FDPDoppelinterview

Was heißt hier liberal?

Matthias Strolz und Christian Lindner Matthias Strolz und Christian Lindner im Doppelinterview
11.08.2015

Gipfeltreffen in Wien: Christian Lindner, Vorsitzender der FDP, und der Vorsitzende der österreichischen liberalen NEOS, Matthias Stolz sprechen im Doppelinterview mit der österreichischen "Zeit" über Gemeinsamkeiten und ihre neue Art Politik zu machen. Sie nehmen für die Liberalen in Anspruch, eine Revolution starten zu können. "Wir möchten nicht mehr, dass der Staat ein Magnet ist, der die Menschen anzieht. Wir wollen, dass er die Menschen in die Eigenverantwortung bringt, durch beste Bildung und Entlastung von Bürokratie. Das ist ein Paradigmenwechsel und dafür braucht es eine Art Revolution des Denkens", erklärt Christian Lindner.

Eine weitere Gemeinsamkeit der Schwesterparteien lautet nach Lindners Auffassung: "Wir versprechen keinem mehr als faire Regeln und die Möglichkeit, das Beste aus den eigenen Anlagen zu machen. Wer Subventionen für Unternehmer möchte oder einen erdrückenden Wohlfahrtstatt muss sich eine andere Partei suchen. Wer aber ein neues Geschäft oder eine Elterninitiative für Kinder gründen will, für den sind wir da, für den räumen wir dir Hürden weg. Wir vertrauen darauf, dass jeder der beste Experte für sein Leben ist. Dafür braucht es keine staatliche Nanny."

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

DIE ZEIT: Herr Strolz, Herr Lindner, sie beide treten mit dem Versprechen an, eine neue Art von Politik zu machen. Wie soll das gehen in einem System, das voller Zwänge ist? Sie können ja schlecht eine Revolution in Gang setzen.

Matthias Strolz: Wieso können wir keine Revolution starten?

Christian Lindner: Ich bin da der Meinung von Matthias. Wir möchten nicht mehr, dass der Staat ein Magnet ist, der die Menschen anzieht. Wir wollen, dass er die Menschen in die Eigenverantwortung bringt, durch beste Bildung und Entlastung von Bürokratie. Das ist ein Paradigmenwechsel und dafür braucht es eine Art Revolution des Denkens.

Was können wir von denen lernen?

Vergangene Woche scheiterte in Wien ein Asylgipfel und es blieb einzig die Frage, wen Erwin Pröll nun beschimpft hat.

Strolz: Wenn ein Landeshauptmann hustet, fällt der Vizekanzler aus dem Sattel, so kann es nicht weitergehen. Da wird es eben tatsächlich eine Revolution brauchen. Diese Bundesregierung inklusive aller Landesfürsten scheitert an der überschaubaren Frage der Unterbringung von Asylwerbern.

Da geht Ihnen der Hut hoch?
Strolz: Ja, diese Bundesregierung in Österreich zeigt Managementversagen auf breiter Basis. Die sind zu nichts zu gebrauchen und stecken in ihren Strukturen fest. Das aufzubrechen, dafür stehen wir.

Sie schmunzeln, Herr Lindner?

Lindner: Weil ich das nachvollziehen kann. Wir beobachten NEOS seit der Gründung sehr genau, natürlich auch immer mit der Frage verbunden: Was können wir von denen lernen? Das Unverkrampfte, Lockere und diese Authentizität – auch wenn die FDP im Gegensatz zu den NEOS natürlich eine Traditionspartei ist ...

Und seit Gründung der Bundesrepublik immer wieder in der Regierung saß.

Lindner: Da empfinde ich auch einen gewissen Stolz, ich will aus dem Erbe meiner Partei nicht austreten. An wesentlichen Wegmarken der Bundesrepublik wie der Bildungsexpansion und dem europäischen Binnenmarkt hat meine Partei maßgeblich mitgearbeitet. Ich bin auch ein großer Fan unseres politischen Systems, das viel mehr Wechsel ermöglicht als in Österreich. Hier können die Leute ja wählen was sie sollen und bekommen trotzdem fast immer dasselbe. Das unterscheidet die beiden Länder doch sehr.

Nach den Nationalratswahlen 2013 war Matthias Strolz nicht begeistert, wenn er mit der FDP verglichen wurde. Verstehen Sie das?

