23.09.2016FDPFDP

LINDNER-Interview: Wir sind keine Dagegen-Partei

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Schwäbischen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte SABINE LENNARTZ:

Frage: Herr Lindner, wie würden Sie in drei Worten den Zustand der FDP beschreiben?

LINDNER: Wir kommen voran.

Frage: Lange galt die Partei als neoliberal und übermütig. Was bekommt man heute, wenn man FDP wählt?

LINDNER: Die FDP ist immer die Partei gewesen, die sich für die Mitte des Landes interessiert hat. Die nicht nur auf die Ränder, nicht nur auf Bedürftige und Millionäre geschaut hat, sondern immer auch die Interessen der Menschen dazwischen gesehen hat. Wir sind die Partei der sozialen Marktwirtschaft, der Bürgerrechte und der Bildung.

Frage: Bei Bürgerrechten denken viele noch an Gerhard Baum, Burkhard Hirsch oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

LINDNER: Wir haben unlängst zwei ehemalige Vorsitzende der Piratenpartei gewinnen können, Sebastian Nerz aus Baden-Württemberg und Bernd Schlömer aus Berlin. Dass sie die FDP als Heimat erkennen, drückt aus, dass wir Freiheit in der Gesellschaft genauso wichtig nehmen wie Freiheit in der Wirtschaft.

Frage: Bei den jüngsten Landtagswahlen haben immer wieder die Großen verloren, die Kleinen dazugewonnen. Eine Chance für Sie?

LINDNER: Das ist vor allem ein Ausdruck für die Stimmung im Land. Viele Menschen teilen unsere Empörung, dass wir immer noch kein Einwanderungsgesetz haben, teilen die Sorge, dass wir die Chancen der Digitalisierung verspielen, weil wir nicht in Glasfasernetze investieren. Viele Menschen fühlen sich durch wachsenden Bürokratismus bevormundet. Der Großen Koalition ist das Verständnis für die richtigen Prioritäten abhandengekommen.

Frage: Die Priorität der letzten zwölf Monate galt der Flüchtlingsfrage. War das ein Fehler?

LINDNER: Nein, aber das Dringliche darf nicht das Wichtige überstrahlen. Ich wünsche mir ein Einwanderungsgesetz, das zwischen zeitweiligem Schutz für Flüchtlinge und dauerhafter Einwanderung unterscheidet. Wir brauchen europäischen Grenzschutz statt der Abhängigkeit von Herrn Erdogan und robuste Abkommen mit den Staaten Nordafrikas zur Rückführung. Frau Merkel selbst sollte dorthin reisen.

Frage: Obama lobt Merkel, Sie sprechen von einem „Merkel-Malus“ für die CDU. Wie passt das zusammen?

LINDNER: Humanitäre Verantwortung und Weltoffenheit gehören zu unserer Verfassungskultur, da würde ich Frau Merkel nie widersprechen. Aber die Bundeskanzlerin hat eine Phase zu verantworten, in der der Staat einen Kontrollverlust zu beklagen hatte. Sie hat den Rechtsstaat kapitulieren lassen. Deshalb haben viele das Vertrauen in sie verloren.

Frage: Merkels Politik der offenen Grenzen ist doch schon beendet. Machen Sie den Leuten nicht etwas vor?

LINDNER: Ich spreche nicht wie die CSU von Abschottung, aber Zuwanderung muss geordnet stattfinden. Wir müssen uns auf Bedürftige konzentrieren, die in der Regel in ihre alte Heimat zurückkehren. Alles andere ist die Suche nach Glück. Dafür habe ich Verständnis, es kann aber kein Anspruchsrecht sein. Wir müssen Aufnahmefähigkeit und Akzeptanz mit berücksichtigen. Einwanderungsländer wie die USA haben einen Arbeitsmarkt, der die Integration erzwingt. Wir haben hingegen einen hochentwickelten Wohlfahrtsstaat, den ich nicht schleifen will, der aber blickdichte Parallelgesellschaften alimentieren würde. Deshalb müssen wir souverän entscheiden können, wer geeignet ist, auf Dauer hierzubleiben.

Frage: Sie sind jetzt in neun Landtagen, heißt das auch, dass gut die Hälfte des Weges zurück in den Bundestag geschafft ist?

LINDNER: Mehr als das. Unsere Identität ist geklärt. Wir schauen auf den einzelnen Menschen, den wir durch Bildung stark machen wollen, und sind keine Dagegen-Partei. So macht die Arbeit wieder Freude.

Frage: Sie haben kürzlich bei der Wahl in Berlin Erfolg gehabt, aber dort keine Partner zum Regieren. Könnte es Ihnen im Bund 2017 ähnlich gehen?

LINDNER: Ja, die Mehrheitsbildung wird kompliziert werden. Es ist eine Paradoxie, dass Menschen, die AfD wählen, Rechte in die Parlamente wählen und damit Linke in die Regierung bringen.

Frage: Wie sprechen Sie denn die AfD-Wähler an?

LINDNER: Gar nicht, den überzeugten AfD-Wählern kann ich nichts anbieten. Dem bürgerlichen Wähler aber, der sich über die Politik in Stuttgart und Berlin empört, dem kann ich eine Rechtsstaatspartei mit europäischer Mission und marktwirtschaftlicher Grundierung anbieten.

Frage: Wollen Sie 2017 eigentlich erst in NRW antreten, dann für den Bundestag?

LINDNER: Ja, ich werde mich um beide Spitzenkandidaturen bewerben, weil dadurch jede Stimme für die FDP doppelt wertvoll wird. Die Menschen können mehr Liberale in NRW wählen und schon ein Stück den Bundestag mitbestimmen.

Frage: Das erinnert an Gerhard Schröder 1998, der sich erst in Niedersachsen und dann im Bund wählen ließ.

LINDNER: Meine Bescheidenheit verbietet mir, diesen Vergleich aufzunehmen.

Frage: Die Koalition hat gerade einen Kompromiss zur Erbschaftssteuer gefunden. Will jetzt die FDP ihn blockieren?

LINDNER: Die Große Koalition hat alles getan, um Familienbetriebe zu verunsichern. Ob der Kompromiss trägt, wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Besser wäre eine Flat Tax ohne Ausnahmen.

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