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Österreichs Entscheidung für Obergrenzen ist eine Verzweiflungstat

Alexander Graf LambsdorffAlexander Graf Lambsdorff fordert ein Umdenken in der europäischen Asylpolitik
26.01.2016

Die österreichische Regierung hat sich für feste Flüchtlingsobergrenze entschieden. Alexander Graf Lambsdorff stellt klar: Diese Maßnahme sei eine Verzweiflungstat und nicht praktikabel. "Weder das Asylrecht noch die Genfer Flüchtlingskonvention kennen solche Kontingentlösungen zur Aufnahme von Flüchtlingen", unterstrich der Vizepräsident des EU-Parlaments im Interview mit "Focus Online". Die Entscheidung aus Wien sende jedoch auch ein Signal, dass die Aufnahmefähigkeit nicht unbegrenzt sei – und könnte womöglich zu Kursänderungen in der europäischen Asylpolitik führen.

Insbesondere die Bundeskanzlerin müsste aus Sicht des Freidemokraten ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik einleiten. "Frau Merkel ist eine Getriebene ihrer eigenen chaotischen Politik. Erst hat sie die Grenzen aufgerissen, ohne vorher in Wien, Paris oder Warschau anzurufen. Danach aber fordert sie europäische Solidarität genau von denen ein, die sie vorher links liegen gelassen hat", kritisierte Lambsdorff.

Im Interview mit n24 kritisierte er, Angela Merkel locke Menschen aus aller Welt nach Deutschland: "Ich will mir nicht vorstellen, was passiert, wenn sich das bis nach Afrika rumspricht."

Zur Senkung der Flüchtlingszahlen müssten die Fluchtursachen stärker bekämpft werden, unter anderem durch eine diplomatische Lösung für Syrien, so der Freidemokrat. Außerdem müsste die Rückkehrpflicht bei denen, die nicht bleiben dürfen, konsequent durchgesetzt werden. Darüber hinaus brauche es dringend mehr Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, um den Antragsstau abzubauen, und schnelle finanzielle Hilfe für die Kommunen, die die Last vor Ort schultern müssten.

 

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Herr Lambsdorff, die österreichische Regierung hat beschlossen, in diesem Jahr maximal noch 37.500 Flüchtlinge aufzunehmen und bis 2019 insgesamt 127.500. Was halten Sie als Europa-Politiker von dieser Entscheidung?

Dass nationale Regierungen sich nicht anders zu helfen wissen, als zu solchen Maßnahmen zu greifen, zeigt, dass die bisherige Politik gescheitert ist. Das ist eine Verzweiflungstat.

Kann die Einführung einer solchen Obergrenze überhaupt gelingen? Und ist sie legal?

Die österreichische Entscheidung ist nicht praktikabel, und legal ist sie schon gar nicht: Weder das Asylrecht noch die Genfer Flüchtlingskonvention kennen solche Kontingentlösungen zur Aufnahme von Flüchtlingen. Aber die Entscheidung aus Wien sendet ein deutliches Signal, dass die Aufnahmefähigkeit nicht unbegrenzt ist. Dieses Signal könnte sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Griechenland womöglich dazu bringen, ihren Kurs in der Flüchtlingskrise zu ändern.

Auf die Bundeskanzlerin wächst jetzt der Druck aus der eigenen Partei und aus der CSU, ebenfalls eine Obergrenze einzuführen oder die Grenzen zu schließen. Bis jetzt stemmt sie sich dagegen. Kann Angela Merkel diesen Kurs dauerhaft durchsetzen?

Frau Merkel ist eine Getriebene ihrer eigenen chaotischen Politik. Erst hat sie die Grenzen aufgerissen, ohne vorher in Wien, Paris oder Warschau anzurufen. Danach aber fordert sie europäische Solidarität genau von denen ein, die sie vorher links liegen gelassen hat.

Wie meinen Sie das?

Dass jetzt auch der Exportweltmeister Deutschland, der am meisten von der Politik der offenen Grenzen profitiert hat, ernsthaft Grenzschließungen erwägen muss, ist schon ein Scheitern. Eine Grenzschließung hätte dramatische Folgen, unter denen die Wirtschaft, der Tourismus, aber auch die Bürger zu leiden hätten. Nicht zuletzt würde damit auch die Reisefreiheit eingeschränkt, eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union.

Was muss die Bundesregierung tun, damit es nicht zu Grenzschließungen kommt?

Eines ist klar: Wir müssen die Flüchtlingszahlen senken. Dazu ist es wichtig, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Zur Stabilisierung Syriens brauchen wir eine diplomatische Lösung. Die Bundesregierung schickt zwar Tornados, aber politisch ist sie bisher unter dem Radar durchgeflogen. Außerdem muss die Bundesregierung deutlich machen, dass in der Flüchtlingskrise die Grenze unserer Leistungsfähigkeit erreicht ist. Dieses Signal muss man an diejenigen senden, die noch kommen wollen. Wir beobachten, dass der Migrationsdruck aus Afghanistan und Pakistan steigt. Und ich will mir gar nicht ausmalen, was geschieht, wenn sich die Merkelsche Politik bis nach Afrika herumspricht.

Wenn man die Grenzen offenhalten und keine Obergrenzen will – was könnten weitere Maßnahmen sein, um die Flüchtlingszahlen zu senken?

Es gibt praktikable Lösungsansätze: Mehr Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, schnelle finanzielle Hilfe für die Kommunen, die die Last vor Ort schultern müssen, für die Flüchtlinge vorübergehender Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention statt Daueraufenthalt nach dem Asylrecht, viel stärkere diplomatische Anstrengungen zur Stabilisierung Syriens, Durchsetzung der Rückkehrpflicht bei denen, die nicht bleiben dürfen und vieles andere mehr. Aber der GroKo fehlt ganz offenbar die Kraft, aus ihrem Dauerstreit auszubrechen und endlich ein zusammenhängendes Lösungskonzept vorzulegen und in die Tat umzusetzen.

Was sehen unsere europäischen Partner die Rolle Deutschlands in der Flüchtlingskrise? Tritt die Kanzlerin ihnen gegenüber richtig auf?

Unsere südlichen Nachbarn Österreich, Slowenien und Kroatien fragen sich, wie es denn sein kann, dass Frau Merkel alleine beschließt, den dauerhaften Zustrom von Flüchtlingen willkommen zu heißen. Das hat doch ganz dramatische Auswirkungen für alle unsere Nachbarn. Die Bundesregierung muss mit solchen Alleingängen aufhören. Die Europäische Kommission, das Parlament und die europäischen Partnerländer müssen eingebunden werden.

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