08.11.2017FDPSteuern

THEURER-Interview: Konsequenzen aus den Paradise Papers

Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Philipp May.

Frage: Herr Theurer, der ehemalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück hat damals mit der Kavallerie gedroht, um der Steueroase Schweiz den Kampf anzusagen. Wird es Zeit, wieder die Pferde zu satteln?

Theurer: Als Sonderberichterstatter des Europäischen Parlaments habe ich ja für die beiden Berichte zur Aufklärung der Lux-Leaks-Affäre Verantwortung gezeichnet. Und das, was jetzt durch die 13,4 Millionen Dokumente über Paradise Leaks ans Tageslicht gekommen ist, bestätigt das, was wir damals schon wussten, dass nämlich durch die Kombination von unterschiedlichen Steuersystemen in Europa Schlupflöcher entstehen, die insbesondere von multinationalen, internationalen Konzernen genutzt werden können. Und die Antwort darauf in einem europäischen Binnenmarkt muss sein, dass es eine gemeinsame europäische verbindliche Gesetzgebung gibt. Das ist allerdings nach wie vor das Problem und es ist ja vorhin im Beitrag von Herrn Otto angesprochen worden. Ein Land wie zum Beispiel Großbritannien, aber auch die Niederlande sind da sehr, sehr skeptisch. Und wir wissen ja, dass die Anhänger etwa der Brexit-Bewegung, vor allen Dingen auch Nigel Farage, der ja selber aus der Finanzindustrie kommt, offensichtlich auch das im Hinterkopf hatten, als sie den Austritt Großbritanniens politisch vorangetrieben haben. Die wollten sich eben nicht verbindlich da auf Regeln einlassen. Die aber sind absolut notwendig.

Frage: Dann kommen wir mal direkt auf eines dieser Länder, die Sie gerade genannt haben: die Niederlande zum Beispiel. Die Niederlande, die haben über Jahre fleißig mitgeholfen, dass Konzerne wie Nike Milliarden an Steuern vermeiden zulasten anderer EU-Staaten wie Deutschland. Sie sind ja Verfechter des Wettbewerbs als FDP-Mann. Ist das noch legitimer Wettbewerb in der EU?

Theurer: Ich war ja der erste Abgeordnete im Europäischen Parlament, der die vollständige Aufklärung der Lux-Leaks-Affäre gefordert hat, gerade weil wir als Freie Demokraten der Meinung sind, es sollte einen Steuerwettbewerb geben, aber er muss fair sein. Und das zeigen ja jetzt auch diese Paradise Papers erneut, dass es nicht sein kann, dass der Bäckermeister in Berlin oder Karlsruhe seine Steuern bezahlt, aber andere internationale Konzerne es durch legale oder auch illegale Finanzkonstruktionen schaffen, ihre echte Steuerlast praktisch auf gegen null zu senken. Irland ist zum Beispiel da im Fokus, aber auch die Niederlande, und die Europäische Kommission hat ja zurecht auch die Niederlande aufgefordert, dieses Steuerschlupfloch zu schließen. Das wird auch gemacht, allerdings erst im Jahr 2020, und ich finde es richtig, dass die Wettbewerbskommissarin, die Liberale Margrethe Vestager, da jetzt die Staaten an den Haken nimmt.

Frage: Dann machen wir es doch mal ganz konkret. Wo hört der Wettbewerb auf und wo fängt ganz konkret Steuerdumping an?

Theurer: Das ist ja genau der Punkt, dass durch diese Kaskaden-Konstruktionen es offensichtlich Superreichen und Konzernen gelingt, ihre Steuerlast zu drücken und Gewinne steuerfrei in Oasen zu transportieren, und das muss beendet werden. Das geht aber nur in der Europäischen Union, weil Steuerfragen nicht europäisch vergemeinschaftet sind, wenn alle nationalen Mitgliedsstaaten mitmachen, und genau das wollen wir. Das fordern wir auch ein. Das war auch Gegenstand der Jamaika-Gespräche. Und wir als FDP fordern, dass hier verbindliche Regeln geschaffen werden, weil wir diese Praktiken nicht für richtig halten.

Frage: Das heißt, mit ganz vielen Kaskaden-Gesellschaften Steuern zu vermeiden, das ist nicht in Ordnung. Aber zum Beispiel die Gewerbesteuer auf null zu senken, das ist in Ordnung?

Theurer: Nein, das ist in Deutschland nicht möglich, die Gewerbesteuer auf null zu senken.

Frage: Aber in anderen Ländern, wissen wir ja.

Theurer: Zum Beispiel in den Kanalinseln, in Jersey und Guernsey ist der Steuersatz für dort ansässige Unternehmen null. Jetzt hat die EU keinen Einfluss auf diese, ja nicht der EU angehörigen Jurisdiktionen. Und sie sind genau an dem Punkt, ich habe als Berichterstatter für die FDP gefordert, eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuerbasis in Europa und eine Regelung der Besteuerung von Gewinnen, die die EU verlassen. Unsere Forderung ist, dass jeder Gewinn, der die EU verlässt, mindestens einmal besteuert ist. Damit wäre das Hauptproblem gelöst.

