02.09.2021FDPArbeitsmarkt

WISSING-Interview: Ich sehe einen Graben zwischen uns und SPD und Grünen

FDP-Generalsekretär Dr. Volker Wissing gab der „Rhein-Neckar-Zeitung“ und der „Rhein-Neckar-Zeitung Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Daniel Bräuer:

Frage: Herr Wissing, im FDP-Programm steht: "Es geht nicht um Farbenspiele". Gilt der Satz noch?

Wissing: Selbstverständlich. Wir führen einen inhaltlichen Wahlkampf und wollen für unsere Inhalte begeistern. Das wird eine Richtungswahl. Für uns stehen nicht Personen oder Koalitionen im Vordergrund, sondern unsere Positionen.

Frage: Derzeit reden Union und FDP sehr viel über Rot-Grün-Rot. Angst bekommen?

Wissing: Es geht dabei auch um die Frage: Wird Deutschland sich außen- und sicherheitspolitisch isolieren? Oder werden wir wieder ein starkes Land, das seine führende Rolle in Europa wahrnehmen kann und einen Beitrag leistet, dass die EU zusammenhält und wir unsere Werte gegen die Systeme verteidigen, die uns weltweit herausfordern.

Frage: Haben potentielle FDP-Wähler ein Recht, zu erfahren, was für eine Koalition sie bekommen?

Wissing: Ja. Deswegen sind wir inhaltlich so klar. Wir wollen das Land erneuern, wir wollen in Bildung investieren, die Digitalisierung voranbringen und dafür sorgen, dass wir unserer Rolle in Europa gerecht werden können. Damit Unternehmen in den Klimaschutz und in Zukunftsinnovationen investieren können, brauchen sie Geld. Steuererhöhungen erschweren es der Wirtschaft, sich auf die bevorstehenden Veränderungen einzustellen. Wir müssen deshalb steuerlich entlasten. Die Aufweichung der Schuldenbremse ist keine Lösung. Eine Stimme für die FDP ist eine Garantie gegen einen Linksruck.

Frage: Zählen Sie eine Ampel wie in Rheinland-Pfalz als Linksruck?

Wissing: Das kommt darauf an, was inhaltlich vereinbart ist. Ich sehe anhand der Positionen, die Grüne und SPD auf Bundesebene vertreten, derzeit wenig Gemeinsamkeiten. Ich sehe einen Graben zwischen der marktwirtschaftlichen Erneuerung und der Aufweichung der Schuldenbremse oder Steuererhöhungen.

Frage: Sie wollen Steuern senken, Abgaben senken, die Schuldenbremse einhalten und tilgen. Braucht man viel Fantasie, um sich das alles vorzustellen?

Wissing: Wir haben drei Probleme: Der Einkommensteuertarif ist leistungsfeindlich. Wenn eine Fachkraft Überstunden macht, muss sie überproportionale Steuern darauf zahlen wegen der Steuerprogression und dem Mittelstandsbauch. Das zweite Problem ist, dass der unternehmerische Mittelstand sehr hohe Steuern zahlt. Im industriellen Bereich haben wir eine Belastung um die 30 Prozent, das sind fünf Prozent mehr als andere Industriestandorte in der Welt. Diese Probleme darf man nicht ignorieren, wenn man Arbeitsplätze sowie unser Wohlstandsniveau sichern und Investitionen forcieren möchte. In Deutschland werden Investitionen zu 80 Prozent von privater Seite getätigt. Wir wollen die Steuern senken, weil wir die Wirtschaft in die Lage versetzen wollen, ihre Zukunftsprobleme zu lösen. Wir werden im Rahmen einer Koalitionsvereinbarung festlegen, dass die finanzpolitischen Möglichkeiten dafür verwendet werden. Freiwerdende Mittel durch zusätzliche Steuereinnahmen – die zu erwarten sind, weil wir hohe Wachstumsraten haben – sollten wir nicht für zusätzliche Staatsausgaben einsetzen, sondern steuerliche Entlastungen. Erst für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dann für den Mittelstand, dann für große Unternehmen.

Frage: Für die Sozialausgaben fordern Sie nun eine feste Obergrenze. Klingt das nach der alten, unsozialen FDP?

Wissing: Nein, das Unsozialste ist der Verlust des Arbeitsplatzes. Wenn wir die Sozialkosten nicht begrenzen, verlieren wir an Wettbewerbsfähigkeit in den internationalen Märkten und damit Arbeitsplätze. Wir schlagen vor, dass wir die Sicherungssysteme stabilisieren, indem wir sie strukturell verändern. Beispielsweise bei der Rente schlagen wir eine Aktienrente vor, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch von den Renditen am Aktienmarkt profitieren können.

Frage: Wer materiell abgehängt wird, droht auch für die Demokratie verloren zu gehen. Muss nicht mehr für den sozialen Zusammenhalt getan werden?

Wissing: Absolut. Deswegen betone ich immer gerne, dass Politik und Demokratie ein Inklusionsauftrag sind. Wir müssen jedem und jeder ein Angebot machen. Alle müssen sich mitgenommen fühlen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Arbeitsplätze im Blick haben, auf die es ganz entscheidend ankommt. Das ist in einer Zeit, in der Dinge sich verändern, durch Digitalisierung, durch Entkarbonisierung, Klimaneutralität, besonders wichtig. Ohne einen starken Sozialstaat können wir keinen sozialen Zusammenhalt sicherstellen. Aber ein Sozialstaat ist nur dann stark, wenn wir auch wirtschaftlich stark sind.

Frage: Sie haben jüngst die Union einen "Totalausfall" in der Regierung genannt. Auch 2009 ließ die FDP kein gutes Haar an ihrem vermeintlichen Wunschpartner – und es folgte ein katastrophaler Start in eine gemeinsame Regierung. Was macht Sie optimistisch, dass es diesmal anders laufen würde?

Wissing: Wir haben uns damals darauf verlassen, dass wir Probleme mit der Union in der Legislatur würden lösen können. Das hat nicht funktioniert. Deswegen brauchen wir einen gut ausgehandelten, präzisen Koalitionsvertrag. Die Union ist keine Reformpartei. Sie will bewahren und erhalten. Es ist jetzt aber schon so viel in den Stillstandsmodus geraten, dass es an der Zeit ist, etwas zu verändern. Nach 16 Jahren CDU-Verantwortung spricht ja sogar die CDU davon, dass Deutschland ein Modernisierungsjahrzehnt benötigt. Eine konservative Partei hat nicht die Kraft zur Erneuerung. Herr Laschet sagte im Triell, er will den Wind der Veränderung aufhalten. Ich glaube nicht, dass das ein guter Ansatz ist.

Frage: Spricht dafür, jemand anders zum Kanzler zu machen?

Wissing: Der erste Schritt muss sein, dass Reformkräfte gestärkt werden bei der Wahl. Dann brauchen wir ein Bündnis, das sich in einem Vertrag auf einen Reformkurs festlegt, der allen ein Angebot macht. Der alle Menschen mitnimmt. Am Ende ist die Frage, welche Person an der Spitze steht, weniger wichtig als die Frage: In welche Richtung wird das Land regiert?

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