20.05.2019FDPFDP

TEUTEBERG-Interview: Der FPÖ-Skandal ist über Österreich hinaus eine Mahnung

Die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg gab „Focus Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Margarete van Ackeren. 

Frage: Wie ist das für Sie: Wenn Sie im Radio hören „FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg“, zucken Sie noch überrascht zusammen, oder klingt das für Sie nach drei Wochen im Amt schon vertraut?

Linda Teuteberg: Beides. Es klingt noch ungewohnt, aber nicht unangenehm. Und allmählich wird es auch vertrauter.

Frage: Wenn man zu ernsten Anlässen ein Foto von Ihnen sucht, findet man fast nur Bilder, auf denen Sie lächeln. Können Sie auch richtig sauer oder wütend werden?

Teuteberg: Ganz bestimmt.

Frage: Die „Zeit“ nannte Sie neulich „Seelenstreichlerin“ …

Teuteberg: … hm.

Frage: Eine Frau hat übrigens den Text geschrieben. Fühlen Sie sich mit dem Etikett getroffen?

Teuteberg: Wenn das auf einen positiven Effekt zielt, der von unserem Parteitag ausging, finde ich das in Ordnung. Aber ich glaube nicht, dass ich so vollständig beschrieben bin. Mir ist beides wichtig: Politik muss man mit dem Verstand betrachten, um Lösungen zu finden. Aber Instinkt und Gefühl sind ebenfalls wichtig. Am Ende zählt: Wir müssen Menschen erreichen und überzeugen, wenn wir unsere Inhalte auch durchsetzen wollen.

Frage: Wie ist das überhaupt bei Ihnen: Sind Sie eher eine Generalsekretärin fürs Rollenfach „Florett“ oder „Säbel“?

Teuteberg: Eher das Florett. Aber das kann auch sehr präzise und schneidend sein. Ich scheue mich jedenfalls nicht, Widerspruch zu provozieren. Unnötige Härte dient allerdings nicht der Sache.

Frage: Bisher war oft die Rede von der „One-Man-Show“ des Christian Lindner. Kommt jetzt die „One-Man-one-woman-Show“ im Doppel mit Ihnen?

Teuteberg: Naja, in der außerparlamentarischen Opposition ergibt es sich zwangsläufig, dass der Parteichef eine besonders starke Rolle spielt. Das liegt auch in der Medien-Logik. Es ist gerade Christian Lindners Anliegen, dass wir uns breiter aufstellen, so dass wir mit vielen Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Dass wir einen starken Vorsitzenden haben, ist eine gute Sache.

Frage: Wie muss man sich die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Christian Lindner vorstellen?

Teuteberg: Wir stimmen uns eng ab und teilen uns die Sachen auf. Die Details entwickeln sich gerade noch. Ich bin ja mitten im Europa-Wahlkampf eingestiegen. Da konnten wir noch nicht alles umfassend regeln.

Frage: Wer neu im Amt ist, hat ja meist richtig viel Schwung und weiß, was er wuppen möchte. Was ist Ihr wichtigstes Anliegen?

Teuteberg: Ich möchte, dass wir deutlich hörbar sind auch in Debatten, in denen man uns bisher weniger stark wahrnimmt.

Frage: Die FDP als soziale Kraft?

Teuteberg: Wir haben tolle Sozialpolitiker, das ist nicht das Problem. Aber auch andere Teile unseres Programmes kommen noch nicht so zur Geltung, wie sie es verdient hätten. Daran müssen wir arbeiten, denn die FDP bietet liberale Antworten auf alle politischen Fragen an.

Frage: Sie haben bei Ihrer Wahl fast 93 Prozent bekommen. Das ist ohnehin viel. Für eine streitgewöhnte Partei wie die FDP ist das geradezu grandios. Wird die FDP jetzt zahmer, freundlicher? Ändert sich da klimatisch was?

Teuteberg: Ich habe mich sehr gefreut über diesen klaren Vertrauensbeweis. Mich motiviert dieses Ergebnis jedenfalls. Sozialistische 100-Prozent-Ergebnisse passen ohnehin nicht zu uns.

Frage: In gut einer Woche steht die Europawahl an. Haben Sie Angst vor einem europaweiten Siegeszug der Populisten?

