23.04.2016FDPFDP

LINDNER-Rede: Wir streiten für die Beta-Republik

Mitschrift der Rede des FDP-Bundesvorsitzenden CHRISTIAN LINDNER beim 67. Ord. Bundesparteitag der Freien Demokratischen Partei am 23. April 2016:

I. Die Lage der Partei

Wir treffen uns heute in der „Station“ zum vierten Mal. Erinnert Ihr Euch noch an das erste Mal? Im Dezember 2013 haben wir uns hier nach Niederlage bei der Bundestagswahl getroffen. „Döner und Demut“ standen damals auf dem Programm, so hatte die Zeit das beschrieben.

Hier haben wir uns eingestanden, dass die FDP zeitweise die politische Orientierung verloren hatte.

Hier haben wir ausgesprochen, dass unser Teamwork nicht funktioniert hat.

Hier haben wir uns auf den Weg zur Erneuerung gemacht.

Vor allem haben wir hier jeden Zweifel ausgeräumt, dass die FDP auch in ihrer bittersten Stunde niemals ihre Liberalität opfern und den Rechtspopulisten nacheilen wird.

Und wir haben es nicht getan – nicht in der Eurokrise, nicht in der Flüchtlingsfrage. Wir haben bei der Bundestagswahl viele Prozente verloren, aber unsere Würde haben wir immer behalten. Denn wir sind nicht dem Populismus erlegen, sondern dem Liberalismus treu geblieben.

2014 war dann das Jahr unseres internen Leitbildprozesses – und weitgehenden öffentlichen Desinteresses.

Wir hätten nackt vor dem Brandenburger Tor für das Grundrecht auf Freikörperkultur demonstrieren können – selbst Heiko Maas hätte das kalt gelassen. Oder sagen wir es freundlich: Wir wurden in Ruhe gelassen. Aus dieser vermeintlichen Schwäche haben wir eine Stärke gemacht.

Ohne die Notwendigkeit, auf alles tagespolitisch reagieren zu müssen, haben wir uns auf eines konzentriert: Nämlich wieder genau herauszufinden, was der unverwechselbare Beitrag der Liberalen für die deutsche Politik ist.

2015 haben wir uns ein Leitbild gegeben und hier beschlossen, welche Projekte sich daraus ergeben.

Wir haben freigelegt, warum wir Freie Demokraten sind: Wir trauen jedem einzelnen Menschen selbst etwas zu – und unserer Gesellschaft insgesamt. Deshalb wollen wir mehr Chancen durch mehr Freiheit.

Wir lassen nicht zu, dass die Menschen mit „German Angst“ klein gehalten und an den Status quo gefesselt werden – wir Freie Demokraten wollen Menschen mit „German Mut“ groß machen!

Weltbeste Bildung, neuer Gründergeist, moderne Infrastruktur – mit diesen Botschaften sind wir Anfang 2015 in Hamburg und Bremen angetreten.

Aus Desinteresse wurde Neugier. Katja und Lencke haben für uns das Eis gebrochen. Aber wir wussten auch, dass die Wahlerfolge im Norden keine Trendwende waren, sondern nur eine erste Stabilisierung.

Wir wussten, dass erst die Wahlen im Frühjahr 2016 zeigen würden, wo die FDP steht.

Wenige hatten uns auf der Rechnung. Denn die Flüchtlingspolitik hat unsere Modernisierungsthemen nahezu komplett verdrängt. Die Regierungschefs in Bund Ländern standen im Fokus. Der AfD-Hype war auf dem Höhepunkt.

In diesem schwierigen Umfeld haben Uli in Baden-Württemberg, Volker in Rheinland-Pfalz und Frank in Sachsen-Anhalt gezeigt, dass aus Neugier auf die FDP wieder Vertrauen in die FDP werden kann. Euer Erfolg stärkt alle Freien Demokraten in Deutschland – herzlichen Dank!

Von fünf Landtagswahlen der letzten zwei Jahre sind wir fünfmal deutlich gestärkt worden. Auch wenn es in Sachsen-Anhalt um einen Wimpernschlag nicht für den Einzug in den Landtag gereicht hat.

Bei der Kommunalwahl in Hessen haben wir das beste Ergebnis seit 1972 erzielt. Bundesweit messen uns die Umfragen zwischen 7 und 8 Prozent.

Das ist kein Anlass, das Tempo unserer Erneuerung zu drosseln oder in alte Gewohnheiten zurückzufallen. Das ist ein Ansporn, umso entschlossener an unserer politischen Substanz zu arbeiten. Dafür sind wir dieses Wochenende hier. Diese Arbeit wird auch über eine erfolgreiche Bundestagswahl 2017 hinaus reichen. Und dennoch sage ich leise, aber mit Überzeugung: Die FDP hat ihre Trendwende erreicht!

Deshalb gehen wir jetzt mit voller Motivation in die nächsten Wahlkämpfe.

In Niedersachsen werden wir wie nach der Kommunalwahl in Hessen wieder ein starker Faktor sein!

Wir freuen uns auf den Wahlkampf für Cécile Bonnet-Weidhofer in Mecklenburg-Vorpommern, die gerade ganz persönlich für liberalen Nachwuchs mit ihrem kleinen Theo gesorgt hat.

Sie weiß, womit sich Familien im Nordosten Deutschlands rumschlagen müssen.

Sebastian Czaja zeigt mit dem Bürgerbegehren zur Offenhaltung des Flughafens Tegel, dass die FDP die einzige Stimme der Vernunft in dieser Metropole ist.

Übrigens gab es dieser Tage eine interessante Umfrage zum Thema effiziente Verwaltungen: Unter 79 verglichenen europäischen Städten landet unsere Hauptstadt auf dem fünftletzten Platz, knapp vor Rom, Neapel und Palermo – was da die Mafia bremst, erledigt in Berlin der schwarz-rote Senat... Man sieht: Ihr habt also mehr als genug zu tun!

Ich danke Nicola, Wolfgang, Katja, Marie-Agnes, Michael, Volker, Alexander, Holger und Christian, die in den letzten Monaten bei unzähligen Veranstaltungen im Einsatz waren.

Ich danke unseren Mitgliedern, die bei sich vor Ort oder in anderen Landesverbänden bei Aktionstagen einen engagierten Wahlkampf geführt haben.

Ich danke unseren Kreisverbänden, die über unseren im letzten Jahr beschlossenen Investitionsfonds mit Herman Otto Solms und Marco Buschmann eine in der FDP zuvor nicht gekannte Professionalität der Kampagnen ermöglicht haben.

Wir sind erfolgreich, weil sich die Partei der Individualisten als Team neuformiert hat. Bei der letzten Bundestagswahl sind wir nicht gescheitert, weil irgendwer sonst uns besiegt hätte. Wir sind gescheitert, weil wir uns selbst besiegt hatten. Dazu lassen wir es nicht mehr kommen.

