22.11.2017FDPFDP

LINDNER-Interview: Ohne die Grünen hätte es zweifelsohne geklappt

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Eckart Lohse und Markus Wehner.

Frage: Sie haben die weitreichende Entscheidung getroffen, die FDP nicht in eine Regierung mit Union und Grünen zu führen, Herr Lindner. Warum?

Lindner: Wir haben festgestellt, dass es keine gemeinsame Idee für die Modernisierung des Landes gab. Wir haben für uns nicht die Möglichkeit gesehen, eigene Akzente zu setzen. Außerdem bestand kein hinreichendes Vertrauen zwischen den vier Partnern.

Frage: Wo wurde das besonders augenfällig?

Lindner: Dafür gibt es viele Beispiele. In der Europapolitik war die FDP realistisch und kompromissbereit. Wir haben uns von der Maximalposition verabschiedet, die Euro-Rettungsschirme einzuklappen. Uns blieb aber wichtig, die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten zu stärken und die Vergemeinschaftung von Schulden und Haftungsrisiken auszuschließen. Die Grünen wollten hingegen neue Transfermechanismen einrichten, um mögliche Wirtschaftsschocks abzufedern. Am letzten Abend hat Frau Merkel bedauerlicherweise einen zwischen Union und FDP gefundenen Kompromiss aufgelöst, um den Grünen entgegenzukommen. Das war symptomatisch für die Sondierungen.

Frage: Dass Deutschland jetzt auf absehbare Zeit keine stabile Regierung hat, führt zu besorgten Kommentaren unserer europäischen Partner. Lässt Sie das kalt?

Lindner: Ich bedaure, dass diese Situation entstanden ist. Aber Deutschland hätte mit einer Jamaika-Koalition keine stabile Regierung erhalten. Die Indiskretionen während der Sondierungsphase und die Angriffe aus den Reihen der Grünen auf die FDP danach offenbaren doch fundamentale Unterschiede nicht nur hinsichtlich der politischen Bewertungen, sondern auch im Verhältnis der Parteien.

Frage: Ist dieses konfliktreiche Verhältnis mit den Grünen dauerhaft unvermeidbar?

Lindner: Ich wünsche mir, dass es dereinst einen entspannteren Umgang zwischen uns und den Grünen auf der Bundesebene geben wird. Auf Landesebene ist das ja schon möglich, wie das Beispiel Schleswig-Holstein zeigt, wo Jamaika regiert. Allerdings haben die im Bund zu entscheidenden Fragen auch einen anderen Charakter. Dort zeigt sich ein weltanschaulicher Unterschied, der zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht überbrückbar war. Wir vertrauen auf den Einzelnen und setzen auf Technologieoffenheit und Markt, die Grünen setzen auf den Staat und auf Lenkung.

Frage: Hätte eine Regierungsbildung ohne die Grünen geklappt?

Lindner: Zweifelsohne. Hätte es eine schwarz-gelbe Mehrheit gegeben, hätten wir eine Koalition gebildet.

Frage: Hat Bundeskanzlerin Angela Merkel genug dafür getan, dass die FDP in das angestrebte Bündnis eintritt?

Lindner: Wir erwarten nicht von Frau Merkel, dass sie etwas für die FDP tut, wir würden uns unsere Punkte schon selbst erarbeiten. Aber wir haben ja so gut wie keine Unterstützung für unsere Kompromissvorschläge erhalten.

Frage: Zum Beispiel?

Lindner: Auch die FDP will, dass die klimapolitischen Ziele für die Jahre 2020 und 2030 erreicht werden. Das ist für die Grünen eine Identitätsfrage. Ich verstehe daher, dass der Verzicht auf die Kohleverstromung aus Sicht der Grünen schneller erfolgen soll. Die Fachleute von FDP und Union halten den Verzicht auf fünf Gigawatt Strom aus der Kohleverbrennung für vertretbar, die Grünen wollten wesentlich mehr. Die Bundeskanzlerin hat sieben Gigawatt als Kompromiss angeboten und dabei bereits starke Bedenken bei ihren Parteifreunden in Nordrhein-Westfalen und in der Lausitz hervorgerufen. Für uns war das kein tragfähiger Kompromiss. Ich habe vorgeschlagen, dass wir uns auf fünf Gigawatt einigen. Zusätzlich würden wir den Verzicht auf zwei weitere Gigawatt im Laufe des Regierungshandelns prüfen.

Frage: Das wäre das Verfahren gewesen, das Sie als Konstruktionsfehler der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP aus dem Jahr 2009 benannt haben: Die FDP wurde ruhiggestellt mit Prüfaufträgen, die im Laufe der Legislaturperiode unter den Tisch fielen. Das wollten Sie nun den Grünen zumuten?

Lindner: Hier wäre es kein Prüfauftrag gewesen. Fünf plus zwei wäre vereinbart worden. Was physikalisch und ökonomisch möglich gewesen wäre, hätte man zugesagt.

