10.04.2019FDPFDP

BEER-Interview: Wir müssen die EU schneller machen

Die FDP-Generalsekretärin und Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl, Nicola Beer, gab der „Schwäbischen Zeitung “ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Hendrik Groth und Sabine Lennartz.

Frage: Frau Beer, Sie wollen in Europa aufräumen. Da hat man gleich das Bild der tüchtigen Hausfrau beim Frühjahrsputz im Hinterkopf. Beabsichtigt?

Beer: Ja, die Aufgabe ist entsprechend umfangreich, aber machbar. Wir müssen die EU schneller entscheidungs- und handlungsfähig machen und sie auf die großen Fragen konzentrieren: Migration, Umwelt, Klima, Handelspolitik, Sicherheit. Da gilt es stärker geeint aufzutreten. Und auf Basis dieser Ordnung erreichen wir eine neue Vision für Europa. Unser Ziel ist es, aus Europa einen Chancenkontinent mit mehr Innovationen zu machen. Wir müssen die EU so gut aufstellen, dass keiner mehr gehen will.

Frage: Brauchen Sie dazu ein Ende der Einstimmigkeit?

Beer: Ja, mehr Mehrheitsentscheidungen sind dringend nötig. Außerdem braucht kein Mensch 28 Kommissare, 18 reichen völlig aus. Wir müssen das Parlament stärken, damit es eigene Gesetzesinitiativen einbringen kann, und es soll selbst entscheiden, an welchem Sitz es tagt – in Straßburg oder in Brüssel. Das hilft, sich auf wichtige Fragen zu konzentrieren, statt aufs Kofferpacken.

Frage: Welches Ressort wollen denn die Liberalen besetzen?

Beer: Wir haben mit Margrethe Vestager eine angesehene Frau, die gut Kommissionspräsidentin werden könnte. Ich halte es für notwendig, dass wir uns vor allem beim Thema Innovationen an die Spitze setzen, sodass zukünftig wir Standards und Normierungen setzen, statt dass die USA und China mit ihren Vorstellungen in die Gesellschaft eingreifen. Wir exportieren über unseren Handel auch Demokratierechte.

Frage: Für diesen neuen Aufbruch steht doch Macron. Warum treten Sie ihn dann vors Schienbein, indem Sie Straßburg aufgeben wollen?

Beer: Wir treten ihn nicht vors Schienbein, es soll eben nur einer der beiden Sitze sein. Als Ausgleich können wir uns beispielsweise eine Europa-Universität an anderem Standort vorstellen. Im Übrigen ist Macron nicht das Synonym für Reformen, aber mit seinem Reformwillen für uns ein geeigneter Partner. Wir wollen die Mehrheiten so gestalten, dass keiner mehr umhinkommt, eine Reformagenda aufzunehmen. Wenn es aber auf Macrons Vorschläge aus Berlin nur eine Antwort Kramp-Karrenbauers gibt, ist offensichtlich, dass diese Bundesregierung keine Vision für die Zukunft Europas hat.

Frage: Ist der harte Brexit eigentlich noch abzuwenden?

Beer: Wir sehen ja, dass vieles, was den Bürgern in Großbritannien vor dem Referendum erzählt wurde, nicht stimmt. Wir würden uns freuen, wenn der Brexit noch abgewendet werden könnte und machen uns für ein zweites Referendum stark. Wir müssen aber aufpassen, dass der britische Virus Europa nicht ansteckt. Deshalb ist es für eine Verschiebung zwingend nötig, genau zu wissen, was ihr Zweck sein soll. Die Briten sollten sich entscheiden: entweder eine Zollunion oder ein zweites Referendum. Das sind momentan die erfolgversprechendsten Varianten.

Frage: Herrscht nicht schon so viel Irrationalität, dass auch ein harter Brexit möglich wäre?

Beer: Ich halte es für ein Versagen der britischen Politik, die Nation derartig gespalten zu haben. Wir müssen jetzt schauen, dass wir ein halbwegs erträgliches Ergebnis herausbekommen. Das wird nur gelingen, wenn wir eine enge Beziehung zu den Briten aufrechterhalten. Ferner gilt es in der EU neues Vertrauen aufzubauen und uns nicht nur die Interviews gegenseitig um die Ohren zu hauen.

