22.02.2017FDPArbeit

PAQUÉ-Gastbeitrag: Sehnsucht nach dem Werkstor

Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Karl-Heinz Paqué schrieb für die „Welt“ (Mittwoch-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Der kranke Mann Europas – so wurde Deutschland vor über einem Jahrzehnt genannt. Arbeitslosigkeit in Rekordhöhe, Defizite in den Haushalten, ein überlasteter Sozialstaat. Es folgten die Reformen der Agenda 2010. Sie waren mitverantwortlich für die Rückkehr der Nation in die Spitzengruppe der globalen Wirtschaftskraft. Selbst die Weltfinanzkrise 2008/9 konnte diese Renaissance des Landes nicht aufhalten. Im Zentrum des Wiederaufstiegs stand der Arbeitsmarkt. Die Beschäftigung stieg auf historischen Höchststand, die Arbeitslosigkeit wurde halbiert. Selbst viele Langzeitarbeitslose und Minderqualifizierte fanden wieder eine Arbeit, gerade weil der Arbeitsmarkt ein Stück weit liberalisiert worden war. Wohlgemerkt: Die Regulierung und soziale Absicherung ist noch immer auf einem Niveau, von dem Amerikaner und Briten nur träumen. Aber die größeren Anreize zur Arbeitsaufnahme wirkten, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erst jüngst in einer Studie nachgewiesen hat. Dank der Knappheit an Arbeitskräften verbesserte sich schließlich auch die Qualität der Arbeitsverträge. In jüngerer Zeit ging die Befristung der Beschäftigung zurück, die Sicherheit der Arbeitsplätze nahm zu und auch die Löhne steigen wieder – ganz ohne staatliche Eingriffe, allein durch die verbesserte Arbeitsmarktlage, die den Arbeitgebern genug Anreize bietet, ihre wertvollen Arbeitskräfte zu motivieren und an sich zu binden. Genau das war das Ziel der früheren Reformen. Es ist jetzt weitgehend erreicht.

Ausgerechnet jetzt kommt aber Martin Schulz auf die Idee, das Fundament der damaligen Reform ein Stück weit einzureißen. Er will in wesentlichen Punkten zurück zur alten Welt: weniger Anreize zur Arbeitsaufnahme, bürokratische Hemmnisse gegen Befristung, selektive Ausdehnung des Kündigungsschutzes. Er will damit der Arbeitnehmerschaft in Deutschland imponieren – die Bundestagswahl im September fest im populistischen Visier. In Wirklichkeit gefährdet er deren Zukunft, weil er die großen Herausforderungen unserer Zeit völlig verkennt. Diese lauten: Alterung, Digitalisierung und Globalisierung. Zwischen 2020 und 2035 wird die riesige Generation der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Sie bildet mit ihrem Wissen das technologische Rückgrat unseres Landes. Genau da liegt der Engpass der Zukunft.

Wir müssen alle Kräfte aufbieten, um diese Herausforderung zu bewältigen, damit die Innovations- und Wachstumskräfte der deutschen Wirtschaft erhalten bleiben. Dazu braucht es weiter die richtigen Anreize am Arbeitsmarkt: Arbeit, Bildung und Leistung müssen sich lohnen. Es geht um die Motivation der Menschen, in die digitalisierte Arbeitswelt hineinzuwachsen und erfolgreich ihren Platz in der globalisierten Welt von Industrie 4.0 und digitalisierter Dienstleistungen zu finden. Das kann aber nur gelingen, wenn man Arbeitnehmern und Arbeitgebern möglichst viel Freiheit zur Gestaltung der Arbeitsverhältnisse lässt. Eine Rückkehr in die altindustrielle Welt des Werkstorkapitalismus mit durchorganisierten Schichtbetrieb und genormtem Arbeitsvertrag ist eine Illusion. Und zwar eine gefährliche. Wer den Menschen vorgaukelt, nun könne man bei derzeit niedriger Arbeitslosigkeit wieder zurück in die gute alte Zeit, der wird ihnen den Weg in die Zukunft verstellen.

Deutschland kann dann ganz schnell wieder zum kranken Mann Europas werden: mit chronischer Wachstumsschwäche und hoher Langzeitarbeitslosigkeit von Menschen, die den Einstieg in die Beschäftigung nicht finden, weil die Türen mit bürokratischen Barrikaden zugestellt sind. Martin Schulz sollte den Bürgen keine Angst machen, sondern Mut. Und der beste Weg zur Bekämpfung prekärer Verhältnisse ist eben eine dynamische und innovative Wirtschaft. Die Sozialdemokraten täten gut daran, sich dies klarzumachen, bevor sie mit einem falschen und fatalen Gepäck in den Wahlkampf ziehen.

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