Im März haben in allen drei Ländern die jeweiligen Regierungskoalitionen ihre Mehrheit verloren.

Es gab Offerten an die FDP in Baden-Württemberg zum Eintritt in die Landesregierung.

Der neue, dritte und kleinste Partner in einer bestehenden und grün geführten Regierung kann aber keinen Politikwechsel erreichen – der Anspruch wäre aber unrealistisch, unglaubwürdig und wohl auch vermessen.

Deshalb war es richtig, dass Uli und Michael den Sirenenklängen widerstanden haben und eine grün geführte Ampel ausgeschlossen haben. Denn die Freien Demokraten regieren nicht um den Preis, dass wir uns zum Steigbügelhalter einer Politik machen, die wir im Kern ablehnen.

In Rheinland-Pfalz hat die FDP von 1991 bis 2006 erfolgreich in einer sozialliberalen Koalition regiert.

Die Entscheidung von Volker zu prüfen, ob mit der FDP als zweitstärkster Kraft in der Koalition an diese Tradition angeknüpft werden kann, war souverän.

Volker, Du hast gesagt, die Freien Demokraten seien nur bereit zur Gestaltung, wenn unsere Handschrift erkennbar ist. In Rheinland-Pfalz ging es nicht um die Verlängerung von Rot-Grün, sondern um die Neuauflage von Rot-Gelb.

Und wenn das jetzt gelingen kann, dann darf man diese Chance auf Modernisierung nicht ausschlagen. Denn wir regieren nicht um jeden Preis, aber genauso wenig drücken sich Freie Demokraten vor Verantwortung.

Die beiden – völlig gegensätzlichen – Entscheidungen – in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz – wurden teilweise kritisiert.

Mir schrieb beispielsweise gestern jemand, dass wenn wir nicht mit der CDU regierten, sondern mit SPD und Grünen auch nur sprechen würden, dann würde er nie, nie, nie wieder FDP wählen. Aber wisst Ihr was? Dann habe ich gegoogelt – und das war ein Ratsmitglied der CDU!

Wir sagen es nicht aus einer Position der Stärke, sondern unverändert in einer Phase, in der wir um unsere Zukunft kämpfen – aber deshalb umso klarer:

Wer eine andere Lieblingspartei als die FDP hat, wer nicht begrüßen kann, wenn die FDP Projekte aus ihrem Programm umsetzt, der sollte besser direkt seine eigentliche Lieblingspartei wählen. Die Zeit der Leihstimmen ist vorbei – wir wollen gewählt werden, weil wir Freie Demokraten sind.

Sicher, unverändert steht uns die Union am nächsten – im Vergleich zu all den anderen sozialdemokratischen Parteien... Aber in der Zusammenarbeit 2009 bis 2013 haben wir unsere spezifischen Erfahrungen auch mit der CDU von Angela Merkel gemacht.

Eine schwarz-gelbe Mehrheit muss deshalb nicht automatisch zu einer schwarz-gelben Regierung führen, wenn die Inhalte nicht stimmen – das ist die Lehre aus 2013.

Wer uns einseitig auf die Union festlegen will, der möge einmal sagen, wo denn die großen Unterschiede zwischen CDU, SPD und Grünen sind?

In den Ländern macht es im Ergebnis nämlich keinen Unterschied, ob Rot-Grün, Schwarz-Rot, Grün-Rot oder Schwarz-Grün regiert. Den Unterschied, den müssen wir machen!

Wir haben Prinzipien, wir haben Konzepte und wir haben starke Persönlichkeiten.

Wir müssen uns hinter keinem unserer geschätzten Mitbewerber verstecken.

Wer uns unterstützt, der kann sich sicher sein, dass wir so viel von unseren Projekten verankern, wie es in einer Koalition eben möglich ist.

Der kann sich sicher sein, dass wir die Richtung einer Regierung mitprägen.

Und der kann sich sicher sein, dass wir gegen jede Entscheidung ein Veto einlegen, die unseren Prinzipien widerspricht.

Wir lassen uns aber nicht mehr in die Rolle einer reinen Funktionspartei bringen – denn wir sind eine Überzeugungspartei!

II. Die Beta-Republik

Wir leben in Zeiten, in denen scheinbare Gewissheiten an Selbstverständlichkeit verlieren.

Wie finanzieren wir unseren Sozialstaat in Zukunft?

Wie erhalten wir in der Digitalisierung unseren Wohlstand?

Wie steht es um die Liberalität unseres Landes? Welchen Weg nimmt Europa?

Das sind Existenzfragen dieser Gesellschaft.

Statt sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, arbeitet Schwarz-Rot nur noch die Reste eines Koalitionsvertrags ab, der aus der Zeit gefallen ist.

Den Krisen wird nur noch hinterher regiert.

Und zwar wie bei der Flüchtlingskrise in einem oft erschreckend geringen Tempo. Wenn das so weiter geht, haben wir bald keine Regierung mehr, sondern nur noch eine „Reagierung“.

Jetzt haben die sich vor ein paar Tagen zur Klausurtagung im Freizeitpark Rust getroffen. Zwischen Achterbahn und Geisterbahn – mehr muss man zum Zustand der Koalition gar nicht sagen.

Wo einmal Union war, da ist heute CDU gegen CSU – getrieben von einer völlig übersteigerten Angst vor den Rechtspopulisten.

Ein inhaltliches Profil ist nicht mehr erkennbar. Jetzt hat sogar Gregor Gysi mögliche Koalitionen zwischen Linkspartei und CDU nicht mehr ausgeschlossen. Wenn schon die Linke bei der CDU rot sieht, dann bringt es auch nichts mehr, dass Horst Seehofer sich über Merkels Politik schwarz ärgert.

Die SPD wiederum hadert mit sich und mit ihrem Vorsitzenden. Die Sozialdemokratie lässt sich bei einer zentralen Grundsatzfrage wie dem Fall Böhmermann einfach von der Kanzlerin überstimmen. Sigmar Gabriel kann so viele Milliarden an neuer Verteilungspolitik fordern wie er will – eine solche Selbstverzwergung der Sozialdemokratie kann er damit nicht ausgleichen. Die SPD will in Wahrheit nicht mehr regieren, sie will aus der Regierung befreit werden.

Das ist unsere Regierung aus Union und SPD: Sie reagiert nur noch auf das gerade Dringliche und blendet das Wichtige aus, sie nimmt das Heute wichtiger als das Morgen, weil man Tag ein, Tag aus vor allem mit sich selbst beschäftigt ist – in Wahrheit hat Deutschland deshalb eine Regierungskrise.

Digitalisierung, Globalisierung und demographischer Wandel werden unser Leben nicht in einer fernen Zukunft verändern – sie haben es bereits getan.

Manche beklagen das als Verlust der „guten alten Zeit“. Wir sind aber Freie Demokraten. Zu uns passt kein Kulturpessimismus. Zu uns gehört Mut – German Mut.

