Demokratie“, wie er es selbst nennt. Es gibt aber auch die Regierung in Wien, die allen Ernstes Journalisten einschüchtert. Ich glaube, dass das alles für sich spricht. Die liberale Parteienfamilie steht dagegen für gemeinsame Werte. Für ein liberales Europa, das in den großen Fragen Mehrwert durch gemeinsames Handeln schafft, aber die Ideen der Freiheit, der regionalen Vielfalt und der finanziellen Eigenverantwortung gegen Zentralisten verteidigt.

Frage: Eine liberale Europapolitikerin ist sehr beliebt: EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Macron will sie angeblich als Kandidatin für das Amt des Kommissionspräsidenten. Hätte sie Chancen?

Lindner: Margrethe ist für uns ein Joker, der für alle Positionen infrage kommt. Sie wird hoffentlich auch Teil des Spitzenteams der Liberalen sein. Aber über die Aufstellung für Spitzenämter entscheidet die ALDE-Partei gemeinsam. Margrethe ist eine unserer starken Persönlichkeiten. Sie verkörpert vieles, wofür die Liberalen stehen.

Frage: Wie sehen Sie die Chance, dass ein liberaler Kandidat eine Mehrheit bekommt?

Lindner: Das ist offen, aber nicht ausgeschlossen. Es gibt die Chance, dass die liberale Parteienfamilie in Europa die zweitstärkste Kraft wird und Sozialisten und Sozialdemokraten ablöst.

Frage: Wer ist noch dabei? Etwa die Liberale Cecilia Malmström.

Lindner: Genau über diese Fragen soll in den nächsten Wochen ein Austausch stattfinden. Sicher ist, dass Nicola Beer, unsere Spitzenkandidatin für die Europawahl, dem Spitzenteam angehören wird.

Frage: Der „Spiegel“ berichtet über Verbindungen von Nicola Beer zu Viktor Orbán. Wie sehr schaden solche Verbindungen liberalen Politikern?

Lindner: Diese Konstruktion hat keinen realen Hintergrund. Es gibt keinerlei politische Nähe oder Sympathie für die Politik von Herrn Orbán bei der FDP. Unsere Aussagen, unsere Programme und auch das Abstimmungsverhalten unserer Mitglieder des Europäischen Parlaments sind da eindeutig. Das ist ein Unterschied zwischen uns und der CDU CSU beispielsweise. Herr Weber hat sich zwar kritisch über Herrn Orbán geäußert, alle CSU-Europaabgeordneten haben der Einleitung eines rechtsstaatlichen Verfahrens gegen Ungarn aber nicht zugestimmt.

Frage: Aber die private Verbindung bestreitet ja auch Nicola Beer nicht. Sie wurde erst vor wenigen Monaten von Zoltán Balog getraut, Leiter der politischen Stiftung von Orbáns Regierungspartei Fidesz. Muss man sich da als Kandidatin der FDP nicht stärker distanzieren?

Lindner: Die FDP kritisiert bekanntlich die Regierung Orbán und die Politik von Fidesz hart. Wenn dann alte private Bindungen trotzdem bestehen bleiben, müssen die Ungarn sehr viel aushalten können. Politisch hat Nicola Beer jedenfalls unser volles Vertrauen.

Frage: Noch mal zur Wirtschaft: Digitalisierung und Globalisierung sind wichtige Themen. Ist Europa da gut aufgestellt?

Lindner: Nein. Wir sprechen in diesen Fragen nicht mit einer Stimme. Bei Fragen des Freihandels haben wir immer noch unterschiedliche Mentalitäten. Dass Freihandelsverträge immer noch von den regionalen Parlamenten ratifiziert werden müssen, bremst uns. Anders als die AfD wollen wir das Europäische Parlament nicht abschaffen, sondern aufwerten. Handelsfragen könnten von ihm ratifiziert werden. Das bringt Tempo. Leider sind in Deutschland etwa die Grünen dagegen, weil sie in regionaler Mitsprache eine Chance sehen, Freihandelsabkommen zu verhindern.

Frage: Welche Rolle spielt die EU im Wettkampf mit den USA und China um Fachkräfte oder bei der Künstlichen Intelligenz?

Lindner: Bei der Künstlichen Intelligenz ist Europa derzeit raus. Die wichtigsten datenverarbeitenden Plattformen befinden sich außerhalb Europas, das Gleiche gilt für die führenden Forscher und Unternehmen im Bereich KI. Genau das soll sich jetzt wieder ändern. Wir müssen den Anspruch haben, ganz vorne mitzuspielen. Das kann nur eine gemeinsame europäische Anstrengung sein.

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