21.10.2002FDP

WESTERWELLE-Interview für "Deister- und Weserzeitung"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Deister- und Weserzeitung" (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DR. HERMANN A. GRIESSER.

Frage: Herr DR.WESTERWELLE, Sie haben auf diesem Landesparteitag der niedersächsischen FDP in Buchhagen gefordert, dass sich Herr MÖLLEMANN bis spätestens Montag Abend, also bis zur Vorstandssitzung der FDP Nordrhein-Westfalen, über die Herkunft der Spenden äußert, die er offenbar für sein Anti-Israel-Flugblatt auf einem Sonderkonto eingenommen hat. Aber MÖLLEMANN sagt, er könne dies erst Ende November tun, nach seiner Genesung. Glauben Sie ihm denn nicht, dass er wirklich krank ist?

WESTERWELLE: JÜRGEN MÖLLEMANN ist in der Lage, Briefe zu schreiben. Das hat er ja bereits getan. Und er hat auch schon Journalisten empfangen. Deshalb ist es ihm sicherlich auch möglich, in einem einfachen Brief zu erklären, woher das Geld gekommen ist. Da es sich um eine Summe von über 800.000 Euro handelt und er der Konto-Inhaber ist - auch der Mann, der das Konto eingerichtet hat -, wird es doch ein Leichtes sein, uns mittels eines Briefes oder eines Telefonanrufs Auskunft zu geben. Hier handelt es sich ja um eine Größenordnung, die man nicht einfach vergisst.

Frage: "Erklären" kann er ja vieles. Werden Sie ihm jede Erklärung abnehmen?

WESTERWELLE: Zunächst einmal könnten wir seine Erklärung annehmen. Aber natürlich müssen wir den ganzen Sachverhalt eingehend prüfen.

Frage: Ihre Drohung in Richtung MÖLLEMANN hörte sich wie ein Ultimatum an: Entweder er äußert sich bis Montag-Abend oder... Ja, was dann? Wenn MÖLLEMANN auf seiner Krankheitsversion beharrt und vor Ende November nichts sagen will - was geschieht dann?

WESTERWELLE: Dann werden am Montag-Abend im Landesvorstand Konsequenzen eingeleitet.

Frage: Was für Konsequenzen? Kommt auch ein Partei-Ausschluss in Frage?

WESTERWELLE: Ich spekuliere nicht über das, was dann beschlossen werden könnte.

Frage: Aber Sie schließen einen Partei-Ausschluss auch nicht aus?

WESTERWELLE: Ich sagte schon: Ich will hier nicht spekulieren.

Frage: Vielfach wird gesagt, dass auch Sie als Vorsitzender durch diese Vorgänge geschädigt seien. Vor allem, weil Sie MÖLLEMANN nicht früh und energisch genug Einhalt geboten hätten. Dadurch hätten Sie Führungskraft eingebüßt. Sie sind ja ansonsten tatsächlich sehr weitgehend auf MÖLLEMANNS Strategie-Vorstellungen eingegangen und haben vieles mitgemacht...

WESTERWELLE: Ich halte das für eine absurde Vermischung unterschiedlichster Vorgänge. Die politische Strategie ist auf drei Bundesparteitagen nahezu einstimmig beschlossen worden. Das hat mit der Einrichtung eines Kontos hinter dem Rücken des Landes- und des Bundesvorstandes nichts zu tun. Hier geht es nicht um eine politische Auseinandersetzung, sondern darum, dass nach Recht und Gesetz zu verfahren ist. Wenn wir ein solches Konto entdecken und feststellen, dass es hier Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Spenden-Herkunft gibt, sind wir nach dem Gesetz verpflichtet, das aufzuklären. Das habe ich unverzüglich veranlasst. Schon am Montagabend nach der Bundestagswahl habe ich beim nordrhein-westfälischen Landesvorstand darauf gedrungen. Es hat hier ja nicht irgend ein Journalist oder ein Staatsanwalt etwas entdeckt. Wir sind von uns aus mit unseren Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gegangen.

Frage: Sind Sie denn so sicher, dass die Spendenaffäre allein auf MÖLLEMANN konzentriert bleibt? Könnten nicht auch noch andere Liberale in Nordrhein-Westfalen mitgemacht oder wenigstens etwas gewusst haben...

WESTERWELLE: Ich bin Rechtsanwalt. Und als Rechtsanwalt verkneife ich mir Vermutungen und Spekulationen bei solch gravierenden juristischen Vorgängen. Wir halten uns streng an die Fakten. Das, was wir wissen, haben wir mitgeteilt, und wenn wir Neues erfahren, werden wir auch dies korrekt mitteilen.

Frage: Und wie ist das mit dem zweifelhaften Kredit der FDP-Bundestagsfraktion für die Partei?

WESTERWELLE: Da ist nichts zweifelhaft. Hier hat nur ein Journalist etwas vermischt, was gar nicht zusammengehört. Zu dem Kredit-Vorwurf hat sich die FDP-Fraktion bereits eindeutig erklärt. Es handelt sich um einen Vorgang von 1996, der in den Bilanzen und Rechenschaftsberichten von Fraktion und Partei ausgewiesen ist. Alles wurde veröffentlicht und als rechtmäßig befunden. Das bedarf nach meiner Meinung keiner weiteren Kommentierung.

