23.03.2017FDPWirtschaft

LINDNER-Interview: Schulz verwendet falsche Fakten

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab den „Stuttgarter Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thomas Maron:

Frage: Herr Lindner, haben Sie eine Erklärung dafür, dass die SPD plötzlich wieder bei über 30 Prozent liegt?

Lindner: Die Sozialdemokraten holen Wähler von Grünen, Linkspartei und AfD zurück, die sie zuvor an diese verloren haben. Mir gefällt die Leidenschaft, mit der Herr Schulz die Sache angeht. Er löst damit einen Affektstau auf, den wir nach vielen Jahren der Kanzlerschaft von Angela Merkel durchleben mussten. Mit gefällt allerdings nicht, dass er teils mit falschen Fakten arbeitet. Denn wer falsche Fakten verwendet, der zieht auch die falschen politischen Konsequenzen daraus. Das sehen wir auch bei Frau Merkel.

Frage: Welche falschen Fakten meinen Sie?

Lindner: Schulz zeichnet das Bild eines ungerechten Deutschlands. Seine Schlussfolgerung ist die weitere Ausdehnung des Wohlfahrtsstaats und noch mehr Kommandos an die Unternehmen. Und Frau Merkel zeichnet das Bild eines ökonomisch unverwundbaren Landes, in dem Wohlstand selbstverständlich ist. Beides ist falsch. Wir hingegen stellen die Frage, wovon wir nicht nur heute, sondern auch noch morgen leben wollen. Die Rückabwicklung von Sozialreformen, die Herr Schulz anstrebt, ist genauso gefährlich wie das „Weiter-so“ von Frau Merkel. Wir müssen stattdessen über Wettbewerbsfähigkeit, die Qualität unseres Bildungssystems und über Investitionshemmnisse reden.

Frage: Schulz stellt das Thema Gerechtigkeit in den Mittelpunkt, ist das für Sie ein Auswärtsspiel oder fühlen Sie sich auf diesem Feld wohl?

Lindner: Wir fühlen uns dort sogar außerordentlich wohl. Wir verstehen unter Gerechtigkeit, dass die Menschen in der Mitte der Gesellschaft vorankommen können – statt ausgebremst zu werden. Die politischen Debatten kreisen doch nahezu nur um Superreiche und Flüchtlinge. Wir rücken dagegen wieder die Interessen der Facharbeiter, der Bäckereifachverkäuferin und des Ingenieurs nach vorne. Herr Schulz hat für diese Gruppe nur die Erhöhung von Sozialabgaben und Steuern vorgesehen.

Frage: Einspruch: Schulz fordert kostenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni und eine stärkere Entlastung bei der Pflege älterer Menschen, um Berufstätige zu entlasten, die sich um Kinder und hilfsbedürftige Eltern zugleich kümmern müssen…

Lindner: Bildung ist bei uns, nach der Kita, weitgehend kostenfrei, aber eben auch längst nicht gut genug. Wir sollten nicht nur über Beitragsfreiheit sprechen, sondern über die Qualität der Bildung reden. Die Hauptursache für Armut in Deutschland ist Bildungsarmut. Das ist die entscheidende Gerechtigkeitsfrage, die beantwortet werden muss. Wenn junge Menschen immer noch zu Tausenden die Schulen ohne Abschluss, ohne fundierten Umgang mit der digitalen Welt und ohne jede Ahnung von wirtschaftlichen Zusammenhänge verlassen, dann darf sich ein reiches Land wie Deutschland, das von der Innovationskraft seiner Beschäftigten lebt, damit nicht abfinden. Der Respekt des Staates für Kinder und Jugendliche muss wieder am Zustand der Schulgebäude und der Qualifizierung ihrer Lehrer ablesbar sein.

Frage: Schulz wirbt auch mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldes I, auch das ist ein Signal an die Mittelschicht.

