06.06.2016FDPAsylpolitik

LINDNER-Interview: Wer illegal zu uns kommt, muss zurück

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Welt“ (Montag-Ausgabe) und „Welt.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten IBRAHIM NABER und TOBIAS HEIMBACH:

Frage: In der letzten Woche sind erneut 1000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken, die von Libyen nach Europa gelangen wollten. Inwieweit müssen wir Bilder von sinkenden Flüchtlingsbooten im Mittelmeer ertragen?

LINDNER: Wer ein Herz hat, den berühren diese Bilder. Und wer Verstand hat, der sorgt dafür, dass sie verhindert werden. Also müssen erstens Fluchtursachen und Schlepperkriminalität bekämpft werden. Wir brauchen zweitens legale Möglichkeiten für Schutz und Zuwanderung. Und drittens muss erklärt werden: Die geweckten Erwartungen auf Arbeit, Wohnung und Wohlstand in Deutschland sind falsch. Dauerhafter Aufenthalt ist für die meisten ausgeschlossen.

Frage: Sollten wir uns an Australien orientieren, die alle Boote abgefangen und Flüchtlinge sofort abweisen?

LINDNER: Am besten stechen die Boote gar nicht erst in See. Angesichts verlagerter Flüchtlingsrouten muss Europa deshalb nachdrücklich mit den Staaten Nordafrikas sprechen. Migration muss dort unter Kontrolle gebracht werden. Die Mittelmeeranrainer haben alle Interesse an Marktzugängen, Tourismus und finanzieller Unterstützung. Das kann es aber nur bei Kooperation geben.

Frage: Fakt aber ist, dass manche afrikanische Regierungen ihre Bürger nicht davon abhalten, nach Europa aufzubrechen.

LINDNER: Es ist völlig inakzeptabel, dass bestimmte Regierungen Nordafrikas eine Politik betreiben, die hohe Arbeitslosigkeit junger Männer dadurch zu lösen, dass sie diese chaotisch auswandern lassen. Klar muss sein: Die Zugangswege nach Europa sind zu kontrollieren. Jemand, der illegal zu uns kommt, muss in seine Heimat zurückgeführt werden können.

Frage: Müssen wir bereit sein, mit autoritären Staaten wie dem Sudan zusammenzuarbeiten?

LINDNER: Der Westen hat auch mit der Sowjetunion gesprochen, weil nur so Wandel möglich ist.

Frage: Wenn man Fluchtursachen bekämpfen will, kann es auch notwendig sein, Länder militärisch zu stabilisieren. Befürworten Sie, die Bundeswehr für solche Einsätze zu entsenden?

LINDNER: Das ist zuerst eine Frage der Vereinten Nationen. Wo sie eine internationale Schutzverantwortung sieht, da kann Deutschland einen Beitrag beraten.

Frage: Im Stillen hofft man in der EU wohl noch immer, die Bilder kenternder Schiffe und treibender Leichen würden die Menschen davon abhalten, auch aufzubrechen. Wird diese Rechnung aufgehen?

LINDNER: Diesen Zynismus unterstelle ich niemandem. Wir sind Europäer, weil wir bestimmte Werte teilen. Im Zentrum steht die Würde eines jeden Menschen, unabhängig seiner Herkunft. Das hat aber nichts mit grenzenloser Willkommenskultur oder Chaos zu tun. Notwendig ist europäisches Handeln.

Frage: Sie betonen offen Deutschlands Interessen in Fragen der Einwanderung: Wie egoistisch dürfen und müssen wir in der Flüchtlingskrise sein?

LINDNER: Eine Verantwortungsethik, die Grenzen des Möglichen und das Recht beachtet, ist kein Egoismus. Plumpe Gesinnungsethik hilft keinem. Das Asylrecht ist kein allgemeiner Einwanderungsparagraf. Es gilt: Wer in Not zu uns kommt, darf vorübergehenden Schutz und Förderung erwarten, damit er danach beim Wiederaufbau seines Heimatlandes helfen kann. Aber wen wir dauerhaft bei uns behalten, das entscheiden wir. Und da muss es klare Kriterien geben: Sprache, Verantwortung für den eigenen Lebensunterhalt und die Akzeptanz unserer Rechtsordnung. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, wird in Friedenszeiten in seine Heimat zurückgeschickt.

Frage: Also entscheidet die Kosten-Nutzen-Kalkulationen, wer dauerhaft bei uns bleiben darf?