Wir wissen, dass es in einer Zeit des Wandels unmöglich ist, alles vorauszusehen und Sicherheiten zu suchen, wo keine mehr sind.

Ironischerweise ist, wie der Linked-In-Gründer Reid Hoffman gesagt hat, „auf Nummer sicher gehen in einer sich ständig verändernden Welt eines der riskantesten Dinge, die du tun kannst“.

Unsere Regierung versucht aber genau das. Die versuchen die Gegenwart vor der Zukunft zu schützen. Wir dagegen wollen die Gegenwart zur Zukunft machen. Denn Ängstlichkeit nimmt uns unsere Chancen.

Wir sind überzeugt, dass es Deutschland gut tun würde, wieder offen für Neues zu sein.

Mehr anzufangen, ohne sofort perfekt sein zu müssen.

Diese Haltung nennt man in der Sprache der Digitalisierung: „Beta“.

Beta ist ein Stadium bei der Entwicklung neuer Software. In Beta-Häusern entwickeln Gründer und Start-ups ihre Ideen. Und Beta-Tester sind Menschen, die Innovationen aus Neugier ausprobieren und verbessern wollen.

Beta ist aber mehr als ein Stadium der Software-Entwicklung – es ist eine Lebenseinstellung.

Sie steht für Risikofreude und Offenheit. Beta ist der Antrieb von Veränderung, Fortschritt und Modernität.

Beta ist die Überzeugung, dass Lernen Sinn macht, egal wie es ausgeht.

Beta ist die Freiheit, das, was wir machen, noch besser machen zu dürfen.

Beta sagt: lieber heute als morgen.

Beta sagt: lieber nicht perfekt als gar nicht.

Beta sagt: wir wollen noch besser werden.

So ein Land sollte Deutschland sein: ein Land, in dem heute schon an einem besseren Morgen gearbeitet wird.

Wir wollen Menschen ermutigen, neue Ideen zu verwirklichen.

Und wir wollen allen eine Stimme geben, die sich voller Neugier auf die Zukunft freuen. Das ist die Beta-Republik Deutschland, die wir wollen – ein Labor, in dem nicht der Status quo verwaltet, sondern Zukunft gemacht wird.

1. Aufgabe Demographie

Rente

Wir stehen am Vorabend des demographischen Wandels. Er ist kein Schicksal, in das man sich hilflos fügen muss, sondern eine Aufgabe, die nach Gestaltung ruft.

In der nächsten Legislaturperiode, gegen Ende dieses Jahrzehnts werden die Zahlen von Neu-Rentnern deutlich zu steigen beginnen.

CSU und SPD haben angekündigt, die Rente jetzt zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen. Das hatten wir schon bei der letzten Bundestagswahl.

Die SPD wollte die „Rente mit 63“ – und hat sie bekommen.

Die Union wollte die Mütterrente – und hat sie bekommen.

Beides zusammen kostet die Rentenkasse bis 2030 gut 230 Milliarden Euro.

Finanziert ist die Rentenpolitik nur bis zum Ende der Legislaturperiode. Kein einziger Euro wird nach Bedürftigkeit zur Bekämpfung von Altersarmut eingesetzt. Die große Koalition hat die Rente nicht sicherer gemacht, sondern instabil.

Jetzt heißt es aus der CDU plötzlich, die Rentenpolitik solle kein Wahlkampfthema werden.

Frau Merkel sagt, sie wolle vor der Wahl einen „Rentenkonsens“. Ich ahne, was das bedeutet: Es wird für alle teuer.

Ich finde, über eine so existenzielle Frage darf und muss im Wahlkampf gesprochen werden! Will man die Einheitsrente – oder nicht? Will man die private Vorsorge verbessern – oder wieder mehr Staat?

Eines nur darf sich nicht wiederholen: Nämlich das die Rente missbraucht wird, um sich Stimmen zu kaufen!

Wir wollen, dass möglichst alle Menschen ein möglichst sorgenfreies, würdiges Leben im Alter führen können.

Dieses Recht hat aber nicht nur die Generation meiner Eltern und Großeltern. Dieses Recht hat auch meine Generation und die unserer Kinder.

Auf eine Gesellschaft im Wandel, einen Arbeitsmarkt in Bewegung und neue Bedürfnisse der Menschen kann man nicht mit alten Rezepten antworten.

Norbert Blüm hat einst gesagt: „Die Rente ist sicher.“ Die Wahrheit ist: „Die Rente muss neu gedacht werden.“

Viele ältere Menschen wollen mehr Freiräume beim Übergang in den Ruhestand. Und dieses Bedürfnis wird zunehmen.

In meiner Generation der unter 40-Jährigen werden viele länger arbeiten können, müssen und vor allem: Wollen als bis zu ihrem 67. Geburtstag.

Andere wiederum werden nicht wollen oder können. Also brauchen wir einen individuellen Renteneintritt für jeden. Wer kürzer gearbeitet hat, bekommt eine niedrigere Rente, wer länger arbeitet, eine höhere – ab dem 60. Lebensjahr sollte das endlich jeder selbst entscheiden können!

Heute sind es nur drei Prozent der Rentner, die im Alter auf die Grundsicherung angewiesen sind. Die Zahl wird steigen. Diese Menschen zwingt der Staat heute auf das Sozialamt.

Dabei könnten die Auszahlung von Rente und Grundsicherung automatisch und sofort verbunden werden. Das spart Bürokratie. Aber vor allem ist es eine Frage der Würde, älteren Menschen nach ihrem Arbeitsleben den Gang zum Sozialamt zu ersparen.

Wer etwas gegen Altersarmut tun will, der darf die Menschen nicht in die Irre führen: Der Staat wird den Lebensstandard nicht garantieren können.

Wir brauchen die betriebliche Altersvorsorge, die attraktiver werden muss. Ihre doppelte Belastung mit Sozialabgaben ist unfair.

Wir brauchen die private Vorsorge. Es töricht, dass die private Vorsorge auf die Grundsicherung im Alter voll anrechnet wird. Wenn jemand vorgesorgt hat, dann muss das im Alter einen Unterschied machen – das ist eine Frage der Leistungsgerechtigkeit.

Ja, die Riester-Rente hat die Erwartungen noch nicht erfüllt. Die falsche Konsequenz daraus wäre, auf private Vorsorge zu verzichten. Die gleichen Politiker, die einerseits von der Niedrigzinspolitik der EZB im Staatshaushalt profitieren, beklagen andererseits die Schwierigkeiten der privaten Vorsorge. Das sind doch Krokodilstränen.

Wie wäre es, wenn der Staat dann seinen Zinsvorteil an die Bürger zurückgeben würde? Über die Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder der kalten Progression zum Beispiel.

Private Vorsorge muss transparenter und in Zeiten von Niedrigzinsen rentabler werden, indem nicht überwiegend Staatsanleihen gekauft werden, sondern zum Beispiel auch Aktien.