Teuteberg: Die Sorge ist berechtigt. Deshalb ist das auch eine so wichtige Wahl. Ich finde aber nicht, dass allein die Verwendung des Begriffes „Populist“ uns wesentlich weiterbringt.

Frage: Aber es gibt sie doch, die Vereinfacher, die vermitteln, dass – von Migration bis zu den sozialen Fragen – in Europa alles ganz leicht zu managen wäre, wenn da nur mal einer richtig aufräumen würde.

Teuteberg: Ja. Zum Stil der Auseinandersetzung kann man sicher auch vieles kritisch anmerken. Aber ich möchte mich nicht zu lange bei der Frage aufhalten und aufzählen, weshalb Vorschläge anderer falsch sind. Wir müssen uns mit jeder politischen Kraft inhaltlich auseinandersetzen. Wir müssen mit Argumenten kontern. Der Stempel „Populist“ wird oft zu schnell aufgedrückt. Die Bezeichnung wird aber so zum Totschlag-Argument. Das hilft nicht wirklich weiter.

Frage: Ein Wort noch zu Österreich ...

Teuteberg: Das sind ungeheuerliche Vorgänge. Rücktritte und Neuwahlen als Konsequenz sind folgerichtig. Zudem zeigt sich hier die Bedeutung des unabhängigen Journalismus - für die Veröffentlichung und auch die weitere Aufklärung der Hintergründe.

Frage: Glauben Sie, die Vorgänge um Heinz-Christian Strache haben über Österreich hinaus Bedeutung?

Teuteberg: Ja. Der Vorgang ist über Österreich hinaus eine deutliche Mahnung, dass viele, die die Werte und Institutionen unserer Demokratie bekämpfen oder verächtlich machen, vor allem ganz eigennützige Absichten verfolgen. Der falsche Patriotismus, den viele Rechtspopulisten vor sich hertragen, ist hier erstmals in voller Schäbigkeit entlarvt worden. Es ist nicht patriotisch oder freiheitlich, sein eigenes Land, seine Presse oder seine öffentlichen Aufträge an fremde Mächte zu verkaufen. Und ich glaube, dass das kein Einzelfall ist. Das sollten sich alle klarmachen, die kommenden Sonntag zur Wahl aufgerufen sind.

Frage: Dann werden wir mal konkret: Wo stehen Sie beim Thema Zuwanderung?

Teuteberg: Wir müssen darüber reden, wie wir Migration stärker rechtsstaatlich unter Kontrolle bekommen. Das Grundrecht auf Asyl ist nicht verhandelbar. Es geht hier aber nur um relativ wenige Menschen, die individuell verfolgt sind. Wer einen Asylanspruch hat, erhält Schutz. Und es muss auch das Bestmögliche für Integration getan werden. Steht aber nach einem rechtsstaatlichen Verfahren fest, dass es diesen Anspruch nicht gibt, dann muss die Ausreisepflicht konsequent durchgesetzt werden.

Frage: Das schiebt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ja gerade mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ an.

Teuteberg: Naja, das geht in die richtige Richtung. Aber der Bund muss viel mehr Verantwortung übernehmen. Ich kann bei Bürgern nur Akzeptanz für Flüchtlinge erreichen, wenn sie den Eindruck haben, dass es wirklich entscheidend ist, ob Menschen Schutz brauchen oder nicht.

Frage: Manchmal klingen Sie fast härter als Seehofer.

Teuteberg: Ich vergleiche mich nicht mit dem Bundesinnenminister. Da geht es auch nicht um Härte. Es geht um die Verlässlichkeit des Rechtsstaates, für die wir uns einsetzen, und dazu gehört es, konsequent zu sein. Wenn jeder hierbleibt, der einmal eingereist ist, untergräbt das Vertrauen.

Frage: Also: mehr durchgreifen?

Teuteberg: Ja, aber natürlich ist das nicht unser einziger Ansatzpunkt. Der Rahmen ist klar: Wir stehen zum Asylrecht. Wir stehen auch zum zeitweiligen Schutz für Kriegsflüchtlinge nach der Genfer Konvention. Zugleich wollen wir Möglichkeiten der Einwanderung qualifizierter Kräfte mit einem klaren, praxistauglichen Punktesystem schaffen. Wer aber keinen dieser drei Rechtsgründe erfüllt, der muss unser Land wieder verlassen. Auch hier erweist sich das Kompetenzen-Gewirr zwischen Bund und Ländern allerdings als hinderlich.