Frage: Besteht denn zwischen Ihnen und Angela Merkel ein Vertrauensverhältnis?

Lindner: Ich habe keinen Grund, Frau Merkel zu misstrauen. Und ich glaube, dass Frau Merkel auch keinen Grund hat, der FDP oder mir zu misstrauen. Denn unsere Zweifel bezüglich der Erfolgsaussichten unserer Sondierungen waren während der gesamten Zeit sichtbar. Donnerstagnacht, Samstag- und auch Sonntagvormittag habe ich deutlich gemacht, dass mit jeder weiteren Stunde der Erfolg weniger wahrscheinlich wird. Angela Merkel ist von der Entscheidung der FDP nicht kalt erwischt worden.

Frage: Hatten Sie zum Ende der Sondierungen den Eindruck, dass Union und Grüne kurz davor waren, sich zu einigen, und der FDP die Rolle des fünften Rads zugedacht hatten, zuständig nur für die Mehrheitsbeschaffung im Bundestag?

Lindner: Die Wahrnehmung, dass wir der Mehrheitsbeschaffer für ein im Kern schwarz-grünes Bündnis hätten werden sollen, liegt nicht ganz fern, wenn man sich das endgültige Sondierungspapier ansieht. Aber auch zwischen Union und Grünen war keine Einigung sichtbar. Ich wüsste nicht, wo. Alles, was auf Entlastung, Flexibilisierung, marktwirtschaftliche Politik, echte Erneuerung und Vertrauen auf den Einzelnen in einer dynamischen Gesellschaft hinauslief, war in eckige Klammern gesetzt worden, also nicht beschlossen. Einigen konnten sich Schwarz und Grün dagegen auf Dinge, die den Kurs der großen Koalition einer Fesselung des Landes fortsetzten. Einigen konnten sich Union und Grüne ebenfalls darauf, etwaige Unterschiede in der Sache mit Geld zuzuschütten.

Frage: Wäre eine Jamaika-Koalition ohne Angela Merkel möglich gewesen?

Lindner: Nein. Ich habe Verständnis dafür, wie Frau Merkel die Sondierungsgespräche angelegt hat. Sie hat es gemacht wie auf einem europäischen Gipfeltreffen: sehr große Verhandlungsgruppen, ständig wechselnde Formate, sehr lange Gesprächsdauer, um am Ende dann unter dem Druck der öffentlichen Erwartung Ergebnisse zu erzielen. Mir war klar, dass das so laufen würde. Deshalb habe ich immer gesagt, dass wir uns nicht unter Druck setzen lassen und nur die Inhalte zählen. Das hat uns mancher nicht geglaubt.

Frage: Ihr Parteifreund Volker Wissing hat gleich nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche scharfe Kritik an Merkel geübt und ihr die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen gegeben. Teilen Sie diese Ansicht?

Lindner: Ich bedaure, dass es keine Regierungsbildung gegeben hat. Aber es macht keinen Sinn, die Schuld Einzelnen zuzuweisen. Ich weise es auch zurück, dass die FDP allein schuldig ist. Wir haben zu unseren Grundüberzeugungen gestanden. Und es gibt Grenzen der Kompromissfähigkeit, wenn es darum geht, einen Partner zu demütigen. Was am Ende auf dem Tisch lag, haben wir leider so empfinden müssen. Ich möchte aber auch anderen, etwa der Verhandlungsführerin und CDU-Vorsitzenden, nicht die Schuld am Scheitern geben. Es hat nicht geklappt, weil Parteien unterschiedlich sind. Vielleicht akzeptiert man einfach, dass Parteien zu ihren Grundsätzen stehen und dass es auch Grundsätze gibt, die unvereinbar sind. Wenn Frau Merkel es nicht schafft, eine Koalition zwischen CDU/CSU und Linkspartei zustande zu bringen, würde auch niemand sagen, dass die CDU-Vorsitzende Schuld daran trägt.

Frage: Wie gefällt Ihnen der Gedanke, nach einer Weihnachtspause wieder in den Wahlkampf zu ziehen?

Lindner: Wir haben vor Beginn der Sondierungen gesagt, dass wir Neuwahlen nicht fürchten. Das ist nicht ganz ernst genommen worden. Es stimmte aber, und auch jetzt stimmt es noch. Wir warten ab, was kommt. Die Zeit, die wir jetzt haben, werden wir im Deutschen Bundestag für die Sacharbeit nutzen. Es ist ja auch einmal ein Experiment: Ein Bundestag ohne klare Mehrheitsverhältnisse hat ja die Option, über die politischen Lager hinweg in Einzelfragen Gemeinsamkeiten herbeizuführen. Ich denke etwa an die Frage des Bildungsföderalismus. Da gibt es nach meiner Erwartung in diesem Bundestag eine Mehrheit für eine Reform – ohne die Disziplinierung einer Regierungskoalition. Das werden wir auf jeden Fall durch Gesetzgebungsinitiativen prüfen.