Aber bitte kein staatlicher Pensionsfonds, den Schwarz-Grün aus Hessen vorschlägt – denn da ist doch der Manipulation Tür und Tor geöffnet.

Die einen kaufen dann aus politischen Gründen griechische Staatsanleihen, die anderen Windparks. Die private Vorsorge sollte bleiben, was sie ist: nämlich privat und unpolitisch.

Für mich ist und bleibt ein wichtiger Baustein zur Altersvorsorge das Eigentum. Wer im Alter keine Miete zahlt, hat größere Freiräume.

Die Zinspolitik treibt aber die Immobilienpreise, die Politik treibt die Kosten durch Baustandards, die Staat erhöht die Grunderwerbsteuer, die vom Bund allein gelassenen Kommunen die Grundsteuern. Diese Politik muss sich ändern. Der Traum von der eigenen Wohnung, dem eigenen Haus muss wieder für mehr Menschen erreichbar sein – denn das ist das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft!

Zuwanderung

Eine alternde Gesellschaft ist auf Zuwanderung angewiesen. Wir werden den Fachkräftemangel spüren.

Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine humanitäre Frage, aber sie löst dieses Problem nicht, sondern könnte eher den Druck auf unsere Sozialsysteme verstärken.

Viele, denen wir jetzt Schutz gewähren, werden wieder gehen und gehen müssen, um die alte Heimat aufzubauen, wenn dort dereinst wieder Stabilität erreicht ist. Das Asylrecht ist kein Ersatz für eine gesteuerte Einwanderungspolitik.

Es ist gut, wenn es nun endlich ein Integrationsgesetz gibt. Aber ein Mangel bleibt unverändert bestehen: Deutschland braucht ein modernes Einwanderungsgesetz mit klaren Kriterien, wenn wir aus unseren Eigeninteressen zum Bleiben oder zum Kommen einladen wollen.

Vorhandene Sprachkenntnisse, Qualifikation, Berufserfahrung, Straffreiheit – all das kann man mit Punkten bewerten und dann die besten auswählen.

Neue Fachkräfte füllen nicht nur Lücken auf. Neue Ideen werden geboren, wenn Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammen kommen. Wenn wir im globalen Wettbewerb diese Talente gewinnen wollen, dann darf Zuwanderung nicht länger dem Zufall überlassen bleiben!

Bildung

Eine alternde Gesellschaft muss sich auch um ihre eigenen Talente bemühen.

In Deutschland verlassen immer noch jedes Jahr 80.000 junge Menschen die Schulen ohne jeden Abschluss.

Die permanenten Debatten über materielle Ungleichheit gehen am Kern des Problems vorbei – das schreibt sogar der Chef-Berater von Sigmar Gabriel, Professor Fratzscher, in seinem aktuellen Buch „Verteilungskampf“. Denn der Wohlfahrtsstaat ist bereits „ein Tag und Nacht arbeitendes Pumpwerk der Einkommen“.

Nicht noch mehr Umverteilung löst die Armutsfrage, sondern nur eine Bildungspolitik, der den Mangel an Chancen beseitigt!

Die bildungspolitische Ausgangslage ist aber verstörend.

Wir schlagen uns rum mit Strukturdebatten und ideologischen Bildungsplänen, um – angeblich! – zu mehr Chancengerechtigkeit zu kommen.

Ich bin überzeugt, dass stattdessen die Modernisierung unseres Bildungssystems uns dafür die Mittel an die Hand geben könnte. Wir haben die Gelegenheit zu einer Bildungsrevolution – und ihr Schlüssel ist die individuelle Förderung.

Ist das Science Fiction?

Nein, beispielsweise gibt es in New York die David A. Boody Schule.

Dort praktiziert man seit 2011 die School of One im Mathematikunterricht, die auf jeden Einzelnen zugeschnittene Schule.

Die Wände der Klassenzimmer wurden entfernt, um einen großen Raum zu schaffen. Die Schulbücher wurden weggeworfen.

Die Schüler lernen nach Wahl in Kleingruppen, mit Videos, mit Online-Tutoren – und die Lehrer stehen zur Verfügung, um individuell Fragen zu beantworten und Probleme zu lösen.

Wer etwas nicht verstanden hat, schaut ein Lernvideo noch einmal und drückt „Pause“ oder „Zurück“.

Am Ende eines jeden Tages legt jeder Schüler einen kleinen Online-Test ab, um den Lernfortschritt zu checken.

Auf dessen Grundlage wird der Stoff für den nächsten Tag ermittelt. Als man begonnen hat, lag das Leistungsniveau unterhalb des Durchschnitts vergleichbarer Schulen. Inzwischen lernen die Schüler dort beinahe eineinhalb Mal so viel pro Jahr wie der nationale Durchschnitt.

Bei uns aber funktioniert Bildung immer noch so, dass alle Schüler in der gleichen Klasse, den gleichen Stoff zur gleichen Zeit, im gleichen Raum mit den gleichen Methoden und im gleichen Tempo vermittelt bekommen – obwohl sie alle ganz unterschiedlich sind.

Wie wäre es, jede Schülerin und jeden Schüler nicht nur als Individuum zu betrachten – sondern auch so zu unterrichten? Die Digitalisierung gibt uns eine großartige Chance: Dass nämlich Lehrer Kinder und Jugendliche unterrichten – und nicht Standardstoff.

Die Welt steht vor dieser Bildungsrevolution, aber unser Bildungssystem ist den Anforderungen der digitalen Welt nicht gewachsen und nutzt seine Möglichkeiten nicht.

Das ist fahrlässig. Die Bücher, die unsere Kinder in den Schulen zu sehen bekommen, sehen immer noch genauso aus wie vor 20 Jahren.

Bei der Nutzung von Computern im Unterricht ist Deutschland internationales Schlusslicht unter Industrieländern.

Die IT-Ausstattung an deutschen Schulen befindet sich auf dem Stand von 2006.

An unseren Schulen darf über die Welt nicht länger unterrichtet werden, wie sie einmal war, sondern es muss unterrichtet werden, wie sie einmal sein wird!

Übrigens, während sich bei uns Schüler um Computer balgen, bekommt in Estland jeder kostenlos ein Gerät zur Verfügung gestellt.

In Großbritannien ist seit 2014 das Erlernen einer Programmiersprache für die Grundschüler verpflichtender Schulstoff.

In Deutschland hingegen gibt mehr als jeder dritte Lehrer an, IT-Grundkenntnisse sowie Programmiererfahrung von Schulabgängern seien nicht so wichtig.

Umgekehrt halten auch nur acht Prozent der Schüler ihre Lehrer für kompetent im Umgang mit digitalen Medien.

Kein Wunder, wenn Lehrer fordern, man müsse Kinder aus pädagogischen Gründen vom Internet fernhalten… Mir scheint, nicht nur die Kinder und Jugendlichen brauchen mehr digitale Bildung, sondern auch die Ausbildung der Lehrer.