Lindner: Absolut. Die FDP, die 2013 abgewählt worden ist, hat mit NEOS nichts gemeinsam. Aber wir haben uns auf einen Weg der Selbstbefreiung von Ängstlichkeit und Opportunität gemacht, wir stellen nun ins Zentrum, was eine liberale Partei ausmacht.

Jeder ist der beste Experte für sein Leben

ZEIT: Sie haben 2011 in einem Artikel in der FAZ beschrieben, was Liberalismus bedeutet ...

Lindner: Das ist jetzt das Programm meiner Partei.

Darin kommen Schlagwörter vor wie marktwirtschaftliche Ordnung, Fairness oder Emanzipation. Das sind doch Allgemeinplätze, die fast jede Partei in Wien oder Berlin unterschreiben würde.

Lindner: Einspruch euer Ehren! Dass dem nicht so ist, sehen Sie an den breiten parlamentarischen Mehrheiten zur Rücknahme wesentlicher Elemente der sogenannten Agenda 2010 oder zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Wir Liberalen wollen den Einzelnen groß machen, nicht den Staat.
Strolz: Auch in Österreich sehen wir jeden Tag, dass eine liberale Partei braucht. Anfang Juli werden wir über das Staatsschutzgesetz abstimmen, mit dem ein Inlandsgeheimdienst geschaffen werden soll, der ohne parlamentarische Kontrolle arbeiten kann. Das ist ein Schlag ins Gesicht des Rechtsstaates. Der Bürger wird unter Generalverdacht gestellt. Der Staat weigert sich im Gegenzug selbst transparent zu werden.

Um den Ruf des Liberalismus ist es nicht zum Besten bestellt. Viele Wähler sehen in liberalen Parteien Lobbyorganisationen für Hoteliers, Industrie und Großkapital.

Lindner: Aber es stimmt nicht. Nehmen wir den Streit Taxi versus Uber. Die einen wollen das Taxigewerbe schützen, die anderen den Weg frei machen für Uber und Sozialstandards reduzieren. Wir schlagen uns auf keine Seite und sagen: Fairer Wettbewerb und die Kunden sollen dann entscheiden. Ich kann nicht die Verantwortung für die ganze Geschichte der FDP übernehmen und vielleicht war sie eine Zeit lang mal wirklich zu sehr pro Business. Heute sind wir eine pro Marktpartei. Wir versprechen keinem mehr als faire Regeln und die Möglichkeit, das Beste aus den eigenen Anlagen zu machen. Wer Subventionen für Unternehmer möchte oder einen erdrückenden Wohlfahrtstatt muss sich eine andere Partei suchen. Wer aber ein neues Geschäft oder eine Elterninitiative für Kinder gründen will, für den sind wir da, für den räumen wir dir Hürden weg. Wir vertrauen darauf, dass jeder der beste Experte für sein Leben ist. Dafür braucht es keine staatliche Nanny.

Eine liberale Partei muss ein guter Deal sein

Bei NEOS beschleicht einen manchmal das Gefühl, dass die liberalen Positionen etwas hintangestellt werden.

Strolz: Nein, aber ich kann nachvollziehen, dass man das Gefühl hat, wir wären weniger offensiv geworden. Wir waren tatsächlich mit den Tagesordnungen im Parlament beschäftigt und damit, dass wir dort keine Fehler machen. Jetzt gehen wir wieder in den Angriff über.

Wie oft tauschen sich Ihre Parteien aus?

Lindner: Es kommen regelmäßig Delegationen nach Wien und über unsere Abgeordneten im EU Parlament sind wir im täglichen Austausch. FDP und NEOS sind nicht in jedem Punkt einer Meinung, aber wir können viel voneinander lernen, unsere Kulturen nähern sich einander an. Die FDP war sehr traditionalistisch und wurde nun etwas lockerer. Selbst Cannabis wollen wir nun legalisieren, das wäre in der alten FDP undenkbar gewesen.

Herr Strolz, welche Lehren haben Sie für sich und die NEOS aus dem Wahlergebnis der FDP von 2013 gezogen, als die Partei aus dem Bundestag geflogen ist?

Strolz: Dass der liberale Gedanke die Gefahr in sich birgt, zu kopflastig zu sein und bei den Wählern nicht im Bauch ankommt. Eine liberale Partei muss ein guter Deal für die Menschen sein und das Gefühl muss sie auch vermitteln.
Lindner: Wir wurden 2013 nicht abgewählt, weil der Liberalismus so unpopulär ist. Der Hintergrund war, dass zentrale Wahlversprechen nicht eingehalten worden sind. Wir wollten die Entbürokratisierung des Steuerrechts und haben nicht das Finanzministerium bekommen.

