28.09.2013FDPInnenpolitik

Niebel-Interview für Rhein-Neckar-Zeitung

Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte KLAUS WELZEL:

 

Frage: Historische Schlappe - die FDP flog aus dem Bundestag. Woran lag es?

NIEBEL: Die Mannschaftsaufstellung war nicht optimal - das hat sich gezeigt.

Frage: Die Reihenfolge war aber doch so, dass Sie bei Dreikönig gesagt haben, dass es Sie zerreißt, wenn Sie an den Zustand Ihrer Partei denken, und danach wurde Rainer Brüderle erst zum Spitzenkandidaten gekürt - ein paar Tage später.

NIEBEL: Nach Dreikönig haben wir den Spitzenkandidaten gekürt und den Bundesparteitag vorgezogen. Das war richtig. Das Problem war, dass jenseits des Spitzenkandidaten praktisch alles beim Alten blieb.

Frage: Also lag es am Personal?

NIEBEL: Es lag zum Teil am Personal. Es lag zum Teil zudem daran, dass wir weniger in dieser Legislaturperiode durchsetzen konnten, als die Wähler und wir selbst erwartet hatten. Es lag aber auch daran, wie die Zweitstimmenkampagne zum Schluss intoniert worden ist. In jedem Wahlkampf haben wir um die Zweitstimme geworben. Ich erinnere mich an meinen ersten Wahlkampf 1994, als plakatiert wurde, „FDP wählen, damit Kohl Kanzler bleibt". Das war damals schon erniedrigend. Und ich bin damals nachts die FDP-Großplakate angefahren, wo draufstand „Für eine starke Regierung Kohl-Kinkel" und habe das so überklebt, dass dann nur noch dastand „Für eine starke Regierung Kinkel". Das hat auch nicht jedem gefallen (schmunzelt), aber es war wesentlich würdevoller als die jetzige Kampagne. Diese Art zu intonieren, das war mit Sicherheit schwer zu ertragen für alle Wahlkämpfer.

Frage: Das waren aber nur die letzten fünf Tage vor der Wahl?

NIEBEL: Aber die haben gereicht, um unter die 5 Prozent zu fallen. Die meisten Menschen entscheiden sich ja immer später, und die meisten FDP-Wähler entscheiden sich in der letzten Woche. Und wenn sie dann in der letzten Woche die Botschaft bekommen, es geht gar nicht um politische Inhalte, es geht gar nicht darum, was wir für Deutschland erreichen wollen, sondern es geht nur noch um uns - dann ist das nicht ansprechend.

Frage: Also lag es am Personal, es lag an der Taktik. Aber lag es nicht auch am Programm?

NIEBEL: Das Programm ist richtig. Und Sie sehen es ja an den Diskussionen im Vorfeld einer eventuellen Regierungsbildung: Drei Tage nach der Wahl sind die Schwüre der Union, dass man niemals die Steuern erhöhen werde, Makulatur. Ich gehe davon aus, es wird sich eine Regierung bilden, und man wird sehen: Es wird eine sehr teure Regierung für die Bürger.

Frage: Was sagen die Kollegen in der Fraktion?

NIEBEL: Der Schockzustand ist noch nicht überwunden. Die vollumfängliche Realisierung dessen, was geschehen ist, steht noch aus. Aber ich denke, das wird sich bei den verschiedenen Regionalkonferenzen, die wir jetzt im Vorfeld des Landes- und des Bundesparteitags haben, schon noch Bahn brechen. Natürlich wird es noch eine klare Analyse dessen geben müssen, was falsch gelaufen ist.

Frage: Am Montag wird das FDP-Präsidium wieder tagen. Rechnen Sie da bereits mit einer Ursachenanalyse?

NIEBEL: Da es das alte Präsidium ist, muss ich aus dem Erfahrungsschatz meiner Präsidiumssitzungen sagen, ich erwarte das nicht. Für eine abschließende Analyse ist es noch zu früh.

Frage: Und Sie werden das auch nicht ansprechen?

NIEBEL: Ich habe zu Dreikönig alles gesagt, was zu sagen war.

Frage: Ihr Spitzenkandidat Rainer Brüderle war offensichtlich kein Zugpferd. Ist die FDP unter ihrem jungen Chef Philipp Rösler zur Partei der alten Männer geworden?

NIEBEL: Nein. Ich sehe die gesamte Konstellation als unglücklich an. Ich hatte ja auch ein anderes Ergebnis im Kopf gehabt. Die Partei wird zu einem großen Teil von älteren Menschen gewählt, sagen die Wahlforscher. Rainer Brüderle war durch seinen Unfall gehandicapt, konnte nicht so spritzig auftreten wie sonst. Auf der anderen Seite wurde der jungen Parteiführung nicht immer das zugetraut, was die Wählerinnen und Wähler erwarteten.

Frage: Das ist dann also auch wieder ein Darstellungsproblem?

NIEBEL: Nein, das ist kein Darstellungsproblem. Jugend alleine ist noch kein Prä. Erfahrung gehört auch dazu. Die Mischung macht's. Und wenn man in einer sehr konzertierten Aktion einen Generationenwechsel über mehrere Generationen beschließt und umsetzt, dann finden sich viele bei uns nicht wieder, die früher bei uns gewesen sind.