Fest steht: Deutschlands Bildung braucht eine Digitalisierungsoffensive. Länder und Kommunen allein sind damit überfordert. In diesem Zusammenhang hat

Angela Merkel dieser Tage etwas Bemerkenswertes gesagt: „Ich darf als Bundeskanzlerin über Schulen nicht sprechen, das fällt nicht in meine Zuständigkeit.“

Wie lange kann es sich Deutschland eigentlich noch leisten, dass das Zukunftsthema Nummer eins für die Bundesregierung ein verbotenes Terrain ist?

Der Bildungsföderalismus, wie wir ihn praktizieren, ist nicht Teil der Lösung. Er ist längst zum Problem selbst geworden.

Klein-Klein sichert uns nicht die Zukunft. Stattdessen müssen wir:

- ideologische Debatten einstellen

- Gebäude sanieren und Unterrichtsausfall bekämpfen

- Lehrer weiterbilden und Ausbildung modernisieren

- Lehrpläne durchforsten und digitale Methoden einführen

- bundesweite Qualitätsstandards schaffen, aber mehr Autonomie für die einzelne Schule ermöglichen

- WLAN an jede Schule bringen

- Handys nicht in die Taschen, sondern auf die Tische packen

Die digitale Bildungsrevolution zu gestalten, das muss so etwas wie das Mondfahrtprojekt unserer Gesellschaft werden.

2. Aufgabe Digitalisierung

Die Bildungspolitik ist nur ein Schlaglicht, wie wenig wir auf die Digitalisierung vorbereitet sind. Unsere Defizite beginnen schon beim Zugang zum digitalen Nervensystem selbst.

In den USA muss seit 2014 jeder neu verlegte Internetanschluss eine Bandbreite von 1 Gbit/s haben. In Japan ist das sogar schon seit 2008 so.

Derweil plant unsere Regierung bis 2018 einen Ausbau des Netzes auf 50 Mbit/s – das ist ein Zwanzigstel des internationalen Standards.

Ein Gigabyte mobiles Datenvolumen kostet in Deutschland fünfzigmal mehr als in Finnland und zwanzigmal mehr als in Frankreich, Großbritannien oder Dänemark.

Als Industrienation haben wir unseren Wohlstand begründet. Wenn wir ihn behalten wollen, dürfen wir als Internet-Nation nicht länger klein bleiben!

Andere machen es uns vor.

Beispiel WLAN: Frankreich, China, Osteuropa – überall gibt es unterwegs viel mehr Gratis-Netz.

In Estland gibt es WLAN in allen Straßenbahnen und Bussen, selbst an Haltestellen und auf dem Land.

In Israel werden die staatlichen Linienbusse selbst mitten in der Wüste noch mit Highspeed-Internet versorgt. Und bei uns?

Auf der CEBIT war kürzlich ein Schild zu sehen: WLAN – eine Std, 5 Euro. Vier Stunden, 15 Euro. Ein Scherzkeks hat das durchgestrichen und darüber geschrieben: „Warum Deutschland niemals das Silicon Valley wird.“ Leider hat er Recht, muss man sagen.

Wir haben stattdessen die Grünen. Auf deren letzten Bundesparteitag gab es einen Antrag, in dem „WLAN-freie Zonen“ gefordert wurden.

Das ist innovativ: ein Grundrecht auf Funklöcher! Begründung: WLAN zerstöre Gesundheit und Partnerschaften.

Wenn das stimmen würde, dann müssten wir in Deutschland eine Geburtenexplosion haben und die anderen Länder alle aussterben.

In der deutschen Fortschrittsfeindlichkeit hat sich nichts geändert: In den 60er Jahren hat man befürchtet, dass das Fernsehen die Geburtenrate senkt, heute ist es das böse WLAN.

Um die schlechte WLAN-Versorgung zu verbessern, helfen schon kleinste Änderungen. Beispielsweise haftet bei uns derjenige, der ein freies WLAN-Netz im Restaurant zur Verfügung stellt, wenn sich jemand darüber illegal Musiktitel herunterlädt. Das ist, als ob ein Fahrradverleih dafür haften müsste, dass jemand mit dem Fahrrad auf dem Gehweg fährt!

Diese so genannte Störerhaftung ist ein Unikum, das sofort beseitigt werden kann und muss.

Dieser Tage gab es einen bemerkenswerten Artikel im Handelsblatt.

Überschrift: „Merkel bittet Industrie um Hilfe: Kanzlerin fordert konkrete Wunschlisten der Wirtschaft für die Digitalisierung.“

Im Text heißt es dann: Sie und ihre Minister könnten ja nicht wissen, wer was brauche, um bei der Digitalisierung voran zu kommen... Der Frau kann geholfen werden. Frau Merkel, wir haben da mal eine Liste für Sie zusammengestellt:

- ein hochleistungsfähiges Breitbandnetz mit Wettbewerb der Anbieter statt Telekom-Monopol

- bessere Rahmenbedingungen für Venture Capital

- eine steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung

- Digitalisierung im Gesundheitswesen für mehr Qualität

- ein modernes Recht, das den Bürgern Datensouveränität gibt

- die Aufwertung der von uns eingeführten Stiftung Datenschutz

- ein Ende der Bespitzelung der Bürger durch die Vorratsdatenspeicherung

All das könnte man sofort angehen.

Was sich bei Frau Merkel nach freundlichem Dialogangebot anhört, das ist in Wahrheit eine Kapitulationserklärung vor der Digitalisierung.

Vor allem muss der Staat selbst mit gutem Beispiel vorangehen.

In Deutschland aber ist die Digitalisierung immer die Digitalisierung der anderen.

Gabriel stellt eine Digitalstrategie vor – ein Kapitel zum Thema eGovernment sucht man vergeblich. Die Kanzlerin hat einen Podcast und einen Instagram-Account – aber das macht eben noch lange keinen digitalen Staat aus.

In Estland hingegen ist zum Beispiel der Beruf des Steuerberaters weitgehend unbekannt – weil jeder Bürger seine Steuererklärung selbst und digital erledigen kann. Im Durchschnitt dauert das drei Minuten – so schnell kann man nicht einmal einen Bierdeckel beschriften. Nach fünf Tagen bekommt der Bürger dort seinen Steuerbescheid.

Auch die durchschnittliche Dauer der Registrierung einer Firmenneugründung ist Estland kürzer: 15 Minuten – Deutschland: 6,6 Tage. All das zahlt sich aus: Estland hat die meisten Startups pro Einwohner in Europa.

Dagegen arbeitet ein Drittel der Behörden in Berlin noch immer mit Windows XP. Windows XP – dafür gibt es seit 2008 weder Updates noch Support mehr... Da muss man sich nicht wundern, wenn man in Berlin mehrere Monate auf einen Termin beim Bürgeramt warten muss...

Wenn Estland binnen 25 Jahren von einer Sowjetrepublik zum digitalen Trendsetter wird, dann zeigt das, was uns blüht, wenn wir nichts tun – und was möglich ist, wenn wir handeln!