Lindner: Für den 50-Jährigen ist es heute viel leichter als früher einen Arbeitsplatz zu finden. Die große Gefahr für diese Menschen ist, lange in die Qualifikationsmaßnahmen von Herrn Schulz gesteckt zu werden und so im längsten Fall 48 Monate weg zu sein vom Arbeitsmarkt. Wenn es ein Gerechtigkeitsproblem gibt, dann ist das die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit bei Hartz IV. Aber die wird man nur auflösen, wenn man den Arbeitsmarkt flexibler macht und für Hartz-IV-Empfänger endlich Leistungsgerechtigkeit organisiert. Denn im Moment ist es so, dass derjenige, der sich über einen kleinen Job mit geringem Einkommen in die Arbeitswelt zurückkämpfen will, kaum etwas von dem verdienten Geld bekommt, weil es auf den Regelsatz angerechnet wird. Das motiviert niemanden, morgens aufzustehen, um gewissenhaft eine Aufgabe zu erfüllen. Der Sozialstaat hält so wie ein Magnet die Menschen in der Sozialtransferfalle.

Frage: Sollte es zu einem Showdown zwischen Merkel und Schulz kommen, drohen die kleinen Parteien, aus dem Blickfeld zu geraten. Wie gehen Sie damit um?

Lindner: Mehr als 2700 Menschen haben sich in diesem Jahr den Freien Demokraten angeschlossen. Diese stark steigenden Mitgliederzahlen lassen nicht den Schluss zu, dass wir in Vergessenheit geraten. Die Leute, die wir umwerben, blicken nicht mit Angst auf die Welt, sondern mit Neugier und Ungeduld. Unsere potenziellen Wähler werden deshalb von Herrn Schulz eher geweckt und mobilisiert als von uns weggetrieben. Und da die Union als Vertreterin der Marktwirtschaft völlig unkenntlich geworden ist, sind wir jetzt eben die Einzigen, die Schulz in inhaltlichen Fragen Paroli bieten.

Frage: Im Mai wählt Nordrhein-Westfalen. Die FDP liegt bei rund zehn Prozent. Sie könnten also in die Verlegenheit geraten, als Koalitionspartner gefragt zu sein. Eine reizvolle Aussicht?

Lindner: Aber sicher. Die FDP tritt nicht an, um es sich im Parlament bequem zu machen. Wir wollen gestalten. Allerdings müssen die Inhalte stimmen und in Baden-Württemberg haben wir dokumentiert, dass wir nicht um jeden Preis in eine Regierung eintreten. Eine Ampel schließen wir auch in NRW aus. Ansonsten kann man sprechen. Aber wenn wir nicht hinreichend viele eigene Projekte umsetzen können, gehen wir lieber in die Opposition. Insbesondere wollen wir die grüne Schulpolitik beenden und die Menschen aus der Verbots-, Verzichts- und Bevormundungspolitik der Grünen befreien.

Frage: Gilt das alles auch für den Bund?

Lindner: Für den Bund gilt wie in NRW: Wir sind immer zu Gesprächen bereit. Aber für eine CDU- und eine SPD-geführte Regierung gilt so oder so, dass wir lieber in die Opposition gehen, wenn wir unsere Handschrift in der Regierung nicht zeigen können. Die größten Schnittmengen haben wir mit der Union. Aber die Union ist als marktwirtschaftliche Partei momentan durch eigene Programmpunkte nicht zu erkennen.

Frage: Wie weiter mit Erdogan? Wie bewerten Sie die Absage aller Werbeauftritte von Regierungsmitgliedern und AKP-Politikern?

Lindner: Herr Erdogan glaubt offenbar, alles erreicht zu haben, was er erreichen wollte. Die Bundesregierung steht reichlich belämmert da. Frau Merkel hat sich einen schlanken Fuß gemacht und die Verantwortung auf Kommunen und Bundesländer abgewälzt. Ich hätte erwartet, dass die Bundesregierung – so wie unser niederländischer Parteifreund Rutte – spätestens nach den Nazi-Vergleichen alle Wahlkampfauftritte untersagt und dass endlich ein Schlussstrich unter die mittlerweile völlig sinnfreien EU-Beitrittsgespräche gezogen wird. Das ist eine Frage der Selbstachtung unseres Landes und der Rückenstärkung der Opposition in der Türkei.

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