Frage: Müssen Sie nicht fürchten, dass Ihre politischen Sachaussagen gerade jetzt, da sie der rot-grünen Regierung nach den Koalitionsvereinbarungen entgegengehalten werden könnten und müssten, gar nicht mehr richtig zum Tragen kommen, weil Sie selbst Glaubwürdigkeit eingebüßt haben?

WESTERWELLE: Die FDP hat ein überzeugendes Konzept und das klarste Kontrastprogramm zu der verheerenden Steuer-, Abgaben- und Schuldenerhöhungspolitik der rot-grünen Koalition. Und damit dieses Kontrastprogramm auch wahrgenommen werden kann, muss die FDP alles tun, um innerparteilich zügig zu klären, was rund um das Sonderkonto vorgefallen ist. Wir tun das.

Frage: Wenn Sie auf das Wahlergebnis zurückblicken - sehen Sie nicht auch Fehler an sich selbst? Haben nicht auch Sie Manches falsch gemacht? Vielleicht zu viel so genannte Offenheit gegenüber den großen Parteien? Oder zuviel Wahlkampfzirkus a la MÖLLEMANN...?

WESTERWELLE: Ich halte die Strategie einer eigenständigen und unabhängigen Partei für das ganze Volk für unverändert richtig. Die ganze Parteiführung sieht es so. Die Tatsache, dass jetzt ein Sonderkonto mit fragwürdigen Spenden aufgefunden wurde, hat mit unserer Strategie doch nichts zu tun...

Frage: Aber es geht auch um die Frage, warum die FDP bei der Bundestagswahl so enttäuschend abgeschnitten hat.

WESTERWELLE: Die FDP hat 1,2 Prozent dazu gewonnen...

Frage: ...aber Sie müssen sich auch an den selbst gezüchteten Erwartungen messen lassen. Von 18 Prozent sind Sie himmelweit entfernt...

WESTERWELLE: Ja, gewiss. Aber wir haben mit dem Weg, den wir gegangen sind, immerhin ein besseres Wahlergebnis erzielt als bei den Wahlen zuvor. Von den letzten fünf Bundestagswahlen haben wir zweimal besser und dreimal schlechter gelegen als diesmal. Es ist ein Wahlergebnis, das wir aus eigener Kraft erarbeitet haben, und es bedeutet einen ermutigenden Auftrag für die nächsten vier Jahre Oppositionszeit.

Frage: Sie haben auf diesem Landesparteitag die jetzt gestartete Politik der alt-neuen rot-grünen Koalition massiv gegeißelt und kein gutes Haar an ihr gelassen. Wenn das so schlimm ist mit der Uneinsichtigkeit der SPD in das, was eine gute Zukunftspolitik dringend benötigt - sind Sie dann mit Ihrer Äquidistanz nicht ganz falsch gelegen - also mit ihrer totalen Offenheit gegenüber beiden großen Parteien bei gleich weiter Entfernung von beiden? Viele meinen, es wäre besser gewesen, Sie hätten doch irgendwie eine größere Nähe zur Union zu erkennen gegeben.....

WESTERWELLE: Wir kennen jetzt den Koalitionsvertrag von SPD und Grünen. Wir sehen, dass sich diese Regierung mit Lug und Trug an die Macht gebracht hat. SPD und Grüne haben Steuersenkungen versprochen, jetzt erhöhen sie Steuern und Abgaben. Sie haben finanzpolitische Stabilität versprochen und erhöhen die Schulden. Sie machen den Euro weich - und so weiter. Das wissen wir heute. Man kann es nicht anders nennen: Das war ein riesiger Wahlbetrug.

Frage: Heißt das, dass Sie aus heutiger Sicht doch eine andere Strategie richtig wäre? Wenn jetzt wieder eine Bundestagswahl bevorstünde - würden Sie in Sachen Offenheit gegenüber Union und SPD wieder ganz gleich handeln?

WESTERWELLE: Ich kenne keinen vernünftigen Menschen, der nach einem Ereignis alles wieder so machen würde wie vor dem Ereignis. Aber die scharfen Kritiker unter den Journalisten schreiben alle mit dem Erkenntnisstand von heute. Alles in allem glaube ich aber, dass die FDP mit ihrer Strategie der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit richtig lag und richtig liegt. Diesen Weg werden wir fortsetzen.

Frage: Glauben Sie, dass Sie die MÖLLEMANN-Geschichte bis Februar so weit zurückdrängen oder erledigen können, dass sie die Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen nicht überschattet?

WESTERWELLE: Ich gehe davon aus, dass alles aufgeklärt wird. Was wir tun können, werden wir jedenfalls unverzüglich veranlassen. Und wir werden auch künftig darauf hinwirken, dass zügig ermittelt wird, damit wir uns ganz auf die Sachpolitik konzentrieren können. Denn Niedersachsen hat eine bessere Regierung verdient. Die gibt es nur mit einer starken FDP.

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