LINDNER: Darüber sollte ein Einwanderungsgesetz entscheiden, das die große Koalition immer noch nicht realisiert hat. Es muss zwischen Asyl, humanitärem Schutz und Zuwanderung in den Arbeitsmarkt unterscheiden. Bei Letzterem zählt Qualifikation.

Frage: Das heißt: Der oft zitierte syrische Arzt kann dauerhaft bei uns bleiben, während ein nicht qualifizierter Flüchtling nach Kriegsende wieder in sein Heimatland zurückkehren muss.

LINDNER: So ist es. Wobei ich nicht nur Akademiker meine, sondern durchaus auch Facharbeiter.

Frage: Wir haben viele ehrenamtliche Helfer in Deutschland, das ist einzigartig. Trotzdem haben wir den Eindruck, dass die Mehrheit der Deutschen nicht bereit ist, auf einen Teil des eigenen Wohlstandes zu verzichten, um Flüchtlinge bei uns zu unterstützen.

LINDNER: Niemand muss auf irgendwas verzichten. Die Prestigeprojekte der großen Koalition sind da gefährlicher. Unabhängig davon darf Solidarität mit wirklich Bedürftigen kein Preisschild haben. Nicht die Kosten sind das Problem, sondern das organisatorische Chaos, der Vertrauensverlust der Regierung, die Isolation Deutschlands in Europa. Deshalb brauchen wir eine strategische Zuwanderungspolitik.

Frage: Haben wir Deutschen die Schmerzgrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen also schon erreicht?

LINDNER: Ja. Wir können den Kraftakt des vergangenen Jahres nicht beliebig oft wiederholen, weil Bildung, Wohnraum und Arbeit endlich sind.

 Frage: Werden wir wirtschaftlich von den Flüchtlingen profitieren?

LINDNER: Ich fürchte nein. Das Qualifikationsprofil der meisten entspricht nicht unseren Anforderungen. Aus Skandinavien wissen wir, dass die durchschnittliche Integration in den Arbeitsmarkt sieben bis acht Jahre dauert. Man muss die Hilfe als Akt der Humanität sehen. Und durch ein Einwanderungsgesetz sicherstellen, dass daraus nicht automatisch dauerhafter Aufenthalt und Zuwanderung ins Sozialsystem wird.

Frage: Ungeachtet aller wirtschaftlichen Faktoren hat Angela Merkel vergangenen August festgelegt: „Wir schaffen das!“ Was hat die Kanzlerin mit diesen berühmten drei Worten ausgelöst?

LINDNER: Bei mir hat sie Fragen ausgelöst. Ich finde den Satz „Wir schaffen das“ im Prinzip großartig, weil daraus Optimismus und Tatkraft sprechen. Ich wünsche mir das auch im Hinblick auf die Digitalisierung, die Modernisierung des Bildungssystems, die Verbesserung der Infrastruktur und der Wettbewerbsfähigkeit. Aber: Was genau sollen wir schaffen und vor allem wie? Dazu schweigt die Kanzlerin bis heute.

Frage: Was konkret werfen Sie Angela Merkel in der Flüchtlingskrise vor?

LINDNER: Handeln aus dem Affekt.

Frage: Das müssen Sie uns erklären.

LINDNER: Ich meine damit das Handeln ohne Plan. Grenzenlose Aufnahmebereitschaft in Deutschland zu signalisieren und ohne Plan die Dublin-Vereinbarung nicht mehr anzuwenden. All das hat uns zeitweise ins Chaos gestürzt.

Frage: Was müsste die Bundeskanzlerin Ihrer Meinung nach jetzt tun?

LINDNER: Anstatt um Herrn Erdogan zu buhlen, hätte sie eine Initiative für einen europäischen Grenzschutz ergreifen sollen. Über das fehlende Einwanderungsgesetz haben wir gesprochen. Und zuletzt wäre die Botschaft nötig gewesen: Wenn ihr auf der Flucht seid und Obdach habt, helfen wir euch dort, wo ihr seid. Aber bleibt dort, denn euch werden falsche Hoffnungen gemacht.

Frage: Im Grunde hat Angela Merkel ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik schon radikal geändert. Das zeigt sich nicht zuletzt am Abkommen mit der Türkei.

LINDNER: Sicher. Aber unverändert setzt sie nur auf die Türkei, obwohl Europa selbst seine Außengrenzen schützen sollte. Natürlich wollen wir keine Konfrontation mit der Türkei, aber wir dürfen nicht erpressbar werden. Die Türkei bleibt ein Partner, etwa in der Nato, keine Frage. Dennoch plädiere ich für Realismus: Den türkischen Beitritt zur EU müssen wir ad acta legen.