Frage: Ein Thema, das immer mehr Menschen umtreibt, ist der Klimawandel. Die Freitags-Demonstrationen der jungen Leute, die die Folgen des Klimawandels geradezu herausschreien, werden allmählich zur Routine. Hat die FDP Umweltfragen in den letzten Jahren vernachlässigt?

Teuteberg: Das kann man unterschiedlich bewerten.

Frage: Also: Ja.

Teuteberg: In jedem Fall wurden wir hier zu wenig wahrgenommen.

Frage: Was ist aktuell die Antwort der FDP?

Teuteberg: Es steht außer Frage, dass wir die Klimaziele einhalten wollen. Pathos allein und ein großer moralischer Gestus bringen nichts. Wir müssen über das Wie reden. In Deutschland wird sehr viel Geld für Klimaschutz aufgewendet, aber wenig erreicht. Auch wir als Freie Demokraten wollen CO2 ein Preisschild umhängen. Aber wir wollen ein anderes Instrument.

Frage: Ein anderes als die CO2-Steuer?

Teuteberg: Genau. Wir setzen auf Zertifikatehandel. Da, wo er genutzt wird, ist er wirksam, weil man damit die CO2-Menge begrenzt. Er wird aber noch nicht konsequent und umfassend genug angewendet. Wir wollen das System ausweiten auf Verkehr und Wärme. Wirtschaft und Verbraucher können und werden dann entscheiden, wo sich Investitionen lohnen, um weniger CO2 auszustoßen, oder wo man Emissionsrechte besser zukauft. Das ist ein marktwirtschaftlicher Umweltschutz, der zielgenauer und für unsere Volkswirtschaft verträglicher ist.

Frage: Und was ist der Unterschied zu einer Steuer?

Teuteberg: Eine Steuer macht alles nur undifferenziert und auch unsozial teurer, ohne über Effizienzanreize und Mengenbegrenzung bei Emissionen zu steuern.

Frage: In ihrem Wahlprogramm fordern Sie eine gesamt-europäische Energiewende. Aber wenn man hier erst alle zusammentrommeln muss, könnte das ein St.-Nimmerleinstag-Projekt werden.

Teuteberg: Wir müssen beim Klimaschutz größer und deshalb mindestens europäisch denken. Mit nationalen Schritten erreicht man hier nicht viel. Wir brauchen die Zusammenarbeit, um wirklich etwas zu bewegen. Auch hier muss Europa an einem Strang ziehen.

Frage: Die FDP schmiedet zur Europawahl eine Allianz mit Emmanuel Macron. Frankreichs Präsident hat eine betörende Europa-Begeisterung. Aber steht er nicht in der Sache zu weit links, um FDP-kompatibel zu sein?

Teuteberg: Wir haben mit Macron und anderen liberalen Kräften in Europa ein Bündnis geschlossen, weil wir beherzt Probleme angehen wollen, die nur in Europa gelöst werden können. Es gibt große Gemeinsamkeiten mit Macron und auch Unterschiede. Aber davon lassen wir uns nicht ins Bockshorn jagen.

Frage: Ist Ihnen die Agenda Macrons, der für alle Arbeitnehmer eine soziale Grundsicherung einführen und europaweiten Mindestlohn gewährleisten will, wirklich näher als die der konservativen Führungsleute?

Teuteberg: Zu den Themen Arbeitslosenversicherung und Mindestlohn haben wir andere Vorstellungen als Macron. Zur Frage der finanziellen Eigenverantwortung übrigens auch. Das werden wir besprechen. Aber sein Anliegen einer stärkeren Zusammenarbeit in der Außenpolitik finden wir sehr zentral. Auch in der Sicherheitspolitik und bei Migration und Energie gibt es viele Schnittmengen mit Macron oder auch dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte. Deshalb ziehen wir an einem Strang.

Frage: Manfred Weber und Frans Timmermans treten offiziell als Spitzenkandidat an. Die ungekrönte liberale Kandidatin, Margrethe Vestager, nicht. Wäre es nicht undemokratisch, wenn am Ende die Staats- und Regierungschefs im Hinterzimmer den neuen EU-Kommissionspräsidenten ausknobeln würden?

