26.05.2005FDP

WESTERWELLE-Interview für die "Neue Zürcher Zeitung"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Neuen Zürcher Zeitung" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten HANSRUDOLF KAMER und JÜRG DEDIAL:

Frage: In Deutschland hat sich am letzten Wochenende eine neue Situation eingestellt. Es wird zu Neuwahlen kommen. Sind Sie und Ihre Partei, die FDP, überrascht worden?
WESTERWELLE: Nein. Ich habe schon lange die Meinung vertreten: Wenn die letzte rot-grüne Landesregierung fällt, wird es Neuwahlen auch im Bund geben. Eine Bundesregierung ohne Unterbau kann sich nicht noch anderthalb Jahre durchschleppen.
Frage: Sie sind Jurist. Sind diese Neuwahlen nicht ein heikles verfassungsrechtliches Problem?
WESTERWELLE: Abermals Nein. Unsere Verfassung sieht ausdrücklich vor, daß, wenn einer Bundesregierung das stetige Vertrauen einer Mehrheit des Bundestages fehlt, durch die Ablehnung der Vertrauensfrage Neuwahlen eingeleitet werden können.
Frage: Was hat «Rot-grün» falsch gemacht?
WESTERWELLE: Im Kern hat «Rot-grün» keine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik gemacht.
Frage: Kann eine SPD dies überhaupt? Es geht letztlich ja darum, die Leistungen der Sozialsysteme den finanziellen Möglichkeiten anzupassen. Es ist aber kein Geld mehr da.
WESTERWELLE: Die SPD kann das derzeit nicht, und erst recht nicht in einer Koalition mit den Grünen. Dies ergibt nicht nur eine Technologie-feindliche Politik, sondern auch eine Politik, die pausenlos neue Regulierungen erfindet, eine Politik, die sich vor Steuersenkungen fürchtet, weil sie glaubt, daß der Staat damit unfähig würde, die Bürger zu führen - oder wie ich es empfinde: zu bevormunden.
Frage: Was wird «Schwarz-gelb» konsequenterweise denn anders machen?
WESTERWELLE: Wir werden die Schaffung von Arbeitsplätzen ins Zentrum unserer Bemühungen stellen. Der Staat schafft keine Arbeitsplätze. Er kann aber über bessere Rahmenbedingungen für eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik neue Arbeitsplätze herbeiführen. Nichts ist sozialer als eine solche Politik.
Frage: Wie kann die FDP im Zusammenwirken mit CDU/CSU einer echten liberalen Politik zum Durchbruch verhelfen?
WESTERWELLE: Auch in der Union gibt es nicht unerhebliche sozialdemokratische Umverteilungskräfte - wie die bürokratischen unionsinternen Kompromisse im Gesundheitsbereich gezeigt haben. Daran läßt sich ermessen, wie wichtig in einer schwarz-gelben Koalition die FDP ist, die den Mut hat, mehr soziale Marktwirtschaft durchzusetzen. Aber es geht auch darum, daß die gesellschaftliche Liberalität nicht einer konservativen Rolle rückwärts geopfert wird.
Frage: Der Parteienforscher Franz Walter hat unlängst der deutschen Gesellschaft einen ausgeprägt depressiven Charakter attestiert. Wie kann man diesen Charakter überwinden?
WESTERWELLE: Wie können Sie Optimismus erwarten, wenn eine Regierung, von Finanzminister Eichel bis zu Bundeskanzler Schröder, bei jeder Gelegenheit verkündet, das Ende sei nah? Und wenn sie genauso oft verbreitet, bei einer bürgerlichen Regierung würde alles nur noch schlimmer? Das heißt doch, daß die die eigene Politik als schlimm ansehen. Optimismus und Mut zur Zukunft hängen von einer neuen Regierung ab, die nicht nur einen steinigen Weg beschreibt, sondern auch das fruchtbare Feld, das hinter dem Berg liegt.
Frage: Kann die FDP solchen Mut vermitteln, etwa bei jungen Wählern?
WESTERWELLE: Die Wahlen der letzten Jahre zeigen, daß wir nicht mehr nur bei Älteren gut abschneiden, sondern auch spektakuläre Erfolge bei Jüngeren bis ganz Jungen erzielen können. Bei der letzten Europawahl waren etwas mehr als 50 Prozent unserer Wähler älter als 45. Unser Ziel einer breiten Verankerung in der Bevölkerung und in allen Generationen wird immer besser erreicht.
Frage: Der schweizerische Föderalismus zeigt gegenüber dem deutschen einen ganz markanten Unterschied, nämlich eine starke fiskalpolitische Stellung der Gemeinden und Kantone. In Deutschland hat die viel gerühmte Föderalismuskommission die Frage einer Finanzreform gleich am Anfang ausgeklammert. Denken Sie, daß man hier völlig neu ansetzen muß?