Frage: Wenn Sie im Wahlkampf sind, was bewegt die Menschen am meisten? Womit punkten Sie am meisten?

Beer: Die Bürger fordern: Handelt bei den großen Sachen. Die EU hat ja oft Ausweichbewegungen gemacht, zugespitzt gesagt: Statt uns Silvester vor den Gefahren des Bleigießens zu schützen, schafft besser eine gemeinsame Migrationspolitik. Die Menschen wollen nicht, dass im Mittelmeer immer noch Menschen ertrinken, sie wollen klare Regeln. Wir schlagen vor, neben Asyl und Flüchtlingsstatus im europäischen Kontext ein Punktesystem für die Einwanderung zu schaffen. Wir haben erste Ansätze über die Blue Card, die gilt aber nur für Akademiker. Das ist zu wenig, wir brauchen auch Arbeitskräfte.

Frage: Die Jugend stellt gerade eine Klimabewegung auf die Beine. Wenn Ihre Kinder dafür die Schule schwänzten, wäre das in Ordnung?

Beer: Nein, man kann sich auch freitagnachmittags, samstags oder sonntags für den Klimaschutz einsetzen. Aber ich begrüße, dass das Engagement da ist.

Frage: Werden die Kinder ernst genommen?

Beer: Ja, die Frage wird als dringlich angesehen. Wir befinden uns aber auf der zweiten Ebene der Diskussion: Was sind die tauglichen Instrumente für einen wirksamen Klimaschutz?

Frage: Frau Beer, Ihre Heirat hat für Schlagzeilen gesorgt, weil sie in Ungarn stattfand und Ihr Pfarrer ein ehemaliger Minister aus dem Kabinett Orbáns war. Ist das Privatsache?

Beer: Ja, es ist Privatsache und hat viel mit den gewachsenen Beziehungen meines Mannes zu Ungarn zu tun. Er hat jahrelang mit diesem Pfarrer zusammengearbeitet und eine zwangsprofanisierte Kirche dort wieder mitaufgebaut.

Frage: Wie ist denn Ihre Haltung zu Ungarns Kurs unter Premier Viktor Orbán?

Beer: Ungarn hat maßgeblich zur Freiheit Europas beigetragen. Ohne den mutigen Kampf von Polen, Tschechen und Ungarn gegen den Kommunismus wäre der Eiserne Vorhang nicht gefallen. Heute reagiert das Land manchmal übersensibel auf manche Maßgabe aus Brüssel. Da brauchen wir eine klare Gesprächskultur, die aber auch klare Kante zeigt, wo Angriffe auf die Freiheit drohen. Wir wollen die Grundrechteagentur ausbauen zu einem Instrumentarium der permanenten Überprüfung der Rechtsstaatsdefizite in allen EU-Staaten. Die EU guckt schon viel zu lange zu. Wir brauchen ein unabhängiges rechtsstaatliches Verfahren.

Frage: Sie sind jetzt die letzten beiden Wochen FDP-Generalsekretärin. Sie wollten die FDP weiblicher machen. Ist Ihnen das aus Ihrer Sicht gelungen?

Beer: Ja, wir werden zum Thema Emanzipation auf dem Bundesparteitag eine sehr umfangreiche Diskussion führen. Auch bei der Gewinnung von mehr Frauen für die politische Arbeit haben einige Landesverbände schon Beschlüsse gefasst und wir machen jetzt Vorschläge für Zielvereinbarungen, die entsprechende Steigerungen bei Mitgliedern, in Ämtern und Mandaten aushandeln sollen.

Frage: Wie wollen Sie attraktiver werden für junge Frauen?

Beer: Indem wir Strukturen schaffen, die dafür sorgen, dass man schneller auf den Punkt kommt. Frauen wollen sich zeit und ortsunabhängig einbringen können und sehen, dass ihre Projekte auch umgesetzt werden. Ich weiß von der ersten Kreistagsfraktion, die schon viel auf WhatsApp zusammenarbeitet.

Frage: Wird Ihr Nachfolger auch eine Frau?

Beer: Das ist alleiniges Vorschlagsrecht des Bundesvorsitzenden; ich würde mir das wünschen und weiß, dass er intensiv darüber nachdenkt.

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