FDPUmsetzung des Brexit

Die Briten haben keinen klugen Deal gewählt

Christian LindnerChristian Lindner diskutiert die Auswirkungen und Umsetzung des Brexit-Votums
28.06.2016

FDP-Chef Christian Lindner spricht sich für einen freundlichen und verbindlichen Auftritt der EU gegenüber den Briten aus. Allerdings dürfe es keinen Rabatt nach dem Brexit geben. Großbritannien müsse die gleichen Bedingungen akzeptieren wie andere Nicht-EU-Mitglieder, die Freihandel mit der EU betrieben, betont er im Interview mit der "Stuttgarter Zeitung". "Wer in unseren Binnenmarkt will, muss für den Verzicht auf Zölle zahlen und die Regeln des Binnenmarktes akzeptieren, ohne dass er darauf Einfluss hat. Die Briten haben sich sicher nicht für einen klugen Deal entschieden."

Der Freidemokrat prangert außerdem an, dass Bundeskanzlerin und Außenminister unterschiedliche Strategien im Umgang mit dem Brexit verfolgten. Die Regierung sei noch einmal nicht in der Lage, große Herausforderungen entschlossen anzupacken, konstatiert er. "Wir haben das in der Flüchtlingskrise erlebt, wo wir noch auf ein rational unterfüttertes Einwanderungsgesetz warten. Wir sehen es in der Wirtschaftspolitik, wo die Sozialbeiträge bald auf über 40 Prozent des Bruttolohns steigen, und wir sehen es beim Umgang mit dem Brexit." Dabei bräuchte es aus Lindners Sicht jetzt umso mehr ein entschlossenes Vorgehen der Bundesrepublik, um die britische Rolle als Anwalt für Marktwirtschaft, solide Finanzen und Subsidiarität in der EU zu übernehmen. "Jetzt kommt es darauf an, dass Deutschland dafür eintritt, was mit Herrn Gabriel leider unwahrscheinlich ist."

"Statt über Vertiefung, Erweiterung und Zentralisierung nachzudenken, wünsche ich mir ein Europa, das auf der Basis gemeinsamen Rechts Autonomie zulässt und den Wettbewerb der Ideen und der politischen Konzepte ins Zentrum stellt", so Lindner weiter. Europa sei dann stark, "wenn es die Idee der Freiheit wiederentdeckt, wenn es Chancen schafft, statt reglementiert, wenn es den freien Austausch von Menschen, Ideen, Waren und Kapital befördert", erläutert er. Der FDP-Chef fordert: "Europa muss wieder in der Vielfalt der regionalen Problemlösungen seine Stärke sehen."

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Herr Lindner, Großbritannien befindet sich wegen des Brexit am Rande einer Staatskrise. Hoffen Sie, dass es am Ende der Chaoswochen doch nicht zum EU-Austritt kommt?

Ich wäre glücklich, wenn die Fehlentscheidung noch zu meiner aktiven politischen Zeit revidiert würde. Aber ich bin Realist. Deshalb muss man mit der Entscheidung der Briten umgehen. Großbritannien war stets ein Anwalt für Marktwirtschaft, solide Finanzen und Subsidiarität. Jetzt kommt es darauf an, dass Deutschland dafür eintritt, was mit Herrn Gabriel leider unwahrscheinlich ist. Hoffentlich wird London rasch handlungsfähig. Die EU sollte sich hüten, die Briten vorzuführen. Festigkeit in der Sache ist nötig, keine Demütigung.

Was ist die bessere Strategie - eine klare Haltung gegenüber London? Oder ist Abwarten eine bessere Vorgehensweise?

Es muss rasch Klarheit geben, wie es weitergeht. Niemand hat ein Interesse an einem Schwebezustand. Es darf keinen Rabatt geben, um keine falschen Anreize für Nachahmer zu setzen. Aber ich unterstütze Kanzlerin Merkel, wenn sie sagt, es dürfe keinen Überbietungswettbewerb der garstigen Worte geben. Es muss einen Weg geben, mit dem unsere wirtschaftlichen Interessen gewahrt bleiben. Es ist verrückt, dass Teile der AfD das Votum bejubeln, denn für Deutschland und unsere Wirtschaft wird das eine teure Angelegenheit.

Kanzlerin und Außenminister treten mit unterschiedlichen Strategien auf. Was sagt das aus über die deutsche Außenpolitik?

Die Regierung ist nicht in der Lage, große Herausforderungen entschlossen anzupacken. Wir haben das in der Flüchtlingskrise erlebt, wo wir noch auf ein rational unterfüttertes Einwanderungsgesetz warten, das weder mit Ängsten spielt noch unerfüllbare Hoffnungen weckt. Wir sehen es in der Wirtschaftspolitik, wo die Sozialbeiträge bald auf über 40 Prozent des Bruttolohns steigen, und wir sehen es beim Umgang mit dem Brexit. Diese Regierung wird nur noch zusammengehalten durch die Angst vor den Wählerinnen und Wählern.

Ist die Antwort auf den Brexit eine Vertiefung der EU, etwa mit Blick auf eine gemeinsame Sozial- und Steuerpolitik?

Das wäre die falsche Schlussfolgerung. Statt über Vertiefung, Erweiterung und Zentralisierung nachzudenken, wünsche ich mir ein Europa, das auf der Basis gemeinsamen Rechts Autonomie zulässt und den Wettbewerb der Ideen und der politischen Konzepte ins Zentrum stellt. Europa ist stark, wenn es die Idee der Freiheit wiederentdeckt, wenn es Chancen schafft, statt reglementiert, wenn es den freien Austausch von Menschen, Ideen, Waren und Kapital befördert. Europa muss wieder in der Vielfalt der regionalen Problemlösungen seine Stärke sehen. Es macht keinen Sinn, den Spaniern die Siesta im Austausch mit dem deutschen Ladenschluss nehmen zu wollen.

Wie sollte die EU gegenüber Großbritannien in den Brexit-Gesprächen auftreten?

Freundschaftlich und verbindlich. Der erhobene Zeigefinger aus Brüssel ist unangebracht, allein schon deshalb, weil knapp die Hälfte der Briten in der EU bleiben wollte. Allerdings wird Großbritannien die gleichen Bedingungen zu akzeptieren haben wie andere Staaten, die Freihandel mit der EU betreiben, ohne Mitglied zu sein - beispielsweise Norwegen. Wer in unseren Binnenmarkt will, muss für den Verzicht auf Zölle zahlen und die Regeln des Binnenmarktes akzeptieren, ohne dass er darauf Einfluss hat. Die Briten haben sich sicher nicht für einen klugen Deal entschieden.

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