Frage: Ihr Parteichef Philipp Rösler hat angeblich am Dienstag nach der Bayernwahl bei Angela Merkel angerufen und diese gebeten, auf die Zweitstimmenkampagne zugunsten der Union zu verzichten. Hätten Sie auch so gehandelt?

NIEBEL: Ich kenne das nur aus den Medienberichten und weiß nicht, ob das nun wahr ist oder nicht. Eine Zweitstimmenkampagne ist vernünftig. Allerdings kann die FDP nicht um die Zweitstimme mit dem Argument werben, dass so Merkel Kanzlerin bleibt. Um die Kanzlerinstimme wirbt die Kanzlerinpartei. Wenn die FDP die Zweitstimme zur Kanzlerinstimme macht, dringt sie in den Intimbereich einer anderen Partei ein. Das darf nicht passieren.

Frage: Wozu raten Sie Ihrer Partei?

NIEBEL: Erst einmal: nicht panisch werden, sondern sich sehr ruhig konsolidieren über die Landesparlamente, über die Mandatsträger auch im kommunalen Bereich sich neu zu orientieren und wieder anzugreifen. Die Art, wie die parlamentarischen Parteien aktuell die Themen diskutieren, ist eine Persiflage.

Frage: Welche Themen meinen Sie konkret?

NIEBEL: Alleine schon die üppigen Steuererhöhungen, die da diskutiert werden. Dann die Frage, ob man überhaupt bereit ist, Verantwortung für dieses Land zu übernehmen. Die Grünen schieben die Sozialdemokraten vor, die Sozialdemokraten schieben die Grünen vor. Die Union wundert sich, ob sie sich vielleicht nicht zu Tode gesiegt hat. Das Wort Pyrrhussieg geistert ja schon über die parlamentarischen Flure in Berlin. Und die Altkommunisten sind die drittstärkste Kraft im deutschen Parlament - 25 Jahre nach dem Mauerfall.

Frage: Zuvor waren sie viertstärkste Partei.

NIEBEL: Wenn es zur Großen Koalition kommt, wird Gregor Gysi Oppositionsführer, und die Linke erhält dann den Vorsitz im Haushaltsausschuss. Auch das wird die Republik prägen. Ich habe schon am Wahlabend gesagt - und das meine ich auch so: Ich finde es beängstigend, dass es in diesem Land mehr Kommunisten als Liberale gibt.

Frage: Man könnte auch sagen, anders als die FDP konnte die Linke ihr Wählerpotenzial mobilisieren.

NIEBEL: Ja, in den Ost-Bezirken von Berlin hat die Linke ihre Direktmandate geholt. Das stimmt.

Frage: In Baden-Württemberg haben Sie mit 6,2 Prozent eigentlich noch ganz gut gepunktet.

NIEBEL: Nein, wir haben besser abgeschnitten als in den anderen Bundesländern, aber trotzdem massiv an Stimmen verloren. Wir sind noch 1,0 Prozentpunkte besser als in Nordrhein-Westfalen. Wir sind deutlich besser als in Niedersachsen. Das ist alles nett. Und wir waren beim Bundeswahlleiter um 23 Uhr bei 4,96 Prozent - dann wurde der Osten ausgezählt. Dort sind wir viel zu schwach. Das ist natürlich vernichtend. Das war eine schwere Niederlage, die wir jetzt aufarbeiten müssen. Das soll kein Scherbengericht werden. Aber wenn man sich nicht selbst klar wird, was die Gründe für dieses Ergebnis sind, dann wird man auch in Zukunft nicht wieder erfolgreich sein. Und das ist ja der Plan, dass wir uns wieder so aufstellen, in vielen kommunalen Parlamenten, in den Landtagen, dass wir beim nächsten Mal dann wieder erfolgreich und im Deutschen Bundestag vertreten sein werden.

Frage: Wo sehen Sie Ihre eigene Rolle in der FDP der Zukunft?

NIEBEL: Ich war immer ein politischer Mensch. Ich werde immer ein politischer Mensch bleiben. Ich bin hier in der Kurpfalz Bezirksvorsitzender der FDP. Ich kann mir sehr gut vorstellen, auch in der Bundespartei weiter mitzuarbeiten. Das muss jetzt erst einmal alles wachsen.

Frage: Lassen Sie uns ein bisschen spekulieren: Angenommen, Angela Merkel bekommt weder mit SPD noch Grünen eine Koalition zustande - und es käme zu Neuwahlen. Das wäre doch ein Rettungsszenario für die FDP, weil Ihre Partei dann vermutlich wieder in den Bundestag gewählt würde?

NIEBEL: Wenn es jetzt tatsächlich nicht zu einer Regierungsbildung kommt, weil die Kraft der anderen Parteien dazu nicht ausreicht, dann ist das die erste Chance der FDP, wieder dem nächsten Bundestag anzugehören. Davon bin ich fest überzeugt.

Frage: Wissen Sie schon, was Sie selbst beruflich machen werden, wenn Sie kein Minister mehr sind?

NIEBEL: Ich bin amtierender Bundesminister, bis es einen Nachfolger gibt. So lange werde ich diese Aufgabe machen. Ich halte es für falsch, in dieser Zeit hektisch irgendwelche Planungen durchzuführen. Ich habe spezielle Vorstellungen, was sich entwickeln könnte, was spannend wäre, was mich reizen würde. Aber ich denke, ich sollte dieses Amt jetzt ordnungsgemäß zu Ende führen, um es zu übergeben. Danach durchatmen - und weitermachen.

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