Auch auf dem Arbeitsmarkt ändert sich durch die Digitalisierung einiges. Seit der Industriegesellschaft hat sich unsere Gesellschaft enorm weiterentwickelt.

Die Politik dominiert aber immer noch die Vorstellung, dass nur dort „gute Arbeit“ sei, wo man werktags zwischen 09.00 und 17.00 Uhr an der Werkbank steht oder am Schreibtisch sitzt.

Die digitale Revolution kann und wird das für viele verändern.

Auf dem Weg zur Arbeit erste Aufgaben erledigen, sich nachmittags zuhause um die Kinder kümmern, danach noch zwei Stunden arbeiten.

Wo und wann wir arbeiten, das wird für viele eine geringere Rolle spielen – und das ist ein Gewinn an Selbstbestimmung und Beweglichkeit.

Und davon können insbesondere auch Frauen profitieren, deren Potenziale wir noch zu oft verschenken.

Die Digitalisierung schafft, was keine Quote kann: Nämlich Frauen Flexibilität und Raum zu geben, die gläserne Decke der Karriere wirklich zu durchbrechen.

Während die digitalisierte Arbeitswelt den Menschen mehr Flexibilität für die Balance zwischen Dienst- und Privatzeit bietet, setzt die Regierung auf das Gegenteil.

Die geplanten Verschärfungen bei Werkverträgen sind nur ein Beispiel. In Berlin erzählte mir neulich jemand bei einer Veranstaltung, um das Thema Arbeit 4.0 müsse man sich keine Sorgen machen. Das sei in den besten Händen – nämlich in denen von Andrea Nahles. Das kann man nur als Drohung auffassen...

Wir brauchen keine Bürokratie, die die Präsenzkultur der Vergangenheit in die neue Zeit zu retten versucht oder die den Neigungswinkel der Schreibtischlampe im Homeoffice festlegt. Für Andrea Nahles bedeutet Arbeit 4.0 vier Mal mehr Vorschriften, aber null Fortschritt.

Deutschland braucht aber nicht weniger Flexibilität im Arbeitszeitgesetz, sondern mehr.

Deutschland braucht nicht mehr Bürokratie bei der Gründung von Kleinunternehmen, sondern weniger.

Deutschland braucht nicht mehr Details in der Arbeitsstättenverordnung, sondern weniger.

Die Arbeitnehmer sind keine betreuungsbedürftigen Mündel. Mehr Freiheit ist keine Gefahr, sondern ein Bedürfnis!

Natürlich birgt der neue Arbeitsmarkt auch Risiken für den Einzelnen, die wir nicht verschweigen.

Immer mehr Arbeitgeber in der Kreativbranche stützen sich auf Solo-Selbstständige. Der Solo-Selbstständige muss in Deutschland allein gegen die Großbürokratie kämpfen.

Er kann auch mal eine Durststrecke haben. Manche fürchten in der Folge die Entstehung eines Online- oder Dienstleistungsprekariat.

Ich glaube, dass wir dafür einen Lösungsansatz haben, der Flexibilität mit sozialer Sicherheit verbindet; der wechselndes Einkommen auch bei einem Solo-Selbständigen ausgleichen kann: Mal zahlt man an das Finanzamt Steuern, mal erhält man vom Finanzamt etwas bis zur Grundsicherung der Familie ausbezahlt.

Andere theoretisieren über ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wir haben längst einen praktikableren Vorschlag: Er heißt liberales Bürgergeld. Und er ist aktueller denn je.

In anderen Nationen werden die Aufgaben, die sich aus der Digitalisierung ergeben, eng verzahnt angegangen. In Israel beispielsweise durch eine zentrale Stelle im Wirtschaftsministerium.

Bei uns sind mehrere Minister unterschiedlicher Parteien für Thema Digitalisierung zuständig:

- Sigmar Gabriel – der kämpft aber vor allem mit seiner Partei.

- Thomas de Maiziere – der kämpft mit dem Verfassungsgericht.

- Johanna Wanka – das ist die Bildungsministerin. Die kämpft mit dem Bekanntheitsgrad.

- Alexander Dobrindt – der kämpft mit der PKW-Maut.

- Heiko Maas – ist auch abgelenkt.

Die Folge: Stillstand und Kompetenzstreitigkeiten.

Beispiel: Gabriel sagt auf der Cebit 10 Mrd. für den Ausbau des Breitbandnetzes zu. Ist aber Thema von Dobrindt. Der sprach Ende 2015 aber nur von 2,7 Mrd. Euro.

Beispiel Digitalagentur: Gabriel sagt: die muss kommen. Dobrindt sagt: die brauchen wir nicht.

Woanders laufen alle Fäden zentral zusammen. Es ist Zeit, diese Aufgabe auch in Deutschland an einer Stelle zu bündeln: Unser Land braucht endlich ein Digitalministerium!

Übrigens: 2014 haben sich Israel, Estland, Neuseeland, Großbritannien und Südkorea zusammengeschlossen: als „Digital 5“, mit dem Ziel die führenden Internetnationen der Welt zu werden.

Das ist nicht weniger als eine Kampfansage an Ingenieursnationen wie die unsere.

In Deutschland dominiert aber immer noch die lapidare Ansicht: Wir können eben Autos und Maschinen, die anderen können Internet. Das ist ein fataler Irrtum!

Dieser Tage gab es einen Bericht in der FAZ, wonach Apple mitten in Berlin am iCar forscht. Und dafür führende deutsche Ingenieure abwirbt.

Ein Schritt noch, und unsere Schlüsselindustrie ist die Schlüsselindustrie der anderen geworden!

Wir wollen nicht, dass Deutschland ein Möglichkeitenverpasser wird. Deutschland muss ein Möglichmacher sein!

3. Aufgabe Wirtschaftsordnung

Die Digitalisierung verändert auch den Charakter der Wirtschaft.

Die Aufgabe ist, die Soziale Marktwirtschaft zu modernisieren.

Ludwig Erhard wusste, dass der freie Markt einen Staat als Schiedsrichter benötigt, damit der Wettbewerb fair ist.

In Zeiten des Plattform-Kapitalismus der Googles und Amazons ändern sich die Bedingungen auf dem Markt. Deshalb müssen die bewährten Prinzipien aktualisiert werden.

Bei dieser Gelegenheit in Klammern gesagt: Die Soziale Marktwirtschaft baut auf Vertrauen – das Vertrauen, das Freiheit verantwortlich wahrgenommen wird.

Das Menschen für ihr Handeln Rechenschaft ablegen können. Deshalb war die Veröffentlichung der „Panama Papers“ so sensibel.

Das, was da läuft, kann man dem Handwerksmeister aus dem Sauerland nicht erklären.

Nicht jede so genannte Briefkastenfirma dient der Steuerhinterziehung, aber mache werden es.

Aus der SPD wird nun schon eine Beweislastumkehr gefordert: Der Bürger muss nachweisen, dass er legal gehandelt hat. Das ist Mittelalter.