Teuteberg: Es geht um demokratische Mehrheiten für fähige, geeignete Personen. Margrethe Vestager ist in Europa bekannt. Jeder kann sich ein Bild machen von ihrem Mut als Kommissarin. Sie hat bewiesen, dass sie das scharfe Schwert des Wettbewerbs- und Kartellrechts schwingen kann und sich nicht einschüchtern lässt von großen Konzernen. Über die Personalvorschläge in Europa werden am Ende die Parlamentarier entscheiden. Für uns ist klar: Vestager als Kommissionspräsidentin wäre die beste Wahl. Mit einer Stimme für die FDP können auch Wähler in Deutschland sie unterstützen.

Frage: Ab Juni stehen die Wahlen im Osten – in Brandenburg, Sachsen und Thüringen – im Mittelpunkt. Sie selbst kommen aus Brandenburg. Beim Mauerfall waren Sie im dritten Schuljahr. Verstehen Sie trotzdem die Ostdeutschen besser als mancher Westdeutsche?

Teuteberg: Das würde ich schon sagen. Von einer Diktatur nimmt man als Kind mehr wahr als von einem freiheitlichen System.

Frage: Wie meinen Sie das?

Teuteberg: Ein Kind merkt schnell, wenn man nicht über alle Themen reden kann. Und es spürt auch, wenn der Staat missbilligt, dass man zur Christenlehre geht.

Frage: Sie sind evangelisch.

Teuteberg: Genau. Und auch ein Kind bekommt mit, wenn Verwandtenbesuche nur von West nach Ost stattfinden, aber nicht umgekehrt. Ich denke schon, dass ich eine Sensibilität für solche ostdeutschen Prägungen mitbringe. Und auch die Folgen der Einheit kenne ich natürlich aus dem unmittelbaren Umfeld.

Frage: In Ihrer Antrittsrede haben Sie gesagt „Ostdeutschland braucht keine milden Gaben“. Wie meinten Sie das?

Teuteberg: Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass Ostdeutschland nicht grundlegend andere politische Probleme hat als der Rest der Republik. Wir brauchen gute, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland. Viele Fragen stellen sich in Ostdeutschland aber schneller, dramatischer, sichtbarer und vor allem unmittelbarer. Durch die Abwanderung vieler junger Menschen in den 90er Jahren ist hier beispielsweise die Alterung der Gesellschaft schon jetzt stärker spürbar.

Frage: Und was schließen Sie daraus?

Teuteberg: Wir brauchen dringend Fortschritte bei der Digitalisierung, vor allem auch in den ländlichen Regionen. Viele Menschen wollen eine zweite Ausbildung oder ein zweites Studium absolvieren, wofür wir das von uns entwickelte Midlife-BaföG vorschlagen. Und natürlich brauchen die Kohle-Regionen Unterstützung. Die aber sollte nicht in erster Linie über staatliche Subventionen gewährt werden. Einfach nur mehr Behörden nach Ostdeutschland zu bringen, reicht da nicht. Behörden sind kein Ersatz für Wirtschaft. Wir dürfen uns nicht vor der Frage drücken, wie wir Wertschöpfung organisieren. Wir müssen für die Kreativen, die schon da sind, den Osten noch attraktiver machen.

Frage: Klingt etwas theoretisch.

Teuteberg: Konkret: In Cottbus haben wir die Technische Universität. Es gibt hier Kooperationen mit Rolls-Royce. Wir brauchen attraktive Angebote dieser Art, damit junge Leute nicht abwandern. Gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft helfen, damit leichter Unternehmen gegründet oder auch erweitert werden können.

Frage: In Deutschland kommt Zug um Zug eine neue Generation als Parteimanager ans Ruder. Sie sind 38, Ihr Kollege von der CDU, Paul Ziemiak, ist 33. Michael Kellner von den Grünen und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (SPD) sind mit 42 beziehungsweise 41 Jahren fast Oldies. Gibt es etwas, was die jüngeren Führungsleute der demokratischen Parteien verbindet?

Teuteberg: Einen klaren Wunsch habe ich da schon: Dass wir in der Sozial- und Rentenpolitik einen Kurs fahren, der für alle Generationen fair und nachhaltig ist.

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