17.11.2018FDPGroße Koalition

LINDNER-Interview: Seehofers Mammutressort umbauen

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Beate Tenfelde.

Frage: Die SPD verabschiedet sich vom Status der Volkspartei, die Grünen von Hartz und die CDU von ihrer Vorsitzenden. Ist die FDP ein Hort der Stabilität?

Lindner: Zumindest wissen wir, was wir wollen und wo wir stehen – in der Mitte. Wir nehmen wahr, dass sich die Wirtschaft eintrübt und Deutschland nicht mehr wächst, sondern schrumpft. Trotzdem gibt es Ideen wie die der Grünen, zusätzlich Millionen von Menschen zu Empfängern von Sozialleistungen zu machen. Die SPD will auf Staatskosten Beschäftigten einen Monat pro Jahr Urlaub schenken. Das Geld wird mit vollen Händen ausgegeben, ohne Gegenfinanzierung. Da fehlt Maß und Mitte. Statt Verteilungsfantasien zu bedienen, brauchen wir ein Programm zur Belebung der Wirtschaft. Es sollte die digitale Modernisierung des Landes, die Abschaffung der Sondersteuer Soli für mehr Kaufkraft und mehr Flexibilität umfassen.

Frage: Wann rechnen Sie mit einem Scheitern der Großen Koalition?

Lindner: Darüber spekuliere ich nicht. Wenn Union und SPD sich fangen und Angela Merkel wie auch Horst Seehofer als Parteivorsitzende ausscheiden, gibt es vielleicht doch noch eine Möglichkeit, dass Deutschland auch regiert wird.

Frage: Erwarten Sie den Abgang von Horst Seehofer auch als Bundesinnenminister?

Lindner: Ich halte eine Neubesetzung für richtig. Horst Seehofer hat von Anfang an gefremdelt mit dieser Position. Im Bereich der inneren Sicherheit verspielte er unter anderem durch die Causa Maaßen Vertrauen. Den Bereich Bauen und Wohnen hat Herr Seehofer völlig vernachlässigt. Ein Wechsel an der Spitze sollte dazu genutzt werden, das Innenressort neu aufzustellen. Um die Vernachlässigung des ländlichen Raums zu beenden und schneller als bisher bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, sollten die Bereiche Bauen, Wohnen und regionale Infrastruktur wieder ausgegliedert werden. Das sind drei extrem wichtige Schlüsselaufgaben, die nicht nebenbei erledigt werden können.

Frage: Ein Bauministerium also?

Lindner: Das sind Entscheidungen, die die Bundesregierung treffen muss. Klar ist: Die alte Organisation dieses Mammutressorts hat sich nicht bewährt.

Frage: Noch einmal zurück zu Angel Merkel: Verliert sie mit dem Verzicht auf den Parteivorsitz absehbar auch das Kanzleramt?

Lindner: Vermutlich denkt Frau Merkel bereits in solchen Szenarien. Offenkundig wollte sie Turbulenzen vermeiden und hat deshalb zunächst nur den Abschied vom Parteivorsitz angekündigt. Dass sie ihre Absichten verschleiert, werfe ich ihr nicht vor. Aus der Sicht einer Bundeskanzlerin sind solche Umwege möglicherweise nötig, um Stabilität zu gewährleisten.

Frage: Ohne Merkel wäre der Weg frei für Jamaika. Vor einem Jahr ist die FDP ihretwegen ausgestiegen aus diesem Bündnis. Trifft Sie der Vorwurf der „Feigheit vor Verantwortung“?

Lindner: Nein. Es ist doch mutiger, Nein zu sagen zu einer Regierung, in der Angela Merkel, Horst Seehofer und die links aufgestellten Grünen vertreten gewesen wären, als bloß Ministerämter anzunehmen. Aber klar ist: Die Lage hat sich inzwischen verändert. Wir bekommen neue Führungen in CDU und CSU, die Grünen haben bereits das Spitzenduo ausgewechselt. Damit könnte es lohnenswert sein, neu zu sprechen über die Möglichkeit eines fairen Miteinanders und eines inhaltlichen Aufbruchs. Beides war vor einem Jahr nicht greifbar. Ich weiß nicht, ob sich etwas verändert hat. Die Bereitschaft, dies zu prüfen, ist bei der FDP allerdings vorhanden.

Frage: Warum reagieren Sie so aggressiv auf die Grünen?

Lindner: Ich reagiere nicht aggressiv. Ich stelle nur inhaltliche Unterschiede fest. Ein Beispiel: Wir lesen von den Grünen, dass sie die Zuwanderung von dringend benötigten und qualifizierten Fachkräften nach Deutschland begrenzen wollen – aus Rücksichtnahme auf die Herkunftsländer. Zugleich sperren sich grüne Politiker gegen die Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Was soll das? Wir brauchen gut ausgebildete Einwanderer in Deutschland, wir brauchen aber keine illegale Migration.

Frage: Manche sehen die Grünen als die „neuen Liberalen“ in der bürgerlichen Mitte…

Lindner: Liberalität bedeutet, Vertrauen in den einzelnen Menschen zu setzen. Liberalität bedeutet, an die Offenheit der Gesellschaft und den Nutzen der Technik für den Fortschritt zu glauben. Vielfalt zu befördern ist das Ziel. Das sehe ich bei den Grünen nicht. Sie glauben eher an Kollektive und staatliche Lenkung als an individuelle Verantwortung. Und in materieller Hinsicht wollen die Grünen Unterschiede einebnen statt zu erkennen, dass sich durch Einsatz und Risikobereitschaft eben auch Unterschiede ergeben können.

Frage: Zum Schluss: Der ungeregelte Brexit scheint abgewendet: Aufatmen erlaubt?

Lindner: Der Brexit ist für alle Beteiligten eine schlechte Idee: Niemand profitiert, alle leiden. Ich wünsche mir, dass die Kinder derer, die heute über den EU-Austritt Großbritanniens verhandeln, einmal den Wiedereintritt beschließen. Das geht aber nur, wenn jetzt beim Brexit eine faire Lösung gefunden wird.

Frage: Wie stehen Sie zu einer europäischen Armee, wie von Kanzlerin und Frankreichs Präsident gefordert?

Lindner: Wir wollen mehr Europa überall dort, wo sich ein Mehrwert ergibt. Eine gemeinsame Armee, eine gemeinsame Außen-, Handels- und Sicherheitspolitik befürworten wir ebenso wie eine gemeinsame Klima- und Digitalstrategie. Da muss Deutschland auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron eingehen. Aber die FDP ist skeptisch bei Vorschlägen zur Vergemeinschaftung von finanziellen Risiken und Staatsschulden. Leider hat auch Friedrich Merz, der CDU-Chef werden will, Gedankenspiele für eine EU-Arbeitslosenversicherung angestellt. Ohnehin ist es ein fatales Signal, dass die CDU an der Seite des ungarischen Anti-Demokraten Viktor Orbán in den Europa-Wahlkampf zieht. Die FDP hingegen steht an der Seite von Macron.

Social Media Button