Der Liberalismus und die Frauen

Was Ihre Parteien und die meisten andern liberalen Parteien der Welt eint, ist, dass Ihr Frauenanteil eine Katastrophe ist.

Lindner: Ach, bei euch auch?
Strolz: Ja, wir sind mit einem beschämend geringen Frauenanteil in den Nationalrat eingezogen, aber immerhin mit mehr Frauen als die Grünen bei ihrem Ersteinzug ins Parlament.

Also bitte, das war vor 29 Jahren.

Strolz: Ja, aber die hatten auch ein emanzipatorisches Anliegen. Wir selbst hatten in der Gründungsphase tatsächlich andere Themen im Vordergrund als die Frauenquote. Allerdings waren wir schockiert davon, haben mittlerweile starke Gegenmaßnahmen gesetzt und hatten etwa Spitzenkandidatinnen bei den EU-Wahlen in Vorarlberg, Oberösterreich und treten in Wien ebenfalls mit einer Frau an.

Sollte sich der Frauenanteil bei den NEOS trotzdem nicht erhöhen, können Sie sich dann eine verpflichtende Quotenregelung vorstellen?

Strolz: Wenn wir bei dem Thema keine Meter machen, kann ich mir das gar nicht aussuchen, dann werden wir über eine Quote diskutieren müssen. Als Freigeist bin ich natürlich kein Freund von Quoten. Aber das ist die letzte mir zur Verfügung stehende Maßnahme.

Herr Lindner, ist der Liberalismus für Frauen unattraktiv?

Lindner: Im Gegenteil. Der Liberalismus ist die Philosophie, die sich nicht am Geschlecht, am Alter oder der Herkunft festmacht, sondern jeden einzelnen mit auf den Weg nimmt. Er will dort Verkrustungen aufbrechen, wo Wenige ein Machtdiktat über Viele, zum Beispiel Frauen, ausüben wollen. In den 1970er Jahren wirkten übrigens viele starke Frauen in der FDP. Die gesellschaftliche Emanzipation oder die Bildungsexpansion waren Themen, die von uns in der sozialliberalen Koalition vorangetrieben wurden – deshalb waren wir für Frauen auch attraktiv.

Es ist für mich daher das Ergebnis eines Lernprozesses aus der Geschichte zu sagen, dass Frauen möglicherweise andere, konkret auf ihre Lebenssituation bezogenen Projekte in der Politik sehen; Dass wir deshalb richtig liegen, wenn wir Bildung in den Vordergrund stellen, Vereinbarkeitsthemen oder Fragen nach individueller Verantwortung, nach der Pflege von Eltern und Großeltern und so weiter.

Können Sie sich für die FDP eine Quotenregelung vorstellen?

Lindner: Da stehen zwei Freiheitsrechte einander gegenüber. Einerseits will man einer Gruppe Chancen eröffnen, andererseits wird in die Vertragsfreiheit eingegriffen. Ich würde niemals nie sagen, aber eine Quote muss verhältnismäßig sein. Ich kann in der FDP nicht eine Frauenquote von 50 Prozent beschließen, wenn ich nur 25 Prozent weibliche Mitglieder habe. Da stimmt dann etwas nicht.

Warum ist die Quote so ein Juckepunkt?

Lindner: Sie schränkt die Demokratie ein, weil das Wahlrecht eingeschränkt wird. Die Einschränkung dieser demokratischen Freiheit würde ich als letztes Mittel sehen, um ein anderes Ziel zu erreichen, nämlich das Geschlechterverhältnis fair zu gestalten. Bislang bin ich nicht davon überzeugt, dass wir in der FDP irgendeine Art von Quotenregelung brauchen, weil ich glaube, dass die Gründe für die mangelnde Repräsentanz von Frauen nicht im Machtdiktakt von Männern liegt, das hat andere Gründe.

Sagt ein Mann.
Lindner: Sagen in der FDP auch die Frauen.

Umgang mit dem Rechtspopulismus

Mit der AFD hat nun auch Deutschland eine rechtspopulistische Partei. In Österreich hat man einiges an Erfahrung damit. Können Sie aus Ihren Besuchen in Wien etwas mitnehmen für den Umgang mit der neuen Partei?