WESTERWELLE: Für uns Liberale war dies eine empörende Entscheidung. Man kann den Föderalismus nicht reformieren, wenn man das wichtigste Reformthema, Steuern und Finanzen, ausklammert. Solange die Bürger nicht wissen, wo das Geld hingeht, das sie gerade zahlen, können sie als Souverän auch nicht ihre demokratische Kontrolle wahrnehmen. Wir sind deshalb für eine glasklare Trennung der staatlichen Ebenen. Im Rheinland sagen wir: Wer die Musik bestellt, der soll sie auch bezahlen; wer sie bezahlt, bestimmt aber auch das Stück, das gespielt wird.
Frage: Das ist nur eines von mehreren Beispielen, bei denen die Schweiz gerade in Deutschland immer wieder als Vorbild oder Modell zitiert wird. Wir denken auch an die Gesundheitspolitik oder den Bereich der Renten. Könnte eine schwarz-gelbe Regierung in diese Richtung gehen?
WESTERWELLE: Wir haben in Deutschland ein sehr kollektivistisches Zwangssystem, das für eine große Mehrheit der Bevölkerung gar keine Wahl der Versicherungen läßt. Die meisten Menschen können sich keine Tarife auswählen und ihre Prämien selbst mitgestalten. Deshalb wollen wir, daß das monopolartige Kassensystem in eine Pflicht zur Versicherung umgewandelt wird, die aber die volle Wahlfreiheit für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger bringt.
Frage: Wenn es nun zu einer schwarz-gelben Regierung kommt - wo sehen Sie das größte Risiko eines Scheiterns nach vier Jahren?
WESTERWELLE: Eine bürgerliche Regierung ist zum Erfolg verdammt. Würde sie den wirklich großen Wurf nicht wagen und wollte sie auf einen echten Neuanfang verzichten, bliebe sowohl der Wirtschaftsaufschwung als auch der Aufbruch der Bevölkerung aus. Deshalb werden wir solide und sehr grundsätzlich arbeiten und nicht nur an den Symptomen herumdoktern. Wir können in Deutschland eine neue Gründerzeit schaffen. Der Aufschwung ist in Deutschland in einer Art möglich, wie er in vielen andern europäischen Ländern längst gelungen ist.
Frage: Wo würden Sie neue außenpolitische Akzente setzen, gerade auch gegenüber Europa?
WESTERWELLE: In der Außenpolitik müssen drei Entwicklungen korrigiert werden. An erster Stelle muß das transatlantische Verhältnis wieder gefestigt werden. In den letzten Jahren hat man den Eindruck gehabt, daß die rot-grüne Bundesregierung dem Verhältnis zur russischen Regierung mit deren bekannten rechtsstaatlichen Fragwürdigkeiten mehr Bedeutung zumißt als jenem mit unserem transatlantischen Verbündeten, den USA. Eine solche Festigung wird auch Früchte bringen, wenn es uns beispielsweise gelingt, nach einer Verbesserung den Abzug der letzten atomaren Kurzstreckenwaffen aus Deutschland zu erreichen. Zweitens wird sich die Dominierung - oft Brüskierung - der kleineren Staaten in Europa durch Berlin und Paris ändern. Frankreich und Deutschland sollen eine führende Rolle spielen. Aber es war stets die Kunst liberaler Außenpolitik, dafür zu sorgen, daß die kleineren Länder und ihre Anliegen auch ernst genommen werden. Und drittens: Die Achsenbildung Paris-Berlin-Moskau ist ein historischer Fehler, den wir rückgängig machen müssen. Denn diese Achse behindert das größte historische Projekt seit der Gründung der Bundesrepublik, die europäische Einigung.
Frage: Würden Sie die Bemühungen um einen ständigen Sitz Deutschlands im Uno-Sicherheitsrat fortführen?
WESTERWELLE: Ein ständiger deutscher Sitz kann doch nur die zweitbeste Lösung sein. Eine bessere Lösung wäre es, wenn der Versuch eines europäischen Sitzes im Sicherheitsrat wieder aufgenommen würde, wie er durch die rot-grüne Bundesregierung leider aufgegeben worden ist. Wir halten es für besser, wenn die deutsche Außenpolitik - bei allem notwendigen Selbstbewußtsein - eingebettet bleibt in eine europäische Außenpolitik.
Frage: Und wird die FDP diese Außenpolitik wieder bestimmen?
WESTERWELLE: Da gilt das berühmte Sprichwort: Man soll das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist.

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