Für uns ist es gleichermaßen falsch, eine Pranger-Justiz zu fordern oder Steuerhinterziehung zu verniedlichen.

Denn wir wollen den Rechtsstaat durchsetzen, aber nicht rechtsstaatliche Prinzipien preisgeben!

Unser Ideal ist die ehrliche Kaufmannschaft ist.

Ich gönne jedem seine Gewinne und sein Vermögen. Aber wir erwarten, dass Gesetze eingehalten werden und dass der Rechtsstaat darüber wacht.

Statt für uns im Kleinen zu verbieten, den neuen Fernseher mit Bargeld zu kaufen, muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass nicht die Banken Komplizen bei den großen Geschäften sind!

Das Bundesministerium für Wirtschaft hat bei der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft eine besondere Rolle.

Es vertritt das Erbe von Ludwig Erhard und Otto Graf Lambsdorff: die Märkte zu ordnen durch klare Regeln, den Wettbewerb fair zu halten und nicht einzelnen Interessen zu dienen.

Unlängst ist der Vorsitzende der Monopolkommission, Professor Daniel Zimmer, von seinem Amt zurückgetreten, um gegen die Erlaubnis von Sigmar Gabriel für die Fusion von Kaisers/Tengelmann und EDEKA zu protestieren.

Sein Rücktritt ist ein beispielloser Vorgang.

Er und die Monopolkommission haben gewarnt, dass Millionen Kunden weniger Auswahl und damit höhere Preise zu erwarten haben.

Darüber hat sich Sigmar Gabriel hinweg gesetzt. Soziale Marktwirtschaft ist kein abstraktes Modell – sie dient konkret dem Gemeinwohl.

Ein Wirtschaftsminister, der sich dagegen einseitig nur an den Einflüsterungen von ver.di orientiert, steht nicht in der Tradition von Ludwig Erhard.

Über Monate wurde über diese Fusion im Handel gestritten.

Dabei gäbe es andere, grundlegende Fragen. Wer beispielsweise ein Android-Smartphone kauft, muss zugleich eine Google-Identität inklusive Mailadresse registrieren. Damit ist man sofort auf dieser Plattform.

Das ist ein Nachteil für Kunden und Wettbewerber. Besser wäre es, wenn solche Dienste entkoppelt würden. Das hat nun die Europäische Kommission erkannt.

Wo ist die Initiative des Wirtschaftsministers für ein Kartellrecht 4.0, das den Anforderungen der Zeit genügt? Denn es ist nicht unser Verständnis von Wettbewerb, dass Einzelne so mächtig werden, dass sie die Regeln bestimmen!

Die Bundesregierung will viel Geld einsetzen, um Kaufprämien für Elektroautos zu zahlen.

Wo plädiert der Wirtschaftsminister stattdessen für bessere Investitionsmöglichkeiten im Mittelstand, zum Beispiel durch die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung?

Von guter Wirtschaftspolitik dürfen nicht nur die Branchen profitieren, die gerade in Mode sind – sondern alle.

Neue Geschäftsmodelle wie Uber drängen auf den Markt.

Die sind oft kreativer als die Etablierten, nutzen zugleich aber auch aus, dass Platzhirsche wie das Taxigewerbe an uralte Regelungen gebunden sind.

Wo sorgt der Wirtschaftsminister für fairen Wettbewerb durch klare Regeln für die Newcomer und weniger Bürokratie für die Etablierten?

Denn nicht Bürokratie und Gerichte sollen entscheiden, was Zukunft hat, sondern wir als Kunden!

Die Verhandlungen für den transatlantischen Freihandel sind eine enorme Chance, der Globalisierung Regeln zu geben und Arbeitsplätze in unserer Exportwirtschaft zu sichern.

Leider gibt es viele auch unsachliche Argumente und Ängste dagegen. Jetzt besucht sogar der US-Präsident die Hannover Messe, auch um dafür zu werben.

Wo macht sich der Wirtschaftsminister wie ein Löwe dafür stark?

Denn die Demokratien diesseits und jenseits des Atlantiks sollen die Globalisierung prägen – und nicht der chinesische Staatskapitalismus!

Die Bundesnetzagentur hat dieser Tage grünes Licht dafür gegeben, dass die Telekom auf der so genannten letzten Meile bis zu Ihnen nach Haus Monopolanbieter für Breitband wird.

Wo hat man die mahnende Stimme des Wirtschaftsministers dazu gehört? Denn technologischen Fortschritt garantiert uns nur der Wettbewerb in der Marktwirtschaft!

Mit der Erbschaftsteuer wird das Rückgrat unserer Wirtschaft, die Familienbetriebe, bürokratisch gefesselt und belastet. Und damit verlieren Millionen Arbeitsplätze an Wettbewerbsfähigkeit.

Die Googles, Apples, Amazons, Starbucks und IKEAS dieser Welt erzielen dagegen hierzulande Milliarden-Gewinne, nutzen unsere Straßen und zahlen nichts.

Wo sorgt der Wirtschaftsminister dafür, dass die erst einmal ihren fairen Beitrag leisten? Denn das ist ein Gebot der Fairness gegenüber dem Mittelstand!

Wer die Soziale Marktwirtschaft verteidigt, der muss im Moment möglicherweise unpopuläre und erklärungsbedürftige Entscheidungen treffen.

Wir erinnern uns in jüngerer Zeit zum Beispiel an das Nein zu Staatshilfe bei OPEL durch Rainer Brüderle.

Aber über die Jahrzehnte hat es sich bewährt, an der Sozialen Marktwirtschaft festzuhalten.

Das Bundesministerium für Wirtschaft war stets das ordnungspolitische Gewissen der Bundesregierung, der Hort der Ordnungspolitik. Jetzt ist es in der Hand von Sigmar Gabriel – der Unordnungspolitik auf zwei Beinen.

III. Liberalität

Wir sprechen an diesem Wochenende über mehr Freiheit, über Liberalität und mehr Weltoffenheit für unser Land.

Für uns Freie Demokraten ist das selbstverständlich.

Aber wir verkennen nicht, dass in unserem Land gegenwärtig öfter über weniger Freiheit, weniger Liberalität und weniger Weltoffenheit debattiert wird.

Erstes Beispiel: Der Justizminister Maas will sexistische Werbung verbieten.

In den fünfziger Jahren haben sich die Gerichte damit beschäftigt, ob das Lächeln einer Frau nur freundlich oder „Anstiftung zur Unzucht“ ist. Wollen wir dahin zurück?

1968 haben die Linken noch gegen spießige Sexualmoral gekämpft – und heute gegen nackte Tatsachen?

Niemand bestreitet, dass manche Werbung einfalls- und mitunter geschmacklos ist.

Aber wir brauchen keine Geschmackspolizei – denn darüber können die Verbraucher selbst urteilen!