Lindner: Matthias hat vorhin etwas Kluges zu mir gesagt: NEOS machen nie Politik mit Angst. Wir sind wütend, dass Österreich Chancen genommen werden, aber wir machen keine Politik mit Angst. Das ist der entscheidende Unterschied zur FPÖ. So halten wir das auch. Es ist übrigens bedauerlich, dass sich die Partei "Freiheitlich" nennt, denn Freiheit, Freihandel, Freisinn sind wunderbare Begriffe die hier versucht werden zu kapern, von einer Partei, in der nichts Freiheitliches ist.

Haben Sie Herrn Lindner schon einen Tipp gegeben für den Umgang mit der AFD?

Strolz: Nein, das Gespräch haben wir noch nicht geführt. Beruhigend ist, dass sich die AFD von selbst erledigt. Ich gebe ihr keine Zukunft.

In Österreich hat sich das nicht erledigt. Die FPÖ liegt in Umfragen auf Platz 1. Machen Sie in Wien etwas falsch im Umgang mit dem Rechtspopulismus?

Strolz: Das kann gut sein, wir diskutieren das auch in der Partei. Aus den Wahlen in der Steiermark und dem Burgenland haben wir unsere Lehren gezogen. Wir haben eineinhalb Jahre lang in Hochglanzbroschüren eine Lösung nach der anderen produziert und an Menschen herangetragen, die nicht wussten, wo das dazugehörige Problem ist. Wir müssen selbstbewusster und klarer unsere Wut formulieren.

Und das führt dann zu einem Plakatspruch wie "G’scheite Kinder statt G’stopfte Politiker", der momentan in Wien zu sehen ist?

Strolz: Genau, das führt in der Zuspitzung zu diesem Plakat.

Wie viel Populismus darf’s denn sein?

Strolz: Es ist eine Gratwanderung und der Spruch geht gerade noch, weil wir das Plakat mit Inhalten hinterlegt haben, die im Internet und in jeder Broschüre zu finden sind. Die Alternative zu diesen Zuspitzungen wäre, in Schönheit zu sterben. NEOS würde mit einer großen Bibliothek an Hochglanzbroschüren untergehen. Das braucht dieses Land nicht. Wir sind an dem Punkt, an dem internationale Medien Österreich als das Griechenland der Alpen bezeichnen. Wir sind mit Vollgas auf der Überholspur zum größten Wohlstandsverlierer der EU und hier wollen wir die Trendumkehr schaffen.

Die politische Kunst ist, zu wissen wohin man konzeptionell will

Ist es eigentlich ein Problem des Liberalismus, dass man ihn nur schlecht marketinggerecht verpacken kann?

Lindner: Nein, vielleicht sollten wir es aber mal so machen wie DIE ZEIT. Sie verkaufen ihre Titelseiten inzwischen auch mit halbnackten Frauen und im Blatt sind dann die intellektuell schweren Texte von Bernd Ulrich ...

Ganz nackt haben wir bloß mal einen Mann gezeigt!

Lindner: Die politische Kunst ist zu wissen wohin man konzeptionell will und das dann fokussiert auf den Punkt zu bringen, sodass man Menschen wachrüttelt und Wahlen gewinnen kann.

Ist das der neue Stil?

Strolz: Ja, wir müssen in den Diskurs kommen. Das Vehikel dazu ist die plakative Verkürzung. Wir haben den Pfad verlassen, auf dem wir versucht haben, mit sympathischem Intellektualismus Wahlen zu gewinnen. Das ist kein erfolgreiches Konzept, wie man in der Steiermark und im Burgenland gesehen hat. Wir sind gekommen, um diesem System der strukturellen Korruption den Garaus zu machen. Das müssen die Bürger spüren, in jedem Satz, auf jedem Plakat. Unsere historische Mission ist es, in Österreich Mehrheitsverhältnisse jenseits des rotschwarzen Machtkartells und jenseits eines Bundeskanzlers Heinz Christian Strache zu ermöglichen. Aber haben Sie die Gewissheit, dass wir dabei die intellektuelle Redlichkeit immer hochhalten werden.

Manche Deutsche erzählen, Sie fühlten sich wie in einer Zeitreise wenn sie nach Wien kommen. Geht es Ihnen ähnlich Herr Lindner?

Lindner: In der Tat habe ich das Gefühl, das Österreich vor dem Erneuerungsimpuls steht, den wir in den neunziger Jahren diskutiert und dann in den Nullerjahren umgesetzt haben. Ich spreche von den Reformen im Sozialstaat bis zu einer Liberalisierung der Wirtschaft. Österreich wirkt noch ein wenig wie das Deutschland der 80er Jahre vor diesem Schritt.

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