Frage: Sie haben schon häufiger den deutschen Sonderweg in der Flüchtlingspolitik angemahnt. Aber ist es nicht so, dass sich Europa ohne Deutschlands Kurs komplett abschotten würde?

LINDNER: Dazu darf es nicht kommen. Aber Deutschland hat sich einige Zeit zu sehr einem humanitären Narzissmus hingegeben, während andere in Europa für uns die Drecksarbeit gemacht haben, etwa bei der Schließung der Balkanroute. Unsere Rolle müsste es sein, als Anwalt der europäischen Werte für einen verantwortungsbewussten Kurs jenseits aller Extreme zu stehen. Und dabei etwa Ungarn klarzumachen, dass es nicht akzeptabel ist, überhaupt keine Muslime aufnehmen zu wollen.

Frage: Nicht nur in Ungarn, sondern auch in Deutschland wächst der Rechtspopulismus. Was macht die Gesellschaft falsch im Umgang mit der AfD?

LINDNER: Ich rate zu mehr Coolness.

Frage: Wie können wir der AfD gegenüber cool bleiben?

LINDNER: Indem wir nicht die AfD bestimmen lassen, was Deutschland diskutiert, sondern indem wir diskutieren, was für unser Land wichtig ist. Dann fragen wir die AfD nach ihren Konzepten zu großen Zukunftsfragen, etwa der Digitalisierung und der Sicherung unseres Wohlstands. Meine Prognose: Die AfD hat viele Antworten anderer Parteien kopiert. Ein Beispiel: Die AfD fordert ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild, das hat die FDP schon 1997 im Bundesrat eingebracht. Nur die CDU muss sich noch bewegen.

Frage: Aber der AfD reicht es ja anscheinend sich auf die Themen Integration und Flüchtlinge zu beschränken und damit auf 15 Prozent zu kommen.

LINDNER: Die setzen inhaltlich doch gar keine Themen. Die arbeiten mit Provokationen. Wenn jeder politische Rülpser der AfD in der „Welt“ oder der „Tagesschau“ landet, dann gibt man dieser Partei eine Macht, die ihr zum Beispiel im Vergleich mit Umfragewerten der Grünen nicht zukommt. Dazu erklären die Regierungsparteien bei jedem wichtigen Projekt taktisch, man wolle der AfD kein Gewinnerthema geben. So erweckt man den Eindruck, die AfD stünde vor der Machtübernahme.

Frage: Sie werfen der AfD Populismus vor, dabei betreibt die FDP mit der Regelung, kein ehemaliges AfD-Mitglied aufzunehmen, doch auch Populismus.

LINDNER: Wieso? Parteien haben das Recht zu entscheiden, wen sie aufnehmen. Wer die AfD einmal gut gefunden hat, der kann kaum unseren Grundsätzen entsprechen. Denn die AfD ist völkisch, rückwärtsgewandt und aus Angst aggressiv und kalt. Wir sind individualistisch, optimistisch, weltoffen und mutig.

Frage: Aber sie sagen doch immer wieder, man dürfe AfD-Wähler nicht vorverurteilen.

LINDNER: Ja. Aber Mitglieder identifizieren sich stärker mit ihrer Partei als Wähler.

Frage: Kritiker werfen Ihnen vor, in Ihren Reden manchmal wie AfD-Politiker zu klingen. Sie haben einmal gesagt, Voraussetzungen für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht sei „absolute Straffreiheit, nicht mal ein kleiner Ladendiebstahl“. Wenn ein Flüchtling an der Tankstelle eine Bifi klaut, hat er damit sein Recht verspielt, bei uns zu bleiben?

LINDNER: Weder sollte man permanent die Nazi-Keule bei der AfD schwingen noch staatstragende Parteien in einem Atemzug mit Linkspartei oder AfD nennen. In der Sache: Wenn es um dauerhaften Aufenthalt nach dem Wegfall humanitär Schutzgründe geht, dann lebe ich lieber mit einem rechtschaffenen Menschen zusammen als mit einem Dieb.

Frage: Das klingt ziemlich resolut.

LINDNER: Nicht, dass Sie mich missverstehen: Wenn der Dieb in der Heimat mit dem Tod bedroht ist, dann kann man ihn natürlich nicht sofort wegen eines Ladendiebstahls ausweisen. Aber wenn es in Friedenszeiten darum geht, auszuwählen, wer dauerhaft bei uns bleibt, dann entscheiden wir uns doch für den ohne Straftaten.

Social Media Button