Frage: Also braucht es tatsächlich eine gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik innerhalb der EU? Das ist ja mehr Integration.

Theurer: Ja. In dem Fall sind wir der Meinung, dass die Steuerbasis einheitlich festgelegt werden muss, damit die nicht manipuliert werden kann. Dann kann der Wettbewerb über die Steuersätze stattfinden. Richtig ist aber auch, dass die Mitgliedsstaaten sich hier nicht einig sind. Das heißt, die Nationalstaaten nehmen das bewusst in Kauf. Und jetzt stellt sich die Frage, können denn die Mitgliedsstaaten selber, kann Deutschland das alleine regeln, und das ist in einem Binnenmarkt mit der Freiheit des Kapitalverkehrs nicht mehr möglich, und deshalb muss hier eine EU-Regelung dringend her.

Frage: Sie (die FDP) liebäugeln ja mit dem Finanzministerium. Was würden Sie tun, um da Druck zu machen?

Theurer: Ich bin der Meinung, dass in das Finanzministerium an die Spitze natürlich auch wieder Politiker müssen, die genau einen fairen Steuerwettbewerb wollen und die mit dafür sorgen, dass diese Konstruktionen beendet werden. Weil es kann nicht sein, dass die Finanzwirtschaft da praktisch sich hingibt zu solchen Finanzkonstruktionen. Ich bin der Meinung, dass es jetzt dringend geboten ist, dass die Finanzwirtschaft wieder eine dienende Funktion der Realwirtschaft einnimmt und dass auch Finanzinstitute sich nicht an solchen windigen Konstruktionen beteiligen.

Frage: Aber welche Hebel hat denn Deutschland, um zum Beispiel Druck auf Irland zu machen? Das ist ja eines dieser Länder, das sich dagegen sträubt.

Theurer: Da hat die Bundesrepublik nur einen begrenzten Einfluss. Deshalb war es richtig, dass die liberale Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Irland verpflichtet hat, 13 Milliarden von Apple zurückzufordern. Die Paradise Papers zeigen nun, dass Apple sofort reagiert hat und die Sitze auf die Isle of Man und auf Jersey und Guernsey verlegt hat. Das heißt, insbesondere US-amerikanische Konzerne fahren ja dieses System, und da sitzen dann mächtige Wettbewerber auf steuerfreiem Cashflow und machen damit eine Markt-Gewinnungsstrategie, und damit sind wir mitten drin auch natürlich in einer internationalen Problematik. Man muss gleichzeitig auch dafür sorgen, dass diejenigen, die in Deutschland, die in der EU sitzen und im Wettbewerb mit anderen stehen, auch durch eine Entlastung der Steuerlast dann im Wettbewerb bestehen können, weil es nicht sein kann, dass US-amerikanische Konzerne und andere, die auf den Steueroasen-Inseln sitzen, dann ihre Gewinne unbesteuert haben, während die anderen Steuern bezahlen, aus denen die Infrastruktur bezahlt wird. Das ist kein fairer Wettbewerb und das muss beendet werden.

Frage: Jetzt haben Sie es ja schon angesprochen: Der Brexit kommt, und das ist zumindest ein mögliches Szenario, das auch schon der scheidende oder schon abgedankte Finanzminister Wolfgang Schäuble entworfen hat, dass es möglicherweise mit Großbritannien zu einem Wettbewerb von Steuerdumping kommt. Sehen Sie dieses Szenario auch als Risiko?

Theurer: Die nicht der EU angehörenden Kron-Jurisdiktionen, die sind ja heute schon Steueroasen. Die Cayman-Inseln zum Beispiel, Isle of Man, Guernsey, Jersey, die britischen Jungferninseln werden immer genannt. Jetzt könnte es sein, dass Großbritannien insgesamt in diesen Steuerwettbewerb einsteigt. Und ja, in der Tat: Wenn man sich fragt, wer hat eigentlich die Brexit-Kampagne finanziert, dann kann man nicht ausschließen jedenfalls, dass Nigel Farage und die Brexit-Anhänger auch unterstützt wurden von den Steuervermeidern.

Frage: Im Zweifel sollte man dann aber auch eher auf Firmen wie Nike zum Beispiel verzichten in Europa. So selbstbewusst sollte man dann sein?

Theurer: Ob man darauf verzichten kann, wenn die Kunden und die Nachfrage das will, und Produkte angeboten werden, das ist sehr schwierig. Wir wollen als Freie Demokraten nicht die freie Wahl der Kunden einschränken, sondern wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen. Da ist bisher leider auch im US-Kongress ein politischer Fortschritt nicht zu erreichen gewesen und deshalb sollte die EU das machen, was sie selber tun kann, nämlich verbindliche Regeln etwa bei der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftssteuer-Basis schnellstmöglich verabschieden.

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