Zweites Beispiel: 1989 haben die Menschen im Osten unseres Landes die Mauer in der friedlichen Revolution von innen heraus eingedrückt.

Der Ruf nach Freiheit, der Wunsch nach Einheit waren stärker als der Sozialismus.

In Berlin sollte dieser historischen Epoche unseres Landes ein Denkmal gesetzt werden. Und für die nationale Identität Deutschlands wäre das mehr als angemessen.

Jetzt sind die Pläne vom Bundestag ad acta gelegt worden. Begründung: Die Bauvorschriften des Landes Berlin verteuerten das Projekt.

Was sagt das eigentlich über unser Land aus? Einheit und Freiheit – was der Sozialismus nicht verhindern konnte, das darf dem Bürokratismus ebenfalls nicht gelingen!

Drittes Beispiel: Der Verlust der Privatheit.

Das Europäische Parlament hat die anlasslose Speicherung von Fluggastdaten genehmigt. Damit werden jahrelang von jedem von uns Daten wie Flug, Name, Kreditkarte und Essenswunsch gespeichert.

Ich bin froh, dass unsere liberalen Europaabgeordneten in Brüssel gegen diese neue Überwachungsmaßnahme votiert haben.

Auch die große Koalition hat die Überwachung der Bürger durch die jüngsten Anti-Terror-Maßnahmen ausgeweitet.

Am Mittwoch hat das Bundesverfassungsgericht aber Teile des BKA-Gesetzes verworfen. Geklagt hatten auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Burkhard Hirsch und Gerhart Baum. Vielen Dank, dass Ihr unsere Freiheit verteidigt.

Nach dem Urteil vom Mittwoch sind wir zuversichtlich, dass auch unsere Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung erfolgreich sein wird.

Aber so kann es nicht weitergehend. Wir wollen eine Politik, die Bürgerrechte schützt – und nicht von den Gerichten dazu gezwungen werden muss.

Von den 15 identifizierten Attentätern der Terroranschläge der letzten Jahre waren schließlich 14 den Behörden vorher als Gefährder bekannt.

Sicherheit wird nicht besser, wenn wir zu gläsernen Bürgern werden.

Sicherheit wird nicht besser, wenn die überlastete Bundeswehr nach dem Willen von Frau von der Leyen in unseren Städten patrouilliert.

Sicherheit wird besser, wenn die Polizei endlich auf Höhe der Zeit ist und die Behörden effektiv kooperieren!

Viertes Beispiel: Die Rechtspopulisten der AfD sagen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Er widerspreche dem Grundgesetz.

Die wollen stattdessen eine „Dominanz der christlichen Religion“: Meinen die das Abtreibungsverbot und die Verneinung von Homosexualität in der katholischen Lehrmeinung?

Für alle Religionen gilt das Grundgesetz – ohne Unterschied. In seinem Zentrum steht die Glaubensfreiheit.

Die Realität ist, dass Millionen Muslime friedlich in unserer Mitte leben und deutsche Staatsbürger sind. Jeder soll nach seiner Facon selig werden – diesem Grundsatz fühlen wir uns verpflichtet.

Was nicht zu Deutschland gehört ist der religiöse Fanatismus und der Islamismus als politische Ideologie. Er muss mit den Mitteln der wehrhaften Demokratie bekämpft und stärker bekämpft werden.

Wir wissen, dass sich die weit überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland davon distanziert. Sie verdienen und brauchen unsere Unterstützung.

Wer dagegen Islam und Islamismus nicht unterscheidet, der betreibt das Geschäft der derjenigen, die unsere liberale Gesellschaft zerstören wollen.

Wenn jemand nicht zum Geist des Grundgesetzes passt, dann die AfD.

Fünftes Beispiel: Deutschland ist im internationalen Ranking der Pressefreiheit um vier Plätze auf Platz 16 abgerutscht. Eine Folge der Drohungen gegen Journalisten.

Die Türkei landete auf Platz 151 von 180.

Deshalb ist der Fall Böhmermann so sensibel – gerade für die Opposition in der Türkei.

Gegen Schmähkritik kann sich jeder von uns vor unabhängigen Gerichten zur Wehr setzen – auch Herr Erdogan.

Die Bundeskanzlerin hat aber seinem Verlangen stattgegeben, eine Strafverfolgung gegen Böhmermann zu ermächtigen. Und das war keine zwingende Entscheidung, sondern eine politische – gegen das Außen- und gegen das Justizministerium. Denen war das aber auch nicht so wichtig, daraus eine Koalitionsfrage zu machen.

Was ist das für ein Signal an Herrn Erdogan, was für ein Signal an die Opposition in der Türkei, was für ein Signal für unsere europäischen Werte!

Das ist der Preis dafür, dass die Bundesregierung eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage lange behindert und einseitig auf die Türkei gesetzt hat. Das muss sich durch eine europäische Lösung ändern. Und dafür muss die Bundesregierung ihre Alleingänge beenden.

Im Fall Böhmermann erwarten wir, dass der Bundestag diesen Paragraphen nicht erst 2018, sondern noch vor der Sommerpause aus der Welt schafft, damit Herr Böhmermann auf dessen Grundlage nicht mehr verurteilt werden kann.

Denn für die offene Gesellschaft ist die Freiheit der Meinung so wichtig wie die Luft zum Atmen.

Und auch jenseits aller tagespolitischen Fragen ist Freiheit ganz grundsätzlich in der Defensive:

Europa ist in einer Zeit gefordert, in der sein innerer Zusammenhalt brüchig ist.

Das „Nee“ in den Niederlanden, der mögliche Brexit, die Geländegewinne für die Europa-Hasser.

Ich sehe auch manches Defizit.

Aber was ist die Alternative zu Europa: die Abschottung im Nationalstaat, Schlagbäume, Zölle und die überwunden geglaubten Rivalitäten?

Auf der Weltbühne werden wir alle keine Rolle mehr spielen.

In einer Zeit der Unsicherheit rund um Europa geht die größte Gefahr für Frieden, Freiheit und Wohlstand nicht von Euro- und Flüchtlingskrise aus.

Die größte Gefahr für Frieden, Freiheit und Wohlstand wäre der Zerfall Europas. Deshalb muss Europa seine Handlungsfähigkeit zurückgewinnen.

Und wenn nicht alle 28 mitziehen, dann müssen einzelne wie Deutschland und Frankreich eben vorangehen.

Für uns gilt unverändert und mehr denn je der Satz von Hans-Dietrich Genscher: „Unsere Zukunft ist Europa – wir haben keine andere.“

Wir streiten für ein modernes und liberales Deutschland. Ein Land, in dem jeder sein Glück auf seine Weise finden darf. Eben die Beta-Republik, das sich der Welt und ihrem Wandel öffnet. Das ist unsere Aufgabe.

Im dritten Jahr nach der letzten Bundestagswahl wissen wir: Niemand nimmt uns diese Aufgabe ab. Deshalb sind wir Freie Demokraten.

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