Frage: Wenn jetzt Merkel zu Ihnen kommt und sagt: Herr Lindner, lassen Sie uns eine Minderheitsregierung bilden, sind Sie dann eine Woche später mit der Union handelseinig?

Lindner: Es gibt solche Gesprächsangebote nicht. Deshalb will ich Ihre Frage auch nicht spekulativ beantworten. Eine Minderheitsregierung wäre für Deutschland nicht nur ein Novum, sondern sie wäre auch kein Garant für die Stabilität, die ich für angezeigt halte. Wir sind ja gerade nicht in eine Jamaika-Koalition eingetreten, weil wir sie nicht für eine stabile Konstellation für die Dauer von vier Jahren gehalten haben. Sie hätte den Charakter einer Fortsetzung der großen Koalition mit grünen Akzenten und mit einigen FDP-Ministern gehabt.

Frage: Wenn es zu einer Neuwahl kommt, können die vier Parteien danach noch einmal zusammenkommen, wenn der Ausgang der Wahl es zulässt?

Lindner: In dieser politischen Konstellation und mit diesen politischen Inhalten macht das keinen Sinn, einen neuen Anlauf zu machen. Wir haben das probiert. Was sollte sich geändert haben? Insbesondere die bemerkenswerten Reaktionen der Grünen auf das Scheitern zeigen doch auch eines: Die Grünen haben sich in der Jamaika-Konstellation inhaltlich durchaus wohl gefühlt aufgrund der Geschäfte, die zu Lasten eines Dritten, nämlich der FDP, gemacht worden sind. Und auch über eine offensichtlich tiefsitzende Abneigung der Grünen gegenüber den Freien Demokraten kann man in diesen Tagen lesen.

Frage: Sie haben die FDP nach einer vier Jahre dauernden parlamentarischen Pause wieder in den Bundestag geführt. Und Sie haben das Ziel, diesen Erfolg nun zu konsolidieren – am besten in der Opposition.

Lindner: Nein. Das ist nicht meine Absicht und nicht mein Ziel. In Nordrhein-Westfalen wurde auch spekuliert, wir wollten gar nicht regieren aus Rücksichtnahme auf die Bundestagswahl. Diese Spekulationen wurden durch die Schnelligkeit der Regierungsbildung widerlegt.

Frage: Haben Sie sich in den optimistischeren Tagen der Sondierungen auch mal auf das Regieren gefreut?

Lindner: So weit waren wir zu keinem Zeitpunkt. Natürlich ist Regieren, wenn es geht, immer besser als Opponieren. Wir wollen machen und nicht reden. Aber um jeden Preis macht es keinen Sinn. Wir hatten nun die Wahl: jetzt Dresche zu bekommen, weil die FDP sagt, wir können vieles, aber nicht alles akzeptieren. Oder aber Häme zu erfahren, weil die FDP noch nicht einmal den halben Soli zurückgebracht hat, bei der Bildung nichts durchsetzen konnte und in der Energiepolitik eingeknickt ist, angeblich alles nur, um Ministerien zu besetzen. Vor diese Wahl gestellt, entscheide ich mich lieber für die Dresche.

Frage: Die FDP erlebt eine Phase der Erneuerung. Sie haben in der Bundespolitik keine erfahrene Mannschaft hinter sich. Hat das eine Rolle gespielt bei Ihrer Entscheidung, keine Koalition einzugehen?

Lindner: Finden Sie die Mannschaft von Bündnis 90/Die Grünen erfahrener?

Frage: Wir haben Sie nach Ihrer Mannschaft gefragt. Sie waren zuletzt vier Jahre nicht einmal im Bundestag.

Lindner: Wir waren fachlich stets auf Ballhöhe. Die Zahl der Landesminister, die verhandelt haben, war bei der FDP zum Beispiel höher als bei den Grünen. Und auch die Zahl der Abgeordneten, die schon einmal eine Regierung mitgetragen haben, war höher als bei den Grünen.

Frage: Die FDP hat oft regiert, galt immer als staatstragende Partei. Jetzt könnte man den Eindruck gewinnen, die Staatsparteien sind nur noch Union und Grüne.

Lindner: Die FDP hat in den fünfziger und sechziger Jahren sogar Regierungen verlassen, weil sie mit politischen Richtungsentscheidungen nicht einverstanden gewesen ist, ohne dass man gefragt hätte, ob sie noch eine staatstragende Partei ist. Diesen Staat zu tragen heißt nicht, um jeden Preis in eine Regierung einzutreten. Diese Republik und ihre politische Kultur trägt man auch, wenn man Unterschiede in der Sache akzeptiert und die Lebendigkeit des politischen Gesprächs auch dadurch erhält, dass man nicht immer jeden Kompromiss unterschreibt.
 

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