29.01.2021FDPArbeitsmarkt

WISSING-Gastbeitrag: Die CDU macht sich selbst zum Zwerg

Der FDP-Generalsekretär Dr. Volker Wissing schrieb für die „Welt“ (Freitag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Die Wahl des neuen CDU-Parteivorsitzenden war weit mehr als die Neubesetzung einer vakanten Führungsposition. Sie war auch eine Richtungswahl. Norbert Röttgen stand dabei für eine stärker an dem grünen städtischen Milieu ausgerichtete Politik, Friedrich Merz für eine klassisch konservative Politik der sozialen Marktwirtschaft und Armin Laschet für eine politische Fortsetzung der Ära Merkel.

Für die Freien Demokraten war die Wahl auch sehr aufschlussreich, da sie deutlich macht, in welche Richtung sich die CDU künftig bewegen will. Und die Antwort ist: So richtig weiß sie das selbst nicht. Jedenfalls hat die Nichtwahl von Friedrich Merz gezeigt, dass eine klassisch konservativ-marktwirtschaftliche Politik innerhalb der Partei nicht mehr mehrheitsfähig ist.

Für die Freien Demokraten ist das eine gute und eine schlechte Nachricht. Eine gute Nachricht, weil die CDU die Themen Wirtschafts- und Finanzpolitik gewissermaßen offiziell der FDP überlassen hat. Eine schlechte Nachricht, weil die CDU sich nun in die Mega-Koalition von Grünen und SPD bis hin zu den Linken einreiht, die nach der Erkenntnis leben: Geben macht seliger als erwirtschaften.

Die CDU ist zu einem Anbieter politischer Beliebigkeit geworden, der sich vor allem an kurzfristigen Stimmungen und dem Angebot der Mitbewerber orientiert.

Das haben auch die letzten Koalitionen mit der SPD deutlich gezeigt. Unabhängig, wie man zu den Initiativen der SPD inhaltlich steht, muss man ihr lassen, dass sie ihren Gestaltungsauftrag ernst genommen hat. Mindestlohn, Rente mit 63, Mietpreisbremse, etc. – das alles sind Projekte der Sozialdemokraten. Die CDU hat nicht einmal ernsthaft versucht, die Initiativen der SPD zu verhindern. Vielmehr hat sie sich in freiwilliger inhaltlicher Selbstverzwergung mit der Behauptung zufriedengegeben, schlimmeres verhindert zu haben. Eine Koalition ist Geben und Nehmen, das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber den Leuchtturmprojekten der SPD der letzten Großen Koalition stehen kaum eigene Inhalte der CDU gegenüber.

Das überrascht wenig. Die Bundeskanzlerin hat sich eher als oberste Verwalterin denn als oberste Gestalterin gesehen. Ihre Politik ist administrativ geprägt. Gut zu verwalten, ist kein Fehler. Allerdings untergräbt eine Politik, die vor allem administrativ gedacht wird, demokratische Prozesse. Die kaum verhohlene Geringschätzung der Bundeskanzlerin für die politische Debatte ist eine logische Konsequenz. Wo Politik aus administrativer Perspektive vor allem umsetzungsorientiert gedacht wird, verliert die politische Debatte an Gewicht.

Warum sollen ein Parlament oder eine Partei um das Für und Wider von Positionen ringen, wenn die Verwaltung kompetent beurteilen kann, was gut für das Land ist? Das mag für einige vernünftig klingen, aber eine solche Einstellung sediert eine Demokratie. Wenn Menschen nicht um politische Entscheidungen ringen, abwägen und im Zweifel kontrovers streiten, verkommt die Legitimation zur reinen Formsache. Das rächt sich, sobald die Kehrseite politischer Entscheidungen sichtbar wird.

Ein Beispiel: Der Einstieg in die Verschuldung der EU zur Finanzierung des Aufbaufonds wurde von der Bundeskanzlerin entschieden, und das Parlament hat diesen fundamentalen Kurswechsel in der europäischen Finanzpolitik kurzerhand abgenickt. Im Augenblick stört das keinen. Aber wenn die Kehrseite dieser Entscheidung sichtbar wird, wenn die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland für die EU-Schulden zur Kasse gebeten werden, stellt sich ganz konkret die Frage, ob eine Mehrheit hinter dieser Entscheidung steht.

Wenn erst dann die kontroverse Debatte beginnt, entsteht bei den Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl der Ohnmacht, weil die Mehrheit keinen Einfluss mehr auf die politische Entscheidung nehmen kann. Schulden müssen zurückgezahlt werden.

Die letzten großen Koalitionen haben gezeigt, dass die Union das Politikverständnis der Kanzlerin in Teilen verinnerlicht hat. Die Partei begreift sich weniger als programmatische Gestaltungskraft denn als pragmatische Umsetzungsbehörde. Die Macht dient nicht einem bestimmten Zweck, sie ist offenbar der Zweck. Nachdem die Union das Programm der Sozialdemokratie erfolgreich umgesetzt hat, strebt sie nun eine Koalition mit den Grünen an. Auch das ist folgerichtig. Die Union braucht offenbar einen Ideengeber, sie braucht eine Gestaltungskraft, weil sie selbst keine eigene sein möchte.

Menschen engagieren sich nicht in Parteien, um sich von diesen sagen zu lassen, welche Meinung sie fortan vertreten sollen, sie wollen Teil einer Gemeinschaft sein, die eigene Werte lebt. Gerhard Schröder wollte die SPD neu ausrichten und der Partei die sogenannte Neue Mitte erschließen. Die Folge der inhaltlichen Neuausrichtung der Partei war ein kurzfristiger Erfolg, aber dann auch die Entstehung einer linken Partei und damit verbunden eine seither andauernde Schwächung der SPD.

Angela Merkel hat die Neuausrichtung der CDU weitgehend am Programm der SPD ausgerichtet, die Folgen sind ähnlich. Die AfD war gerade in ihrer Gründungsphase eine Art Heimatvertriebenenverband der Union. Ob Bernd Lucke, Konrad Adam oder Alexander Gauland, um nur einige zu nennen, sie alle sind ehemalige CDU-Mitglieder, die durch die inhaltliche Neuausrichtung der Partei politisch heimatlos gemacht wurden. Die schlimme Folge für unser Land ist eine rechtsextreme Partei.

Der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet ist nicht zu beneiden. Er muss eine von Frau Merkel inhaltlich weitgehend entkernte Partei mit neuem Leben und neuen Inhalten aufladen, ohne dazu einen mutigen Richtungsauftrag des Parteitages erhalten zu haben.

Es wird spannend sein zu sehen, ob ihm das gelingt. Die CDU muss sich die Frage stellen und beantworten, wofür sie als Partei stehen will. Was ist das konservative Angebot für unser Land? Worin unterscheidet sich die CDU von anderen Parteien? Was ist ihr Alleinstellungsmerkmal? Frau Merkel ist die Antwort darauf schuldig geblieben. Herr Laschet hat eine schwierige Aufgabe übernommen.

 

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