NIEBEL-Interview für die "Rhein-Neckar-Zeitung"
Berlin. FDP-Generalsekret DIRK NIEBEL gab der "Rhein-Neckar-Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte WOLFGANG FISCHER.
Frage: Sind die Liberalen sauer, dass die Sozialdemokraten ihren Sonderparteitag ohne Rücksicht auf die FDP, die am Wochenende in Rostock ihren lange geplanten Parteitag abhält, am kommenden Sonntag veranstalten?
NIEBEL: Bisher haben alle Parteien immer darauf geachtet, nicht in Termin-Konkurrenz zu anderen zu treten. Die Genossen beschreiten da neue Wege - und wer weiß, was sie mit einem Parallelparteitag FDP-SPD suggerieren wollen? Aber vielleicht hat das Willy-Brandt-Haus in der Fülle der Wahlen neuer Parteivorsitzender der SPD nur ein wenig den Überblick verloren.
Frage: Welche zentrale Botschaft wird der Parteitag haben - und rechnen Sie mit Debatten um das Erscheinungsbild der FDP? Als Oppositionspartei in Berlin hat sie es ja schwer?
NIEBEL: Die FDP hält als einzige Partei die Fahne des Politikwechsels hoch und will die von Schwarz-Rot enttäuschten Bürger dahinter versammeln. Die offene Flanke der Trippelschritte-Koalition ist groß, und die Kraft der anderen Oppositionsparteien ist leider auf Selbstfindung konzentriert. Da ist eine mutige FDP gefordert, die sich im breitesten Interesse der Bürger gegen die große Steuer-Abzocke und für mehr Innovation, Wachstum, Arbeit, Wohlstand aufstellt. Wir nehmen die Rolle des Herausforderers der vereinigten Christsozialdemokraten voll an.
Frage: Erkennen Sie die Union wieder? Sie hat mit der SPD eines der bisher größten Steuererhöhungspakete geschnürt, steigert auch die Abgaben. Ist so das Finanzdesaster von Bund, Ländern und Gemeinden zu beseitigen?
NIEBEL: Nein, da sind wir baff. Ein schlimmeres Bild "Vor der Wahl - nach der Wahl" hat noch keine Partei geboten. Die Mehrwertsteuererhöhung steht exemplarisch für die Methode
Schwarz-Rot: Man schaukelt sich auf zur Höchstbelastung der Normalbürger. Und man nimmt den Mut dazu aus der Übermacht im Bundestag, aus Placebo-Verabreichungen wie der so genannten Reichensteuer und der Erwartung eines dauerhaft duldenden deutschen Michels. Allein die Absenkung des Sparerfreibetrages bringt zehnmal so viel Staatseinnahmen wie diese Neidsteuer. Da soll dem kleinen Mann Sand in die Augen gestreut werden. Ich sage voraus: Das geht schief. Seit dieser Woche macht Schwarz-Rot ernst mit dem Griff ins Bürger-Portemonnaie, und jeder sieht, was ihm blüht. Wir brauchen nichts nötiger als Freiheit zum Wachstum. Das heißt: Umkehr vom Weg der steuerlichen Mehrbelastung, der Bürokratierekorde - siehe Gleichbehandlungsgesetz -, der Überregulierung am Arbeitsmarkt. Nur so kommen auch die Staatsfinanzen auf Dauer wieder ins Lot.
Frage: Sieht die FDP eine Chance, noch vor der nächsten Bundestagswahl in Regierungsverantwortung zu kommen - falls die Große Koalition vorzeitig aufgibt? Und ist das Verhältnis zur Union noch ungestört - nachdem sie sich den Sozialdemokraten inhaltlich so sehr angenähert hat?
NIEBEL: Man könnte freundlich sagen: Wir sehen eine biegsamere Union als je zuvor. Sie bemißt jetzt die Attraktivität von Partnern nach der Größe und nicht nach dem Charakter. Aber vielleicht biegt sich das auch wieder hin unter dem Druck der eigenen Basis. Schwarz und Rot setzen auf das Prinzip "Staat vor Privat". Unser Programm aber heißt: "Privat vor dem Staat." Das bleibt unsere Marke, und wir müssen sie beim Wähler attraktiv machen.
Frage: Wie schätzen Sie den designierten SPD-Chef KURT BECK ein. Wird er ANGELA
MERKEL das Leben leichter oder schwerer machen, und ist mit ihm eine deutlichere SPD-Handschrift der Großen Koalition zu erwarten?
NIEBEL: Wir werden bald sehen, ob der Berliner BECK noch mit dem Mainzer verwandt ist. Hält er sich an die Prinzipien der erfolgreichen sozialliberalen Zusammenarbeit von Rheinland-Pfalz, wird er zum Gralshüter der Marktwirtschaft am Hofe Frau MERKELS. Das Ende vom Lied kann nur sein: Entweder sucht er sich neue Prinzipien oder einen neuen Hof.