30.06.2018FDPFDP

LINDNER-Interview: Wir sind jederzeit bereit

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Beate Tenfelde.

Frage: Herr Lindner, hinter Kanzlerin Angela Merkel liegt ihr wohl härtester EU-Gipfel. Wie geht es weiter?

Lindner: Es mag sein, dass Angela Merkel nun etwas Zeit im Kampf mit der CSU gewonnen hat. Mehr als luftige Ankündigungen hat dieser EU-Gipfel aber nicht gebracht. Von einer europäischen Lösung mit einheitlichen Asylstandards sind wir meilenweit entfernt. Die Frage der Freizügigkeit von Asylbewerbern in der EU bleibt völlig offen - wie seit 2015 schon. Sie wurde an die nationalen Regierungen delegiert, die jetzt Lösungen finden sollen. Ich wundere mich aber nicht, dass aus der CSU Zustimmung zu hören ist: Der bayerische Löwe hat gebrüllt und schleicht sich davon. Der Versuch, mit Drohgebärden und Ultimaten eine Wende in der Migrationspolitik zu erreichen, ist krachend gescheitert.

Frage: Sind Sie auf dem Sprung?

Lindner: Wohin?

Frage: In die Vorbereitung eines neuen Wahlkampfs zum Beispiel?

Lindner: Wir sind jederzeit bereit. Aber ich gehe davon aus, dass diese Bundesregierung bis 2021 hält. Der Asylstreit der Union hat Deutschland aber geschwächt. Weil es statt Geschlossenheit Ultimaten der CSU gab, wurde Angela Merkel auf europäischer Ebene erpressbar.

Frage: Stimmen Sie der Linken Sarah Wagenknecht zu, dass die Probleme dieser Welt größer sind als der bayerische Landtag und die CSU?

Lindner: Es gibt viele wichtige Themen, aber die Migration bewegt die Menschen in besonderer Weise. Das europäische Asylsystem funktioniert nicht, auf Veranlassung von Frau Merkel hat hauptsächlich Deutschland das seit 2015 kompensiert. Das muss enden. Bereits seit 2016 und lange vor Horst Seehofer sagen wir, dass wir übergangsweise zu den alten Verfahren von vor Sommer 2015 zurückgehen und Asylbewerber an der Grenze zurückweisen sollten. Im Unterschied zur CSU wollen wir aber, dass es am Ende ein Europa ohne Binnengrenzen gibt und Deutschland weltoffen bleibt.

Frage: Können Sie sich Angela Merkel als Chefin einer Minderheitsregierung vorstellen, wenn sie denn die CSU hinauswerfen sollte?

Lindner: Es wird nicht zur Eskalation kommen. Erst vernehmen wir Theaterdonner bei der CSU, dann aber folgen rhetorische Verrenkungen ihres Parteivorsitzenden Seehofer, der sich irgendwie herauswinden wird. Das ist ein Konjunkturprogramm für Protestwähler.

Frage: Sie fordern Neuwahlen –  mit dem Ziel, die Kanzlerin los zu werden?

Lindner: Wir machen keine Politik gegen Personen. Wir wollen eine andere Richtung der Politik. Nach der Methode Merkel werden klare Entscheidungen vermieden und politische Unterschiede mit dem Geld der Bevölkerung zugeschüttet, als gäbe es kein Morgen. Dagegen werden wesentliche Fragen wie die steuerliche Entlastung der arbeitenden Mitte, Bildungsreformen oder die dringend überfällige Digitalisierung verschleppt, ja ignoriert.

Frage: Sie sehen die Kanzlerin im Endspiel?

Lindner: Dass die Ära Merkel endet, ist allen klar. Wir fühlen uns durch den Unionsstreit bestätigt, im letzten Winter nicht in eine Jamaika-Koalition unter ihrer Führung eingestiegen zu sein. Es baut sich hoffentlich in allen Parteien eine neue Konstellation auf, die hinreichend Aspiration und Ambition hat, unser Land für die 20er Jahre zu erneuern.

Frage: Die FDP ist dabei?

Lindner: Das machen wir von Inhalten abhängig. Bei einem Erneuerungsprojekt machen wir mit. Wir wollen aber selbst auch noch besser werden. Ich nennen als ein Beispiel unser ureigenes Thema Datenschutz. Wir wollen ein Datenrecht, das unsere Privatheit vor Facebook und Co schützt, aber den Handwerksbetrieb und den Ehrenamtler im Verein nicht mit lästiger Bürokratie behelligt. Die Umsetzung der EU-Datenschutzgrundverordnung in Deutschland ist ärgerlich.

Frage: Wie erklären Sie sich, dass die FDP trotz des Absackens der Union weiter unter dem Bundestagswahlergebnis von 10,7 Prozent liegt?

Lindner: Ich bin eher stolz auf die neun bis zehn Prozent, die sich trotz eines Trommelfeuers der Kritik zu uns bekennen. Wir haben uns ja für einen harten Weg entschieden, als wir uns einer Jamaika-Koalition verweigert haben. Wir müssen immer noch erklären, dass wir nur Mehrheitsbeschaffer für eine schwarz-grüne Koalition gewesen wären, die das Land nicht vorangebracht hätte. Mir sind aber zehn Prozent Überzeugte lieber als 15 Prozent Leihstimmen.

Frage: Die EU vollzieht unter der Präsidentschaft von Österreichs Kanzler Kurz einen Paradigmenwechsel: Nicht mehr Verteilung von Flüchtlingen, sondern die Sicherung der Außengrenzen. Richtig?

Lindner: Die Kontrolle der europäischen Außengrenze ist überfällig. Wer auf Schlagbäume innerhalb Europas verzichten will, der muss Frontex, also die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, massiv stärken. Da reicht es nicht, das Personal von 1000 auf 10 000 Kräfte aufzustocken. Mindestens 15 000 Kräfte sind nötig, um ein Mindestmaß an Wirksamkeit zu erreichen. Diese Agentur sollte zudem zu einer europäischen Behörde ausgebaut werden mit eigenen hoheitlichen Befugnissen.

Frage: Das Thema Migration bleibt ein alles überwölbendes Thema?

Lindner: Das besorgt mich sehr. Im Windschatten der aktuellen Regierungskrise in Deutschland vollziehen sich große und tiefgreifende Veränderungen in der europäischen Wirtschafts-und Währungsunion. Wir bekommen ein getarntes viertes Finanzpaket für Griechenland, ohne die zu Zeiten von Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble bewährte Regel, dass der Internationale Währungsfonds als Kontrolleur mit an Bord ist. Dazu bekommt die Euro-Zone einen sogenannten Investivhaushalt, obwohl es keinen Mangel an Kapital gibt, sondern an guten Investitionsmöglichkeiten. Vor allem soll aus dem Europäische Stabilitätsmechanismus ESM ein Dispo-Kredit werden, der selbst dann Kredite an Länder vergibt, wenn es keine Krise der Währungsunion gibt. Das ist eine Einladung für Wahlkampfversprechen auf Pump. Darüber würde Deutschland diskutieren, wenn CSU und CDU mit ihrem Krawall nicht davon ablenken würden.

 

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